Hamburg. Der ehemalige Hoffnungsträger im Schwergewicht boxt am Sonnabend in Malmö um seine letzte Chance.

An die Spötter und Zweifler hat er sich gewöhnt. Sie begleiten ihn seit Juli 2009, als er im WM-Ausscheidungskampf gegen den US-Amerikaner Eddie Chambers seine erste von drei Niederlagen als Profiboxer erlitt. Seitdem muss Alexander Dimitrenko mit den Kritikern leben, die ihm vorhalten, dass er zu weich sei, um es an die Spitze zu schaffen, zu nett, um Weltmeister im Schwergewicht zu werden.

Dimitrenko (34), geboren auf der Krim, seit 2001 in Wandsbek zu Hause, seit sieben Jahren Deutscher, ist einen steinigen Weg gegangen. Seit sein langjähriger Promoter Universum 2012 Insolvenz anmelden musste, schlägt sich der 2,01-Meter-Hüne in Eigenregie durch. Er muss seine Trainingslager finanzieren, sich seine Sparringspartner organisieren, mit Promotern verhandeln, um Kämpfe zu bekommen. „Das alles kostet Geld, Zeit und Nerven“, sagt er, „aber ich kann vom Boxen noch nicht lassen. Wenn ich mich drei Tage nicht bewege, werde ich unausstehlich.“

Einst als Klitschko-Nachfolger angepriesen

Bewegung muss nicht zwangsläufig in Wettkämpfen stattfinden. Unansehnlich, sagen viele, die dabei waren, seien die Kämpfe gewesen, die Dimitrenko zuletzt lieferte. Der einst als Klitschko-Nachfolger angepriesene K.-o.-Künstler hat seit 2012 nur neunmal im Ring gestanden. Sieben Siege stehen in der Bilanz gegen „lebendige Sandsäcke“, Gegner weit unter seinem Niveau. Gegen die Kontrahenten von Weltklasse, Ex-Europameister Kubrat Pulev (Bulgari-en) und WBO-Champion Joseph Parker (Neuseeland), verlor Dimitrenko klar.

Deshalb fragen sich Menschen, die den höflichen, sympathischen und intelligenten Techniker schätzen, mit Sorge, ob es richtig ist, dass der ehemalige Jurastudent am Sonnabend (20 Uhr, ranfighting.de) im schwedischen Malmö gegen Adrian Granat (25) in den Ring steigt. Der Schwede steht beim Hamburger Stall EC Boxing unter Vertrag und ist für Promoter Erol Ceylan „ein Mann, der mittelfristig zu den Topstars des Schwergewichts gehören wird“.

Karriere als „Journeyman“

Der Eindruck ist fatal: Dimitrenko wird nur noch gebucht, weil er mit seinem guten Namen als Aufbaugegner taugt. Auch wenn Ceylan dem vehement widerspricht: Das Abrutschen in eine Karriere als „Journeyman“, der ohne Aussicht auf sportliches Fortkommen von Kampf zu Kampf tingelt und den richtigen Zeitpunkt für den Absprung verpasst hat, ist im Boxen kein seltenes Phänomen.

„Mir ist bewusst, dass manche Promoter in mir einen Gegner sehen, der ihre Talente aufbaut. Ich glaube fest daran, dass ich noch Großes in mir habe“, sagt er. Allerdings sei das Duell mit Granat ein Alles-oder-nichts-Kampf. „Wenn ich gegen ihn verliere, werde ich aufhören. Wenn ich siege, werden sich neue Möglichkeiten ergeben.“

Dimitrenko geht gut mit Geld um

Schon nach der Niederlage gegen Parker im Oktober 2016 hatte er mit dem Boxen abgeschlossen; das Angebot Ceylans, im Falle eines Sieges über Granat einen Promotionvertrag mit ihm abschließen zu wollen, habe ihn umgestimmt. „Mit einem Promoter im Rücken wäre vieles einfacher, und diese Chance will ich nicht verstreichen lassen“, sagt er. Genau darum geht es dem gläubigen Christen: sich später nicht vorwerfen zu müssen, Gelegenheiten nicht ergriffen zu haben. Es ist ja nicht so, dass er noch boxen müsste.

In der Blütezeit des Universum-Stalls verdiente Dimitrenko gutes Geld, das er nicht verprasst hat. Im Selbstverteidigungs-Unternehmen Protactics hat er einen Arbeitsplatz sicher. Außerdem gibt es den Verein „Box dich durch“, den Dimitrenko mit dem Hamburger Wrestlingstar Karsten Kretschmer, in dessen Gym er trainiert, gegründet hat.

Chronische Schmerzen in beiden Händen

„Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen liegt mir am Herzen. Ich brauche das Profiboxen nicht, um glücklich zu sein“, sagt er. Warum also quält er sich trotz chronischer Schmerzen in beiden Händen und der 2014 gerissenen Achillessehne im linken Bein weiter? Warum nimmt er all die Entbehrungen auf sich, den Spott und die Häme derer, die nicht mehr an ihn glauben? „Ich will mir beweisen, dass ich schaffen kann, was ich möchte. Grenzen stellen wir uns nur selbst im Kopf auf, und das tue ich nicht“, sagt er.