Köln. Warum die Boxstars Wladimir Klitschko und Anthony Joshua für ihr WM-Duell Ende April keine großen Worte brauchen.
Der Blick einer Frau sagt bisweilen mehr, als alle Worte es könnten. Insofern waren die verzückten Gesichter der RTL-Mitarbeiterinnen, die am Donnerstagnachmittag am Hauptsitz des Privatsenders am Kölner Picassoplatz der Pressekonferenz mit Wladimir Klitschko und Anthony Joshua beiwohnen durften, ein guter Gradmesser für das, was der 29. April 2017, an dem die beiden Schwergewichtler im Londoner Wembleystadion gegeneinander antreten wollen, dem Berufsboxen bringen könnte: den Beginn einer neuen Ära mit einem neuen Star, der die Welt in seinen Bann zu ziehen versteht.
Fast zehn Jahre lang war Wladimir Klitschko dieser Held gewesen, der die Königsklasse als Weltmeister dominierte. Als der in Hamburg lebende Ukrainer am Donnerstag aufs Podium stieg, blitzten die ihm dutzendfach entgegengereckten Mobiltelefone, und auf die Gesichter der zu den Telefonen gehörenden Damen legte sich dieser verklärte Glanz, den der 40 Jahre alte Modellathlet gewohnt ist, wenn er seinen weiblichen Fans nahe kommt. Dann jedoch schlüpfte der Champion durch die Ringseile, und aus verklärtem Glanz wurde ungläubiges Staunen. Würden herunterklappende Kinnladen Geräusche machen, dann wären Knalltraumata zu befürchten gewesen.
Rückbesinnung auf das Wesentliche
Joshua, der britische Weltmeister des Verbands IBF, trug ein kurzärmeliges Funktionsshirt, das seinen wie gemeißelt erscheinenden Oberkörper nur unzureichend verdeckte. Die größere Überraschung aber war für die, die den 27-Jährigen bislang nicht kannten, wie eloquent und kultiviert er sich auszudrücken versteht. Nichts war zu hören von großmäuligen oder hasserfüllten Verbalattacken. Da sprachen zwei Athleten, die einander höchsten Respekt entgegenbringen, und die, um ihre Kräfte zu messen, einzig das tun wollen, was im Boxen bisweilen leider in den Hintergrund gerät: die Fäuste sprechen lassen, und das nur im Ring.
Man hat diese Rückbesinnung auf das Wesentliche nun schon einige Male beobachten dürfen. Ob in New York, in London oder nun in Köln – Klitschko und Joshua sind darauf bedacht, auf ihren Werbezügen für den größten Schwergewichtskampf seit Juni 2002, als Lennox Lewis und Mike Tyson aufeinandertrafen, als beispielhafte Botschafter ihres Sports wahrgenommen zu werden. Sie agieren als Leisetreter, und heben sich damit wohltuend ab von dem, was Klitschko und sein 2012 zurückgetretener Bruder Vitali (45) mit Joshuas Landsleuten erlebten.
Von David Haye bleibt das T-Shirt in Erinnerung, das ihn mit Wladimirs abgeschlagenen Kopf in der Hand zeigte, als hässlichster Auswuchs einer Reihe an Geschmacklosigkeiten – die im Juli 2011 in Hamburg von Klitschko mit einer Prügelstrafe geahndet wurden. Dereck Chisora wiederum ohrfeigte 2012 in München vor dem Duell mit Vitali seinen Gegner – und bezahlte ebenfalls mit einer krachenden Niederlage. Einzig Tyson Fury, der im November 2015 in Klitschkos bis dato letztem Kampf dessen seit April 2006 währende Herrschaft brüsk beendete, konnte seinen großspurigen Ankündigungen Taten folgen lassen. Etliche seiner sexistischen und rassistischen Ausfälle hätte er aber besser nie geäußert.
Mit Joshua, der 2012 ebenso Olympiagold gewann wie Wladimir Klitschko 1996 und seit 2013 in 18 Profikämpfen 18-mal vorzeitig gewann, steht nun wieder ein Brite an der Spitze des Schwergewichts, der auch außerhalb des Rings an die Klasse eines Lennox Lewis heranreicht. Genau das macht ihn zu einem legitimen Nachfolger Klitschkos, der den mit 198 Zentimetern Körperlänge genau gleich großen Newcomer bereits 2014 mit diesem Prädikat geadelt hatte.
Sportliche Qualität spricht für sich
Damals war Joshua als Sparringspartner in Österreich, als Klitschko sich auf seine Titelverteidigung gegen den Bulgaren Kubrat Pulev vorbereitete. „Dieser Junge hat alles, um das Schwergewicht zu dominieren“, sagte der Champion damals. Joshua strahlt, wenn er an diese Zeit denkt. „Ich habe mir viel abgeschaut und einiges in mein Training eingebaut. Zum Beispiel, dass man statt drei täglichen Einheiten nur zwei macht, die aber intensiver“, sagte er. Damals entstand die spezielle Verbindung zwischen zwei Sportlern, die sich in ihrer Einstellung zum eigenen Körper und zu ihrem Beruf so sehr ähneln, dass Klitschko den 13 Jahre jüngeren Rivalen als „eine Kopie von mir“ bezeichnet.
Dass es großes Ballyhoo oder verrückte Aktionen nicht braucht, weil die sportliche Qualität der Ansetzung für sich spricht, zeigt das weltweite Interesse. Die 90.000 Tickets sind längst ausverkauft, auf dem Schwarzmarkt werden bis zu 50.000 Euro geboten. In mehr als 150 Ländern wird live übertragen, in den USA sogar, was selten vorkommt, von den beiden Pay-TV-Giganten Showtime und HBO gemeinsam. „Es tut unserem Sport gut, dass es diesen Kampf gibt, der die ganze Welt fasziniert, ohne dass wir uns gegenseitig beleidigen müssen“, sagte Klitschko.
Wenn der Gong ertönt, ist es vorbei mit Respekt
Eins jedoch betonten beide Protagonisten unisono: Wenn der erste Gong ertönt, ist es vorbei mit Respekt und Freundschaft. „Dann geht es nur darum, wer der Bessere ist. Das ist unser Geschäft“, sagte Klitschko, der frohlockte, dass „ich unter 90.000 Menschen im Stadion den besten Platz haben werde“. Was indes abzuwarten bleibt, schließlich will er ja nicht dabei zuschauen, wie seine eigene Ära endet – sondern dafür sorgen, dass der verklärte Glanz in den Gesichtern seiner weiblichen Fans noch ein paar Jahre anhalten kann.