London/Hamburg. Der Austragungsort der PDC-WM gerät immer mehr in deutsche Hand. Zum Leidwesen von RB Leipzig, aber manchmal auch des HSV.
Die Holländer, ja die Holländer, die wussten schon immer, wie man ein Sportereignis zur stimmgewaltigen Party umfunktioniert. Ob Fußballstadion, am Bergetappe der Tour de France oder an der Eislaufbahn - Oranje ist überall dort, wo es um Wettbewerb geht. Und so darf der in den Nationalfarben kostümierte niederländische Anhang auch im Alexandra Palace nicht fehlen, wo derzeit in Raymond van Barneveld einer ihrer Helden um seinen sechsten Weltmeistertitel im Darts wirft.
Am Mittwochabend hatte die "Barney Army", wie sich die Gefolgschaft des 49-jährigen Ex-Briefträgers nennt, wieder ausreichend Grund zur Ekstase. Denn mit Adrian Lewis hat der korpulente Vorzeigedartspieler durch einen 4:3-Sieg in der zweiten Runde den Vize-Weltmeister und damit einen der größten Brocken auf dem Weg ins Finale eliminiert.
Deutsche Fans übersingen alle
Was dem Betrachter der spannenden Abend-Session allerdings abseits von Bulls Eye, Legs und 180er-Würfen in Auge und Ohr fiel, dürfte den meisten ziemlich vertraut erschienen sein. Zumindest an den hiesigen Bildschirmen. Denn das "Ally Pally", wie das Maracanã unter den Darts-Spielstätten liebevoll gerufen wird, ist am 13. Tag der 24. WM der Professional Darts Corporation (PDC) noch ein Stück weiter in deutsche Hand geraten.
Was ein bisschen an Max Hopp lag, aber noch viel mehr an den Fans, die der Hesse nach London lockte. Denn während sich "The Maximiser" schon am frühen Nachmittag im Zweitrunden-Duell dem Belgier Kim Huybrechts mit 0:4 geschlagen geben musste, zelebrierten die deutschen unter den 3000 Zuschauern das Darts-Event bis in den späten Abend hinein.
Parolen gegen RB Leipzig und Timo Werner
Der Stadion-Gassenhauer "Oh, wie ist das schön" war dabei nur einer von vielen Gesängen, die es locker mit den englischen Varianten wie "Stand up, if you love the Darts" aufnehmen konnten. Dass auch Schmähungen gegen Fußball-Emporkömmling RB Leipzig und dessen Spieler Timo Werner zu vernehmen waren, ist ein weiterer Beleg dafür, dass immer mehr Freunde des runden Leders zu Liebhabern der spitzen Pfeile mutieren.
Weltmeister Toni Kroos ist einer der prominentesten Fürsprecher des einstigen Kneipensports, der beim übertragenden TV-Sender Sport1 inzwischen Einschaltquoten von bis zu 1,6 Millionen Zuschauer erzielt. Belohnt werden die Zuseher nicht nur mit packenden Duellen der Spitzenspieler wie Ikone Phil Taylor, sondern auch mit viel Drumherum.
Teletubbie und englisches Frühstück
Vor zwei Jahren etwa hat sich Ex-Europameister und DFB-Jugendtrainer Steffen Freund mit einem Auftritt im Teletubbie-Kostüm bereits jetzt ein Denkmal in der Fanszene gesetzt. Doch Freunds Verkleidung war längst nicht die außergewöhnlichste Kostümierung. Die hatte nach Ansicht des PDC-Sprechers Dave Allen eine Gruppe, die vor einem Jahr hier war. "Die kamen als Elemente eines englischen Frühstücks“, lacht Allen. "Ein Typ war ein Würstchen, einer war der Speck, einer die Eier, einer die Bohnen und einer Toast. Dann haben die sich auf den Boden gelegt und gebratenes Frühstück gemacht. Das war super!“
Hertha-Profi unter den Zuschauern
"Eine bessere Stimmung als bei der WM? Das geht nicht. Das ist Fußballstadion-Atmosphäre“, sagt Dartspieler Dragutin Horvat. Für die deutsche Nummer zwei war die WM-Premiere zwar bereits in der Hauptrunde beendet, die Atmosphäre im "Ally Pally" wird dem 40-Jährigen aber lange in Erinnerung bleiben. Das dürfte auch auf die Fußball-Profis Julian Schieber (Hertha BSC) oder Marcel Schuhen (Hansa Rostock) zutreffen, die sich am Mittwoch unters Londoner Partyvolk mischten.
"Ally Pally" nach Brand wieder aufgebaut
"Der Veranstaltungsort hat einfach eine gewisse Aura“, sagt Allen über die Kultstätte, die 1875 wieder aufgebaut wurde, nachdem sie 1873 nur zwei Wochen nach der Einweihung komplett abgebrannt war. Im Jahr 2008 wechselte die WM wegen des größeren Fassungsvermögens von der Circus Tavern in Essex in den Norden Londons. Die Location sei perfekt, sagt Allen. "Die Lage ist gut für Leute, die mit dem Auto kommen. Es gibt zwei Bahnhöfe in der Nähe. Und es nicht zu weit von den Flughäfen entfernt - gut für die Spieler und für die Fans.“
Innen drin bietet der "Ally Pally" genug Platz für alle Facetten der Veranstaltung. "Im Fernsehen sehen die Menschen nur die West Hall, in der das Turnier stattfindet“, erklärt Allen. "Aber nebenan gibt es noch die Great Hall, einen riesigen Raum.“ Die Hälfte davon ist während der WM das "Fandorf“ mit Buden und Bars. Denn das Bier und die Party sind den meisten Dart-Fans so wichtig wie das Sportliche.
Van der Vaart stark an der Scheibe
Apropos Sport: Auch beim HSV existiert eine enge Beziehung zum Darts, der Gesamtverein unterhält eine eigene Darts-Abteilung. Im "Ally Pally" künden Plakate wiederholt von der Anwesenheit Hamburger Fans - allerdings nicht immer zum Vorteil des HSV.
2013 traten Rafael van der Vaart & Co. an der Seite der Stars Taylor oder Lewis für ein Showturnier in den Stadionkatakomben vor die Scheibe. Van der Vaart siegte gemeinsam mit seinem Landsmann van Barneveld.
"Ich verfolge das Spiel schon sehr lange, es ist in Holland sehr anerkannt", sagte der Fußballer damals. Eine Aussage, die sich bald wohl auch auf die Sportlandschaft in Deutschland übertragen lässt - auch, aber nicht nur wegen des feierwütigen Publikums.
Info: Auch Hamburg ist immer wieder Schauplatz großer Darts-Turniere. Zur Team-WM 2012 strömten an drei Tagen insgesamt 5000 Zuschauer in die Sporthalle. 2017 ist die PDC-Serie "European Darts Matchplay" vom 9. bis 11. Juni in der Wilhelmsburger Inselparkhalle zu Gast. Tickets gibt es hier.