Kneipensport erobert die Arenen. Die besten Profis der Welt starteten beim World Cup in der Sporthalle Hamburg und begeisterten die Fans.
Alsterdorf. Obwohl die Hälfte der gut 1600 enthusiasmierten Fans auf den meterlangen Tischen in der ausverkauften Sporthalle Hamburg tanzten ("Steht auf, wenn ihr Deutsche seid!") und mit Sprechchören die beiden deutschen Dartprofis Jyhan Artut und Bernd Roith zum Sieg schreien wollten ("Deutsch-Laaaand, Deutsch-Laaaand!"), schied das deutsche Duo bei der 2. Teamweltmeisterschaft, die erst heute am frühen Morgen zu Ende ging, bereits in der zweiten Runde gegen US-Amerikaner aus. Was die bierselige Stimmung der insgesamt 5000 Fans an drei Tagen jedoch nicht sonderlich drückte. Weil man solche Niederlagen kennt. Denn deutsche Pfeilathleten sind seit Bestehen des professionellen Dartsports bei einem großen internationalen Turnier noch nie übers Achtelfinale hinausgekommen. Damit sind sie vergleichbar mit englischen Profikickern, die bekanntlich beim Elfmeterschießen zumeist die notwendige Präzision vermissen lassen.
Dafür sind die Männer von der Insel (sowie vorwiegend aus Staaten des Commonwealth) wiederum vor der magischen Korkscheibe beinahe unschlagbar. Allen voran Phil "The Power" Taylor, 51, der sich bei seinem rechten Wurfarm und seiner erstaunlichen Konzentrationsfähigkeit bedanken kann, dass er schon seit weit über 20 Jahren keine Toilettenpapierspender mehr im Akkord zusammenschrauben muss. Sondern bisher 15 Weltmeistertitel erdarten konnte, was den einstigen Schulabbrecher längst zur millionenschweren Legende avancieren ließ.
+++ Deutsches Dart-Team: Sieg und Niederlage vor großer Kulisse +++
+++ Hamburg freut sich auf Dart-Champion Phil Taylor +++
Er, der Niederländer Raymond van Barneveld, der Schotte Gary Anderson oder der Australier Simon Whitlock sind die absoluten Zugpferde auf der Tour der "Professional Dart Corporation Europe". Sie sorgen für volle Hallen und hohe Einschaltquoten im Fernsehen, übrigens auch auf Deutschlands Sportkanälen, wo Dart erstaunlicherweise an Nummer fünf der meistgesehenen Sportarten rangiert. Bloß diese Teamweltmeisterschaft konnte man in Deutschland live nur im kostenpflichtigen "Internet-Livestream" der PDC sehen, obwohl diese Athleten auch hierzulande Kultstatus genießen; Männer, die für die Pfeile ihre bodenständigen Berufe an den Nagel hängten (falls sie je einen solchen hatten); Kämpfer mit der Gabe, sich auf den Punkt genau konzentrieren zu können und selbst mit einem tobenden Publikum im Rücken in sprichwörtlicher Bierruhe sehr häufig genau die Zahlen und Zahlenkombinationen auf der Scheibe zu treffen, die sie anvisiert haben. Andererseits können nicht wenige der Profis ihre Lust am frisch Gezapften nicht leugnen. Doch gerade stramme Bäuche, tätowierte Unterarme sowie ein durchschnittlicher Bildungsgrad bergen ein hohes Identifikationspotenzial für die bereits zwei Millionen deutschen Dartfans, die diesem traditionellen Kneipensport frönen: aktiv in einer Liga, sowieso passiv vor dem Fernseher oder eben jetzt vor Ort, für knapp 90 Euro Eintritt für das dreitägige Event. Mehrere Dutzend, aus ganz Deutschland übrigens, waren in lustigen Kostümen angereist, denn das gehört zu einer echten Dartparty dazu. Auch bei jeder "Triple Twenty" (dreimal 60 = 180), der höchstmöglichen Punktzahl, die man mit den drei erlaubten Würfen erzielen kann, machen sie brav die Mega-Welle - vor allem fürs Fernsehen: Spätestens jetzt wissen die Engländer, dass die Krauts ihnen diesbezüglich in nichts nachstehen. Das einarmige Reißen der Bierbecher war am Sonntagmorgen erst gegen 2.30 Uhr zu Ende, wobei die Fans allein bei der "Abendsession" rund 3000 Liter wegschlabberten. Die Leute vom WSD-Reinigungsdienst, der seit 17 Jahren die Sporthalle Hamburg von Veranstaltungsmüll säubert, wurden jedoch laut Protokoll "nur vereinzelt mit Erbrochenem konfrontiert".
Es wäre jedoch unfair und nicht zuletzt total falsch, das Darten zur einzigen Sportart zu degradieren, die - wie Spötter behaupten - einem arbeitslosen Biertrinker die vage Perspektive zu Ruhm und Reichtum eröffnet. Tatsächlich beinhaltet die erfolgreiche proletarische Antwort aufs Zen-Bogenschießen regelmäßiges Wurftraining, eine enorm robuste Psyche, strategisches Denkvermögen und fixe Kopfrechnerei. Immerhin gibt es allein 71 mathematische Wege zum "Neun-Wurf-Darter", dem perfekten Weg von 501 Punkten herunter auf null.
"Was Deutschland fehlt, ist ein Boris Becker des Dartsports", sagt Sebastian Mayer, der smarte "Event-Direktor" der PDC. Er sagt es just in dem Moment, als das deutsche Duo den entscheidenden Wurf auf die Doppel-16, den äußeren Ring, versemmelt. Das Interesse sei nämlich groß: Rund 70 000 Eintrittskarten werde die PDC dieses Jahr bei den großen Turnieren auf dem Kontinent verkaufen. Auch die englischen TV-Produzenten von Sky seien mit dem Hamburger Publikum äußerst zufrieden, das den Betoncharme der Sporthalle Hamburg mühelos vergessen ließ. Und das Imageproblem, fährt Mayer fort, sei doch ein alter Hut: "Die junge Spielergeneration lebt asketisch. Die trainiert nicht nur vor der Scheibe, sondern auch im Fitnessklub und trinkt Mineralwasser." Eigentlich schade.