Hamburg. Die Paralympicssiegerinnen Gesche Schünemann und Maya Lindholm über den Stellenwert der Behindertenspiele und die Erwartungen an Rio.
Gesche Schünemann (33) und Maya Lindholm (25) von den BG Baskets des HSV gehören wie ihre Vereinskolleginnen Annika Zeyen (31) und Simone Kues (39) zum Aufgebot des Hamburger Rollstuhlbasketball-Bundestrainers Holger Glinicki für die Paralympics (7. bis 18. September). Wie Rekordnationalspielerin Zeyen haben sie in London 2012 Gold gewonnen. Am Mittwoch brechen sie mit dem gesamten paralympischen Team nach Rio auf. Zuvor haben sie an diesem Sonnabend (19 Uhr) ein Heimspiel in der Wilhelmsburger Inselparkhalle, wenn die Damennationalmannschaft einen letzten Härtetest gegen China bestreitet.
Wann hat für Sie die intensive Vorbereitung auf die Paralympics begonnen?
Maya
Lindholm: Der Startschuss fiel schon im Februar in Japan. Die Bundesligasaison ging bis Anfang Mai, dann hatten wir zwei Wochen Pause. Mit dem Trainingslager auf Lanzarote Ende Mai ging es dann so richtig los. Das ist Fulltime – jeden Tag.
Gesche Schünemann: Dabei müssen wir natürlich jeden Tag noch arbeiten.
Lindholm: Ich bin Ergotherapeutin im BG Klinikum Hamburg im Rehazentrum City. Ich habe dort eine Halbtagsstelle, sonst ginge das alles nicht. Das ist eine wichtige Unterstützung für mich.
Schünemann: Ich arbeite ja beim HSV und mache dort alles für die BG Baskets. Von der Wohnungssuche für die Spieler bis hin zur Spieltagsorganisation. Ich bin das Mädchen für alles. Da die neue Saison direkt nach Rio beginnt, musste jetzt schon sehr viel organisiert werden.
Sie sind schon lange dabei, haben vor vier Jahren Gold gewonnen. Werden Sie in der Stadt erkannt?
Lindholm: Nein, höchstens mal hier in Wilhelmsburg, aber sonst nicht. Vielleicht auf der Arbeit. Medienpräsenz gibt es vor oder nach den Paralympics, aber das flacht dann ziemlich schnell wieder ab. Das ist jetzt wie vor London auch. Da hat sich nicht viel getan.
Hat sich denn der Sport weiterentwickelt?
Schünemann: O ja! Der Sport ist definitiv besser geworden, weltweit. Das sieht man daran, dass sich Australien, unser Finalgegner von London, mit dem gleichen Team nicht für Rio qualifiziert hat, sondern an China gescheitert ist. Die Weltspitze ist eng zusammengerückt.
Lindholm: Alles ist dynamischer, athletischer geworden. Auch die Rollstühle werden immer besser, stabiler. Es geht alles noch schneller. So ein Basketball-Rollstuhl kostet 7000 Euro. Zum Glück bekommen wir den in der Nationalmannschaft von einem Sponsor gestellt, der Rollstühle und Prothesen baut.
Wie sieht es bei der internationalen Konkurrenz aus?
Schünemann: Holland oder Kanada haben ganz andere Möglichkeiten als wir. Bei den Niederländern ist es der Job. Sie werden Fulltime bezahlt. Die Spieler trainieren seit vier Jahren 25 Stunden die Woche zusammen und wohnen alle am gleichen Ort. Das merkt man natürlich. Wenn man dort einen Trainingsstützpunkt wie Papendal sieht, was sie da neu gebaut haben, das ist gigantisch.
Lindholm: Es wird anders gefördert als bei uns, weil man dort mehr hinter dem Sport sieht.
Schünemann: Nicht nur der Fußball wie bei uns, auch viele andere Sportarten.
Frau Schünemann, Sie sind 2013 aus Wetzlar, einer Hochburg des Rollstuhlbasketballs, nach Hamburg gekommen. Warum?
Schünemann: Um mich optimal auf die Spiele in Rio vorzubereiten. Ich wollte in der ersten Liga mehr Verantwortung übernehmen und mehr Spielzeit bekommen, als das beim RSV Lahn-Dill möglich war. Und hier waren die Trainingsbedingungen mit der neuen Halle optimal. Das Projekt BG Baskets geht jetzt in die vierte Saison, in der Zwischenzeit hat sich einiges getan. Die Trainingsbedingungen und die Unterstützung durch den Hauptsponsor BG Klinikum sind schon sehr, sehr gut.
Hamburg ist ja auch paralympischer Trainingsstützpunkt geworden.
Lindholm: Ja, es ist wirklich viel passiert. Mit unserem Sport ist es in Hamburg deutlich vorangegangen. Auch die Stadt bemüht sich sehr, Rollstuhlbasketball zu entwickeln. Die Inselparkhalle ist für uns wirklich optimal.
Schünemann: Im Zuge der Olympiabewerbung war das Interesse schon groß, da hast sich vieles um den Sport gedreht. Nachdem die Bewerbung gescheitert war, ist es leider wieder abgeflacht. Es gab beispielsweise Anfragen für Rollstuhlbasketball-Demos für Mitarbeiter. Aber Firmen hatten dann plötzlich kein Interesse mehr mit der Begründung: Das hat ja jetzt keinen Sinn mehr.
Holger Glinicki, Ihr Vereinstrainer in der Bundesliga, trainiert die Damennationalmannschaft schon seit zehn Jahren. Das ist ungewöhnlich lange.
Schünemann: Es passt einfach gut mit dem Team, Holger und dem ganzen Stab drum herum. Den darf man auch nicht vergessen. Klar, irgendwann muss sicherlich auch mal etwas Neues her, aber es läuft halt gerade ganz gut.
Lindholm: Holger ist ja nicht die ganze Zeit gleich geblieben, sondern hat sich wie wir und der Sport entwickelt. Und er passt sich auch gut dem an, wie wir so drauf sind. Mal kritisiert er, dann lobt er wieder. Er spürt sehr gut die Stimmung im Team. Er findet immer sehr gute Wege, damit es nicht langweilig wird. Und der Erfolg gibt ihm auch recht.
Es gab Meldungen, dass die Paralympics wegen der Finanznot in Brasilien gefährdet waren. Haben Sie sich Sorgen gemacht?
Schünemann: Ich habe mir es nicht vorstellen können, dass das passiert. Das wäre ja ein Riesendesaster. Das können sie sich nicht erlauben!
Lindholm: Schade, dass es so eine Situation überhaupt gibt. Da ist ja vorher schon irgendetwas schiefgelaufen. Natürlich trifft es dann die Paralympics! Wir sind halt immer noch ein bisschen wie ein Anhängsel. Es hat einen anderen Stellenwert als die Olympischen Spiele. Zwar ist es schon viel besser geworden, die Anerkennung ist viel größer, aber Olympia ist etwas anderes.
Schüneman: In London war der Stellenwert fast gleich, in Rio hat man wieder ein bisschen ein anderes Gefühl. Vielleicht täusche ich mich auch, und es kommt ganz anders in zwei Wochen. Ich bin gespannt, die Vorfreude ist groß.
Am 31. August geht es mit der gesamten deutschen Mannschaft los.
Schünemann: Ich finde das schön, dass wir dort auch die Gelegenheit haben, die anderen Sportler kennenzulernen. Man sieht sich sonst auf Meisterschaften ja kaum. Deshalb finde ich auch das Team Hamburg so gut. Man hat dann einen ganz anderen Bezug, wenn man die anderen Athleten auch mal persönlich kennenlernt.
Was erwarten Sie von Brasilien?
Schünemann: Zum Glück haben wir am 8. September noch spielfrei, wir können also an der Eröffnungsfeier teilnehmen. Am 9. September spielen wir dann gleich gegen Brasilien. Das wird sicher laut. Wie beim Beachvolleyball, bei dem Laura Ludwig und Kira Walkenhorst ihr eigenes Wort nicht verstehen konnten. In der Gruppe sind Kanada und England die stärksten Kontrahenten, dann ist da noch Argentinien. Wir wollen als Gruppensieger ins Viertelfinale. Dann würde man China, den USA und den Niederlanden aus dem Weg gehen.
Aber erst einmal spielen Sie noch in Hamburg gegen China.
Schünemann: Ja, das war auch schon vor vier Jahren der letzte Test. Vielleicht ist das ein gutes Omen.