Hamburg. Der Hamburger Hoffnungsträger scheitert bei seinem Heimturnier am Rothenbaum bereits in Runde eins.
Es hatte etwas Symbolisches, dieses Spielende. Mit einem scheinbar leichten Vorhandflugball ins Netz schenkte Alexander Zverevseinem spanischen Kontrahenten Inigo Cervantes gleich beim ersten Matchball den Sieg. 5:7 und 6:7 (2:7) lautete nach 101 Minuten das Resultat, das nicht nur die 7000 Zuschauer auf dem Centre-Court am Rothenbaum, sondern vor allem die Veranstalter des traditionsreichsten deutschen Herrentennisevents um Turnierdirektor Michael Stich und den deutschen Jungstar selbst entsetzte.
„Sehr schade“, kommentierte Stich den Fakt, dass ihm sein wichtigstes Zugpferd bereits in der Auftaktrunde ausgespannt worden war. „Er hat schlecht aufgeschlagen und hatte nie ein richtiges Konzept. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass er erst 19 Jahre alt ist und noch viel zu lernen hat.“ Damit hatte der Wimbledonsieger von 1991, der vor 23 Jahren als bisher letzter Deutscher am Rothenbaum triumphiert und viel darauf gesetzt hatte, in diesem Jahr vom Hamburger Shootingstar abgelöst zu werden, den ernüchternden Auftritt des Weltranglisten-27. perfekt in Worte gekleidet.
Es waren ja nicht allein die sieben Doppelfehler gewesen, die Zverev zu entscheidenden Zeitpunkten – wie beim Satzball des Spaniers im ersten Durchgang oder bei einer 3:2-Führung im zweiten Durchgang gleich zweimal hintereinander zum Rebreak für Cervantes – unterliefen. Da war auch eine merkwürdige Teilnahmslosigkeit zu beobachten; eine Körpersprache, die dem Weltranglisten-82. auf der anderen Seite des Netzes signalisierte, die Bälle nur zurückbringen zu müssen; den Fehler würde irgendwann Zverev machen.
Es fehlte die Raffinesse im Spiel des 198 Zentimeter langen Teenagers, der sich auch in kurzen Phasen der Dominanz wie zu Beginn des zweiten Satzes nicht aus seiner Lethargie zu befreien wusste. Er steckte nicht auf, das immerhin gab es zu konstatieren, aber das tut er nie. Das Lodern eines Feuers, das ihn bei seinem Heimturnier zu Außergewöhnlichem antreibt, war indes viel zu selten zu erkennen.
Nun griffe es zu kurz, Zverev allein für die Niederlage verantwortlich zu machen. Cervantes, der den Nachnamen mit dem berühmten spanischen „Don Quijote“-Autor Miguel de Cervantes teilt, bürdete dem deutschen Hoffnungsträger den quijotehaften Kampf gegen Windmühlen dadurch auf, dass er nicht nur wie eine Fleisch gewordene Ballwand agierte, die spanische Sandplatzspieler so unvergleichlich darbieten können. Nein, er spielte fintenreicher, streute immer wieder Stoppbälle ein wie ebenso unerreichbare Lobs. Er übernahm die Initiative, wenn es wichtig wurde, und verdiente sich den Achtelfinaleinsatz gegen den Franzosen Stephane Robert redlich.
Natürlich muss man einbeziehen, dass Cervantes auf seinem Lieblingsbelag im Fluss war, nachdem er in der vergangenen Woche beim Challengerturnier in Braunschweig pikanterweise im Viertelfinale Zverevs älteren Bruder Mischa (28) ausgeschaltet hatte und erst im Finale vom Brasilianer Thomaz Bellucci gestoppt worden war. Zverev dagegen hatte nach einer anstrengenden Rasensaison nur drei Tage Zeit für die Umstellung auf den langsamen Hamburger Sand, und das reklamierte er auch auf der Pressekonferenz.
„Dafür, dass ich so wenig Zeit zur Vorbereitung hatte, habe ich ganz okay gespielt“, sagte er patzig – und knüpfte mit dieser Aussage an die vorangegangene Leistung auf dem Platz an. Auch wenn die Enttäuschung über das zweite Erstrundenaus in Serie bei seinem Heimturnier den Sensations-Halbfinalisten von 2014 arg quälte – ein wenig mehr Selbstkritik, ein paar Worte des Bedauerns in Richtung der ihm sehr wohlgesonnenen Fans und des Turnierveranstalters, der angesichts der Absagenflut um jeden Publikumsmagnet kämpfen muss, wären schon angebracht gewesen. So beschränkte sich die Analyse auf einige dürre Sätze, in denen Zverev Aufschlag und Grundlinienspiel als „nicht gut“ einstufte.
Gegner Cervantes glaubt, dass der Druck zu hoch war
Cervantes brachte in seinem Statement ein weiteres Argument in die Diskussion ein, das nicht außer Acht gelassen werden darf. „Ich habe heute sehr gut gespielt, aber vielleicht war der Druck für Alexander auch zu groß, hier in seiner Heimat ein gutes Turnier spielen zu müssen“, sagte der 26-Jährige. Zverev ging auf Fragen in diese Richtung gar nicht ein, dennoch mag die überbordende Anspruchshaltung, die der Hochbegabte mit seinem kometenhaften Aufstieg in den vergangenen Jahren geweckt hat, negativen Einfluss auf seine Unbekümmertheit haben. Es gibt keinen Zweifel daran, das sehen weltweit alle Experten so, dass der Davis-Cup-Spieler das Potenzial hat, Grand-Slam-Titel zu gewinnen. Im westfälischen Halle hätte er im Juni beinahe den ersten ATP-Titel erkämpft, im Finale gab Altmeister Florian Mayer (Bayreuth) den Spielverderber. Man muss sich mittelfristig also keine Sorgen machen um die Karriere des Alexander Zverev.
Kurzfristig dagegen wird es ihm schwer fallen, sich für die anstehenden Aufgaben zu motivieren. Im Doppel spielt er an diesem Mittwoch mit seinem Bruder gegen das topgesetzte Duo Lukasz Kubot/Alexander Peya (Polen/Österreich). Sollten sich die Favoriten durchsetzen, hätte er dann ausreichend Zeit für die Umstellung auf die Hartplatzsaison, die mit den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro (5. bis 21. August), für die er am Dienstag nominiert wurde, und den US Open in New York (Start 29. August) zwei Highlights bereit hält. Denken wollte Zverev daran am Dienstagabend noch nicht.
Blieb die Frage, wer neben dem topgesetzten Philipp Kohlschreiber (siehe Text links) nun die deutschen Hoffnungen am Rothenbaum erfüllen könnte, nachdem Mischa Zverev, Florian Mayer und Lokalmatador Marvin Möller (17) schon am Montag ausgeschieden waren und Jan-Lennard Struff (Warstein) am späten Dienstagabend folgte. Die Antwort darauf gab mit Louis Weßels ein anderer 17-Jähriger, der dank einer Wildcard erstmals ins Hauptfeld eines ATP-Turniers gerückt war. Der 2,03-Meter-Riese aus Bielefeld siegte überraschend deutlich mit 5:7, 6:2 und 6:1 gegen den kanadischen Qualifikanten Steven Diez und darf nun am Donnerstag im Achtelfinale gegen den Slowaken Martin Klizan sein Centre-Court-Debüt feiern. Damit ist seine Rothenbaum-Bilanz besser als die von Alexander Zverev, der bei seinem Debüt 2013 in Runde eins ausgeschieden war. Falsche Erwartungen sollte das jedoch nicht wecken.