St. Denis. Der italienische Nationaltrainer entwickelte aus spekulativem Defensivfußball eine hochtourige Spielidee.

Wie ein Schauspieler vom Set kam Gianluigi Buffon nach getaner Arbeit in die Katakomben des Stade de France. Auf dem Platz hatten die Teamkollegen nach dem Schlusspfiff ein Spalier gebildet, um ihn zu seinem klassischen Stunt zu animieren – der Turneinlage an der Torlatte, die er auch mit 38 Jahren noch problemlos meistert. Nun trug Buffon das Haar zerzaust, das dunkelblaue Hemd weit offen und dazu eine Sonnenbrille. Wie immer es auch ausgeht für Italien, einen cooleren Fußballer wird man bei diesem Turnier nicht mehr finden.

Buffon blieb da und dort kurz stehen, lachte, posierte für ein Foto, gab seine gewohnt präzisen Einschätzungen. Gigi, macht Deutschland Angst? „Große Angst“, antwortete Gigi. „So wie auch Spanien große Angst machte. Auf dem Papier sind sie stärker als wir, das ist die Wahrheit.“ Aber jetzt stand auf dem Papier ein 2:0 Italiens gegen Spanien. „Der Platz ist der Ort, an dem Urteil gesprochen wird“, sagte Buffon.

Wundersamer als bei dieser EM war selbst Italien noch nie. Der alte Mythos von der Turniermannschaft ging ja immer so, dass die vierfachen Weltmeister sich mit spekulativem Defensivfußball irgendwie durchmogelten. Über den aktuellen Jahrgang sagte nun Verteidiger Giorgio Chiellini: „Wir sind keine Phänomene und werden es auch nie sein.“ Dafür spielen diese Nicht-Phänomene aber einen Fußball, wie ihn die Alten selten hinbekamen.

Italiens alte Herren siegen abgezockt gegen Spanien

Italiens alte Herren siegen abgezockt gegen Spanien

Graziano Pelle traf in der Nachspielzeit zum 2:0 für Italien gegen Spanien und machte damit alles klar: Deutschland trifft im Viertelfinale auf seinen Angstgegner
Graziano Pelle traf in der Nachspielzeit zum 2:0 für Italien gegen Spanien und machte damit alles klar: Deutschland trifft im Viertelfinale auf seinen Angstgegner © REUTERS | Darren Staples
Piqué hatte in der 89. Minute noch die Riesenchance zum Ausgleich, der Verteidiger scheiterte aber an Buffon
Piqué hatte in der 89. Minute noch die Riesenchance zum Ausgleich, der Verteidiger scheiterte aber an Buffon © REUTERS | Lee Smith
Italien mausert sich immer mehr zum Titelfavoriten bei der EM
Italien mausert sich immer mehr zum Titelfavoriten bei der EM © REUTERS | Darren Staples
Riesenjubel nach dem Spiel bei den Oldies Gianluigi Buffon und Giorgio Chiellini
Riesenjubel nach dem Spiel bei den Oldies Gianluigi Buffon und Giorgio Chiellini © REUTERS | Lee Smith
Buffon war der bärenstarke Rückhalt für Italien. Wie Neuer hat auch er noch kein Gegentor bei der EM kassiert
Buffon war der bärenstarke Rückhalt für Italien. Wie Neuer hat auch er noch kein Gegentor bei der EM kassiert © REUTERS | John Sibley
Nach dem Schlusspfiff schloss er sogar Frieden mit der Latte. Nach dem Belgien-Spiel stürzte er noch beim Griff an den Querbalken
Nach dem Schlusspfiff schloss er sogar Frieden mit der Latte. Nach dem Belgien-Spiel stürzte er noch beim Griff an den Querbalken © REUTERS | Christian Hartmann
Für Titelverteidiger Spanien ist Turnier nach zwei Niederlagen in Folge hingegen früh beendet
Für Titelverteidiger Spanien ist Turnier nach zwei Niederlagen in Folge hingegen früh beendet © REUTERS | John Sibley
Das Spiel war spielerisch und taktisch auf hohem Niveau
Das Spiel war spielerisch und taktisch auf hohem Niveau © dpa | Filip Singer
Chiellini schoss Italien in Führung, als er in dieser Szene den Ball über die Linie drückte
Chiellini schoss Italien in Führung, als er in dieser Szene den Ball über die Linie drückte © dpa | Christian Charisius
War es das für Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque?
War es das für Spaniens Nationaltrainer Vicente del Bosque? © dpa | Christian Charisius
Es ging häufig hart zur Sache
Es ging häufig hart zur Sache © dpa | Christian Charisius
Die spanischen Ballkünstler Andres Iniesta und David Silva waren lange Zeit abgemeldet und fanden erst spät ins Spiel
Die spanischen Ballkünstler Andres Iniesta und David Silva waren lange Zeit abgemeldet und fanden erst spät ins Spiel © dpa | Georgi Licovski
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Die Arbeit von Antonio Conte erhebt dieses Paradox schon jetzt in mythische Dimensionen. Italiens Werdegang ist ein Monument an die Trainerkunst, und in gewisser Weise spielt die „Squadra Azzurra“ an diesem Punkt dann doch mit unfairen Mitteln. Wo Länderauswahlen sonst überwiegend von verdienten Altmeistern mit lange zurückliegender oder überschaubarer Clubkarriere gecoacht werden, ist der 46 Jahre alte Apulier ein herausragender Vertreter des aktuellen Mega-Trainertrends. Einer wie Diego Simeone, Jürgen Klopp, Pep Guardiola. Ein messianischer Anführer, der von der Motivation bis zur Taktik, von der PR bis zur Physis alles im Blick hat und seiner Mannschaft eine Erzählung gibt. Einer, der nicht umsonst das abgestürzte Juventus wieder belebte (2011 bis 2014) und nach der EM bei Chelsea anfängt.

„Italien ist mehr als Catenaccio“ – diesem feierlichen Satz Contes konnte zumindest nach dem Spanien-Spiel keiner widersprechen. Hätte Italien noch die großen Angriffstalente früherer Generationen, es hätte angesichts zahlreicher Großchancen ein Schützenfest feiern können. Aber diese Sturmdiven von einst würden dafür nicht so arbeiten wie die Eders und Pellès bei diesem Turnier, und diese Gefolgschaft ist für den hochtourigen Conte-Fußball fast noch wichtiger als das individuelle Talent.

„Ich versuche alles vorzubereiten. Je weniger neue Probleme während eines Spiels auftreten, umso klarer können wir agieren“, erläuterte der Coach. Chiellini berichtete, dass sogar sein vermeintlich glücklicher Abstauber zum 1:0 nach einem brachialen Freistoß von Eder einer einstudierten Strategie folgte. Natürlich ist auch gegen Deutschland wieder mit einer strategischen Meisterleistung zu rechnen. „Jetzt kommt das Schönste, aber auch das Schwierigste“, erklärte Chiellini. „Bevor wir schlafen gehen, werden wir schon mal ein paar kleine Gedanken den Deutschen widmen.“