Lille. Es war das beste Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei der EM. Im Viertelfinale kann selbst eine solche Leistung zu wenig sein.
Glücksbringer und Joachim Löw sind so eine Geschichte für sich. In der Theorie glaubt der Bundestrainer nur bedingt an die Wirkung eines Talismans. In der Praxis bedient sich der Fußballlehrer aber immer wieder gerne bei kosmischen Kräften. Mal ist es ein Glückspullover (WM 2010), mal eine kleine Statue eines mystischen Ungeheuers (WM 2014) und ab und an bei dieser Europameisterschaft auch ein schwarz-rot-goldenes Glücksbändchen ums Handgelenk. Im Achtelfinale gegen die Slowakei in Lille sollte es vor allem ein magische Datum richten: am 26. Juni 1996 war es, als die deutsche Nationalmannschaft das (später siegreiche) Endspiel der Euro 1996 in England erreichte. Und auf den Tag 20 Jahre später kann festgehalten werden, dass der magische Kalendertag auch in Frankreich seine Wirkung nicht verfehlen sollte:
Deutschland gewann mit 3:0 gegen die Slowakei und trifft nun am Sonnabend auf den Sieger des Südeuropaduells Spanien gegen Italien (18 Uhr/ARD und im Liveticker bei abendblatt.de).
„Es war ein begeisterndes Spiel. Wir haben hochverdient gewonnen“, sagte der überglückliche Mario Gomez, der nur Minuten nach dem Spiel schon an den nächsten Gegner dachte: „Italien und Spanien werden sich kaum hinten reinstellen und auf ihr Glück hoffen. Aber egal gegen wen wir nun spielen, wir müssen auf unser Spiel setzen.“
So ganz und gar nicht als Glückstag fing dieser 26. Juni für den bislang gesetzten Mario Götze an. Erstmals bei dieser EM musste der Noch-Münchner im Spiel gegen die Nummer 24 der Welt zunächst auf der Bank Platz nehmen. Für den bislang Glücklosen durfte Julian Draxler starten. Eine Entscheidung, die Trainer Löw keinesfalls bereuen sollte.
Boateng volley ins Netz, Özil verschießt Elfmeter
Zunächst war es aber der Weltmeister, der ein klitzekleines bisschen Glück benötigte, damit das erhoffte frühe Führungstor fallen konnte. Eine sehenswerte Direktabnahme Jérôme Boatengs touchierte Slowakeis Pechvogel Milan Skriniar noch leicht, ehe es nach nur acht Minuten 1:0 stand. Ausgerechnet Boateng, dessen Einsatz aufgrund von Wadenprobleme noch bis zum Vortag fraglich war. Kein Wunder also, dass sich der Münchner nach seinem Tor direkt bei Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Physiotherapeut Klaus Eder bedankte.
Einzelkritik: Gomez tut der Mannschaft gut
Es dauerte gerade mal bis zur 13. Minute (was manche für einen Zufall halten mögen), ehe es den nächsten Glück-und-Pechmoment zu bestaunen gab. Slowakeis Kapitän Martin Skretel schaffte zunächst das Kunststück, Gegenspieler Gomez gleichzeitig zu schubsen und am Trikot zu ziehen, was insofern mehr als nur Pech war, als dass sich die beiden in der Mitte des Strafraums aufhielten. Die 13. Minute war noch nicht vorbei, als Mesut Özil zum fälligen Strafstoß antrat – und an Matus Kozacik scheiterte.
Ganz schön viel Dusel hatten die harmlosen Slowaken auch im weiteren Spielverlauf, als Löws Mannschaft offenbar versuchte, die ausgelassenen Torchancen aus dem Nordirlandspiel noch einmal zu überbieten. Weil aber Gomez (16.), Özil (18./24.), Sami Khedira (26.), Thomas Müller (27./28.) und Draxler (39.) zum Teil beste Möglichkeiten ausließen, brauchte der Weltmeister kurz vor der Halbzeit selbst (ein wenig) Glück und (ganz viel) Manuel Neuer. Der dreifache Welttorhüter des Jahres faustete einen Kopfball Juraj Kuckas gerade noch über die Querlatte (41.).
Es war die erste und einzige Torchance der Mannschaft um Superstar Marek Hamsik in der ersten Halbzeit, die zum Pech der Slowaken aber noch nicht vorbei sein sollte. Die schönste Kombination des Spiels über Jonas Hector und Draxler vollendete Gomez aus drei Metern zum vorentscheidenden 2:0 (43.).
Löw fordert die nächste Steigerung
Nach dem Torschussfestival der ersten Halbzeit ließ es der Weltmeister im zweiten Durchgang zunächst ein wenig ruhiger angehen. Doch statt Volksheld Hamsik war es dessen optischer Zwillingsbruder Kucka, der nicht nur mit seiner außergewöhnlichen Hahnenkammfrisur beeindrucken konnte. Gleich zweimal (49./58.) wagte der Mittelfeldmann vom AC Mailand sein Glück – wurde allerdings nicht belohnt. Wie man es besser macht, zeigte Draxler, der seine herausragende Leistung mit dem 3:0 krönte (63.).
Der rundum glückliche Löw gewährte zunächst Boateng und anschließend auch Draxler den verdienten Sonderapplaus. Kurz darauf hieß es auf der deutschen Seite dann doch noch einmal: Schwein gehabt. Kapitän Bastian Schweinsteiger sorgte bei seiner Einwechslung eine Viertelstunde vor Schluss für den letzten Glücksmoment des Abends.
„Wir hatten ein paar Probleme ins Turnier zu kommen, aber heute haben wir insgesamt eine gute Leistung gezeigt“, lobte der Bundestrainer, „aber wir müssen uns weiter steigern, wenn wir das Turnier gewinnen wollen.“
Die Statistik
Deutschland: Neuer – Kimmich, Boateng (72. Höwedes), Hummels, Hector – Khedira (76. Schweinsteiger), Kroos – Müller, Özil, Draxler (72. Podolski), – Gomez.
Slowakei: Kozacik – Pekarik, Skrtel, Durica, Gyömber (84. Salata) – Hrosovsky, Skriniar, Hamsik – Kucka, Weiss (46. Gregus) – Duris (74. Sestak).
Tore: 1:0 Boateng (8.), 2:0 Gomez (43.), 3:0 Draxler (63.).
Schiedsrichter: Marciniak (Polen).
Zuschauer: 44.312.
Elfmeter: Kozacik hält Foulelfmeter von Özil (13.).
Gelbe Karten: Kimmich, Hummels – Skrtel (2), Kucka (2).
Torschüsse: 20:7
Ballbesitz: 58:42 %