Hamburgs Toptalent Alexander Zverev steht vor seinem erstem Daviscup-Auftritt. Auch die Tschechen blicken auf den 18-Jährigen.
Seinen 198 Zentimeter langen Körper hat Alexander Zverev in einen Stuhl gefaltet, nun genießt er die Ruhe vor dem Sturm. Philipp Kohlschreiber spricht gerade in die Mikrofone, die ihm Fernseh- und Radioreporter vors Gesicht halten, doch Zverev hört nicht hin. Er scherzt mit Dustin Brown, und wie er so hinter vorgehaltener Hand flüstert und danach breit lacht, wirkt er wie ein 18-Jähriger auf Klassenreise.
Damit dürfte es am Freitag vorbei sein. Dann nämlich soll aus Alexander Zverev, den alle nur Sascha nennen, wieder Deutschlands größte Tennishoffnung werden; der Spieler, auf den Fans und Experten schauen, wenn es darum geht, dass die deutschen Herren in der TUI-Arena in Hannover ihr Erstrundenspiel im Daviscup gegen Tschechien gewinnen sollen. Für Zverev wäre es das Debüt im traditionsreichen Teamwettkampf, sollte Teamchef Michael Kohlmann ihn und nicht Brown als zweiten Einzelspieler hinter der nationalen Nummer eins Kohlschreiber aufbieten. Es wäre ein weiterer Schritt auf dem Weg, sich in der Elite des Filzball-Business zu etablieren.
Zverev spürt nichts als Vorfreude
Am Dienstag, als sich in der TUI-Arena beide Teams erstmals den Medien präsentieren, gibt sich der Hamburger so, wie man ihn in den vergangenen Monaten schon wahrnehmen konnte: wie einer, den die Aussicht auf den nächsten Schritt antreibt, anstatt Aufregung zu verursachen. „Nichts als Vorfreude, auch wenn ich noch gar nicht weiß, welche Emotionen da auf mich zukommen“, sei das, was er verspüre bei dem Gedanken an den ersten Auftritt für sein Land, der schon im vergangenen September im Relegationsspiel um den Weltgruppenerhalt geplant war. Damals jedoch machte ein Virusinfekt die Reise in die Dominikanische Republik unmöglich. „Umso glücklicher bin ich, dass man mir wieder das Vertrauen geschenkt hat und ich in diesem tollen Team dabei sein darf“, sagt Zverev.
Die Frage ist, wer sich mehr freut: Der Newcomer, der in der vergangenen Saison von der Herrentennisorganisation ATP als bester Neuling ausgezeichnet wurde und mittlerweile an Position 58 der Weltrangliste geführt wird? Oder doch das Team, dass es ein Ausnahmetalent, für das Zverev weltweit gehalten wird, in seinen Reihen hat? Zu seiner Rolle im Team hat sich der als selbstbewusst bekannte Jungstar Zurückhaltung auferlegt. Das ist in Hannover deutlich zu spüren, wenn er beispielsweise „den tollen Teamspirit“ lobt oder die Führungsspieler Kohlschreiber und Philipp Petzschner, „die mir mit ihrer Erfahrung sehr helfen können“.
Zverev wird weitestgehend abgeschirmt
Dennoch wird schon am Dienstag deutlich, wer im Fokus des Interesses steht. Zverev muss nach drei Interviews für TV und Radio als einziger Spieler eine Extrarunde mit den Vertretern der Printmedien drehen, so viele Anfragen hatte es gegeben. Einzelinterviews waren, so ist es seit Zverevs Anfängen auf der ATP-Tour Usus, abgelehnt worden. Man will den zweitjüngsten Daviscup-Debütanten nach Boris Becker schützen, auch weil man weiß, dass er Gespräche mit bisweilen nicht allzu fachkundigen Reportern nicht schätzt. Wer Fragen stellt, die ihm nicht gefallen, bekommt das, vor allem nach verlorenen Matches, zu hören. Wer das nicht als eine Mischung aus altersbedingter Renitenz und mangelhafter Erfahrung im professionellen Umgang mit Medien abbucht, der kann den Jungen durchaus schon mal als arrogant empfinden.
Dass er das nicht ist, dafür haben Vater Alexander, einst für die UdSSR selbst im Daviscup aktiv, und Mutter Irina gesorgt, die den jüngeren Sohn seit frühester Kindheit trainieren. Vielmehr ist es die Abneigung gegen das Verlieren, die Sascha antreibt – und die ihn von seinem Bruder Mischa unterscheidet. Der 28-Jährige ist selbst als Profi aktiv, er ist in die Trainingsarbeit mit „dem Kleinen“, wie er Sascha liebevoll nennt, eingebunden. Dass er nicht in Hannover sein kann, sondern in den USA für das Masters in Indian Wells (Start 10. März) trainiert, tut beiden leid. Den Traum vom gemeinsamen Doppeleinsatz für Deutschland haben sie noch nicht abgehakt. Aber jetzt geht jeder erst einmal seinen Weg. Mischa stand 2009 für Deutschland im Daviscup-Viertelfinale in Spanien auf dem Platz, und von den Erfahrungen, die er gemacht hat, profitiert sein Bruder, der stets als das größere Talent galt, erheblich. Mischa war – und ist – auch nach Niederlagen freundlich und ansprechbar, ihm fehlt die Mentalität, den Kontrahenten vernichten zu wollen, die diejenigen haben, die es ganz nach oben schaffen. Und er ging als junger Mann mit seinem Körper nicht immer so pfleglich um, wie es Leistungssportler tun sollten.
Pilic hält große Stpcke auf Zverev
Der Jüngere hat daraus gelernt. Als er 2014 am Hamburger Rothenbaum völlig überraschend das Halbfinale erreichte, gab es viele, die ihm die Qualität bescheinigten, die Top Ten knacken und sogar ein Grand-Slam-Turnier gewinnen zu können. Allerdings folgte diesen Mutmaßungen stets der Zusatz, er müsse dafür seinen schlaksigen Leib an die Anforderungen der Profitour anpassen. Der langjährige Daviscup-Kapitän Niki Pilic, in Hannover wie gewohnt als Berater des deutschen Teams vor Ort, sagt: „Sascha hat alle Anlagen, um ein großer Spieler zu werden, vor allem hat er einen guten Kopf. Er muss nur gesund bleiben.“
Darauf hat Zverev zuletzt das größte Augenmerk gerichtet. Mit Jez Green hat er seit einem Jahr einen Athletikcoach fest in seinem Team, mit dem er in der kurzen Winterpause und auch nach dem Erstrundenaus bei den Australian Open im Januar gegen den späteren Finalisten Andy Murray hart an seiner Physis gearbeitet hat. „Ich bin körperlich ein anderer Spieler als 2015. Ich habe viele Kleinigkeiten verändert, bin stabiler geworden“, sagt er.
Berdych: „Schon eine besondere Situation“
Auch im tschechischen Team ist Zverev ein Thema. „Er ist einer dieser Jungen mit Riesenpotenzial, die extrem aufholen. Aber er ist auch ein Debütant im Daviscup, und das ist schon eine besondere Situation“, sagt Topspieler Tomas Berdych, der sich vor zwei Wochen im französischen Marseille im Achtelfinale über drei Sätze mühen musste, um im zweiten Duell mit Zverev den zweiten Sieg zu schaffen. „Da war ich etwas müde. Jetzt, mit dem Heimvorteil im Rücken, ist es eine andere Situation“, sagt Sascha Zverev. Wenn Kohlmann ihn aufstelle, „dann werde ich auf den Platz gehen und alles geben, weil ich davon überzeugt bin, dass ich gewinnen kann.“
Der Terminkalender der ATP will es so, dass das Viertelfinale im Daviscup in diesem Jahr zeitgleich mit dem Turnier am Rothenbaum (9. bis 17. Juli) ausgetragen wird. Ein Erfolg in Hannover könnte also das Aus des vertraglich gebundenen Lokalmatadoren für sein Lieblingsturnier bedeuten. „Darüber mache ich mir erst Gedanken, wenn wir im Viertelfinale stehen“, sagt Sascha Zverev. Er hat jetzt andere Prioritäten: Erfahrung sammeln, Spaß haben – und ihn genießen, den Sturm nach der Ruhe.