Hamburg. Nach 18 Jahren pfeift mit Patrick Ittrich wieder ein Hamburger in der Bundesliga. Los geht’s mit der Partie Wolfsburg gegen Ingolstadt.
Kaum hat Patrick Ittrich, 37, die Vereinsgaststätte „Madison“ seines MSV Hamburg an der Kandinskyallee betreten, geht das Händeschütteln los. „Wir sind stolz auf unseren Patrick“, sagt MSV-Präsident Peter Kossmann. Können sie auch sein. Denn Hamburgs bester Mann an der Pfeife hat sein großes Ziel erreicht: Ab heute pfeift er in der Bundesliga.
Hamburger Abendblatt: Herr Ittrich, dieses Interview erscheint am Tag Ihres ersten Einsatzes in der Bundesliga als Schiedsrichter. Sie leiten am Sonnabend die Partie Wolfsburg gegen Ingolstadt. Werden Sie Lampenfieber haben?
Pattrick Ittrich: Nein. Ich bin nie nervös, höchstens positiv aufgeregt. Diesmal wird es nicht anders sein. Die Bundesliga ist ja kein Neuland für mich. Acht Jahre als Assistent zeigen einem, wie der Hase dort läuft.
Das klingt so abgeklärt. Reagierten Sie ähnlich cool bei Ihrer Beförderung?
Ittrich : Da war ich baff. Am 29. Dezember rief mich Herbert Fandel an, der Chef der DFB-Schiedsrichter-Kommission. Ich war mit meiner Familie beim Rodeln in Südtirol. Fandel erklärte mir, dass mich die Schiedsrichter-Kommission für die Rückrunde als Schiedsrichter für die Bundesliga nominieren möchte. In meinem Gesicht wechselten sich wohl Überraschung und Ungläubigkeit ab. Meine Frau Sahra dachte, es sei was Schlimmes passiert.
http://Mainz_besiegt_Schalke_mit_2-1{esc#207039791}[gallery]
Lassen Sie uns kurz auf Ihren Werdegang schauen. Sie haben schon mit 14 Jahren beim MSV Hamburg den Schiedsrichterschein erworben. Was verbinden Sie mit Ihrem Stadtteilverein?
Ittrich : Meinen sportlichen Werdegang. Der MSV ist meine Heimat. Ich bin in Mümmelmannsberg aufgewachsen. Schule aus, Ranzen in die Ecke, Fußball. Das waren noch Zeiten. Im Vereinshaus, in dem wir gerade sitzen, habe ich fast gewohnt. Mit 15 war ich hier übrigens für alle der Pumuckl. Rote Haare, St. Pauli-Fan. Auch diese Selbstfindungsphase gehört für mich dazu. Heute mag ich als neutraler Hamburger St. Pauli und den HSV.
Erdet es, in Mümmelmannsberg und nicht in Blankenese aufzuwachsen?
Ittrich : Das will ich so nicht sagen. Geerdet hat mich das Leben. Der Tod meiner Mutter vor drei Jahren, die Geschichte mit Babak Rafati, meine drei Kreuzbandrisse. Ich habe viele extreme Situationen erlebt und denke: Man wird stets zum Ursprung zurückgeführt. Das ist gut so. Bloß weil man etwas erfolgreicher ist, sollte man nicht abheben.
Haben Sie heute noch Kontakt zu Babak Rafati, dem Sie am 19. November 2011 nach seinem Selbstmordversuch das Leben retteten?
Ittrich : Nein. Die Sache ist für mich abgeschlossen. Auch er hat seinen Schlussstrich gezogen. Was damals passiert ist, war schrecklich für uns alle. Jetzt sind wir alle wieder gesund. So soll es bleiben.
Sie pfiffen beim nach Fanausschreitungen abgebrochenen Schweinske-Cup 2012. Auch eine extreme Situation?
Ittrich : Nicht so extrem, dennoch traurig. Von Beginn an herrschte eine aggressive Stimmung. Ich kannte dieses großartige Turnier lange. Unglaublich schade, dass alles durch Gewalt kaputt gemacht wurde. Zu der Zeit war ich als Polizist am PK 33 tätig. Mein Chef war Einsatzleiter – und ich habe unten gepfiffen. Eine spezielle Situation.
Haben Sie durch all diese Erlebnisse eine besondere Druckresistenz entwickelt, die Ihnen auf dem Feld zugute kommt?
Ittrich : Ich will mich nicht höher stellen als andere. Sicher gehe ich mit vielen Sachen lockerer, leichter um. Ich weiß, was im Leben passieren kann. Man darf nicht alles auf die Goldwaage legen.
Sie geben einen Elfmeter, 50.000 Leute pfeifen. So was lässt Sie kalt?
Ittrich : Wenn dir jemand auf einer Bezirkssportanlage direkt ins Gesicht brüllt, ist das unangenehmer. Trotzdem pfeife ich nach wie vor gerne bei den Amateuren. Das ist grundehrlicher Fußball. Den Kontakt zur Basis will ich nicht verlieren. Bei Profispielen entwickelt man als Schiedsrichter Scheuklappen für den Fußballplatz. Anfeindungen aus einer anonymen Masse nehme ich gar nicht so wahr.
Sie sind Verkehrslehrer für Kinder bei der Polizei. Trifft es Sie denn, wenn Fans Ihren Beruf als Polizist verunglimpfen?
Ittrich : Das geht mit unter. Viele Leute gehen zum Fußball, um inneren Druck loszuwerden. Das Spiel interessiert sie nicht so und ich bin dann ihr Ventil. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle eine Lanze für die Polizei brechen.
Bitte sehr.
Ittrich : Manche Fans scheinen zu denken, Polizisten hätten nichts anderes zu tun als Linken bei einer Demo etwas auf den Kopf zu hauen. Das stimmt einfach nicht. Polizisten müssen Todesnachrichten überbringen, den Verkehr bei minus drei Grad und Nieselregen regeln, Verbrecher jagen, um ihr Leben kämpfen und vieles mehr. Ich möchte die Leute nicht erleben, wenn sie wirklich Hilfe brauchen. Deshalb finde ich es eigentlich eine Frechheit, wie manchmal mit uns umgegangen wird. Polizisten verdienen Respekt und keine Abwertung.
Wie gehen Sie denn damit um, wenn ein Spieler vor Ihnen steht und pöbelt?
Ittrich : Ich glaube, der Umgang mit Spielern ist eine meiner Stärken. Ich habe eine relativ hohe Akzeptanz erlangt. Mein Schiri-Coach Jürgen Jansen gibt mir gute Tipps. Und seit Jahren arbeite ich mit einem Sportpsychologen von der Uni Potsdam zusammen. Das ist extrem hilfreich. Mein Rezept ist es, aus den Spielern erst einmal die Luft rauszunehmen. Manchmal muss man Pöbelei im gewissen Rahmen zulassen – und bespricht das bei der nächsten Spielunterbrechung in aller Ruhe. Das sind Erfahrungswerte. Man kann das erlernen. Außerdem bin ich Hamburger. Ein paar Sprüche fallen mir immer ein. Natürlich ist die Fitness die Basis für alles. Fünf Trainingseinheiten die Woche. Sprints, Intervallläufe, lange Dauerläufe, Stabilisationstraining, Crossfit. Ich muss stets körperlich voll da sein, sonst hätte ich in der Bundesliga nichts verloren!
Sie sind der erste Hamburger Schiedsrichter in der Bundesliga seit Michael Malbranc vor 18 Jahren. Nun wollen wir nicht mit Patriotismus anfangen, aber …
Ittrich : Warum nicht? Auf den Spielberichtsbögen einer der besten Ligen der Welt steht jetzt „Patrick Ittrich (Hamburg)“. Ich vertrete meinen Verband und meine Stadt. Das ist doch Weltklasse, da werde ich emotional.
Sie sagten, Sie wissen wie der Hase in der Bundesliga läuft. Wie läuft er denn?
Ittrich : Das Spiel ist meist schneller, technisch besser. Man kann die Spielleitung besser gestalten, mehr laufen lassen. Dafür stehen wir Schiedsrichter stärker medial im Fokus.
Empfinden Sie es als ungerecht, dass Schiedsrichter meist nur interviewt werden, wenn Sie Fehler zugeben sollen?
Ittrich : Da liegt an unserem Job. Wir werden daran gemessen, richtige Entscheidungen zu treffen. Richtige Entscheidungen sind normal, falsche Entscheidungen werden kritisiert. Die Kameraweisheit verfolgt uns, aber damit können wir umgehen.
Würden Sie sich in der Öffentlichkeit hinstellen und sagen: Das habe ich falsch entschieden?
Ittrich : Weiß ich noch nicht. Ich denke, ein Schiedsrichter hat eine gewisse Verpflichtung, der Öffentlichkeit gegenüber darzustellen, warum er wie entschieden hat. Schon weil er durch seine hohe Regelkenntnis manches aufklären kann. Andererseits werden heutzutage Entschuldigungen fast schon verlangt. Doch Sie können mir glauben: Jeder Schiedsrichter ärgert sich maßlos, wenn er einen Bock schießt. Er ist einige Tage negativ im Gespräch. Da sollte man keinem böse sein, der sich nicht zusätzlich öffentlich entschuldigt.
Sind Sie für den Videobeweis?
Ittrich : Nach Toren bin ich eher dafür. Dann ist eine zeitnahe Kausalität gegeben. Das Spiel ist unterbrochen, es kann schnell überprüft werden. Doch es muss klar abgesteckt sein: Wo fängt man an, wo hört man auf? Überprüfe ich Ecken und Einwürfe von vor zwei Minuten, wird der Spielfluss zerstört. Außerdem gibt es nicht nur Schwarz oder Weiß. Gerade bei Elfmetern gibt es oft so viele Meinungen. Der Graubereich lässt sich nicht völlig auflösen.