Hamburg. Der Wahlhamburger Boris Herrmann gilt als Deutschlands schnellster Weltumsegler – sein letzter Rekordversuch scheiterte nur knapp.

Der erste Kaffee und der erste Orangensaft, der erste Duft einer Pflanze, das erste Geräusch von Menschen, von Zivilisation und der erste Kuss seiner Freundin Birte. „Das alles war ein langersehnter Hochgenuss“, sagt Boris Herrmann. Das Leben fange quasi wieder neu an nach 47 Tagen der totalen Entbehrung auf einem Segelboot.

Am 8. Januar kehrte Deutschlands schnellster Weltumsegler zurück von seinem nur knapp gescheiterten Weltrekordversuch bei der Jules-Verne-Trophy, der Mutter aller Langstreckenregatten, benannt nach dem Autor des Abenteuerromans „In 80 Tagen um die Welt“.

Der Wahlhamburger Herrmann ist ein moderner Abenteurer. Ein weltweit gefragter Navigator. Ein Segler aus dem Bilderbuch: braun gebrannt, Zehntagebart, sonnenblonde Strähnen im braunen Haar. An den 100 Tagen im Jahr, an denen der 34-Jährige zu Hause ist, wohnt er in der HafenCity. Wo sonst?

Das jüngste Abenteuer des gebürtigen Oldenburgers war bereits sein dritter Törn um den Globus. Diesmal gehörte er zur sechsköpfigen Crew des Trimarans „Idec Sport“. Das 31,5 Meter lange und vier Millionen Euro teure Dreirumpfboot unter dem Kommando des französischen Skippers Francis Joyon lag noch bis Weihnachten auf Weltrekordkurs.

Doch dann machte das berüchtigte Hoch „St. Helena“ den Männern im Südatlantik einen Strich durch die Rechnung. Bei der Zieldurchfahrt im Westausgang des Ärmelkanals verfehlte die „Idec“-Besatzung die Rekordzeit von 45 Tagen, 13 Stunden, 42 Minuten und 53 Sekunden um fast genau zwei Tage. Immerhin segelte sie die drittschnellste jemals erzielte Zeit.

Herrmann wäre der erste deutsche Gewinner der Jules-Verne-Trophy gewesen. Er gibt nicht auf. Für dieses Großprojekt benötige man in der Regel drei Anläufe, sagt der Mann, der die innere Ruhe eines Hochseeseglers ausstrahlt. Er beschreibt poetisch: „Es war ein sehr kalter Kampf mit goldenen Momenten zwischen Himmel und See, wenn das Boot in einer glitzernden Schaumwolke mit unbeschreiblichen 90 km/h über die Weite des Ozeans prescht, Tausende Kilometer vom Land und jeder Rettung entfernt.“

Der Segelsüchtige, der schon als sechs Wochen altes Baby mit seinen Eltern auf einem Segelboot schaukelte, stellte 2015 sechs Weltrekorde auf. Dazu gehörte die prestigeträchtige Transpazifikroute von San Francisco nach Hawaii. Und die erste Durchsegelung der Nordostpassage (nördlich an Europa entlang, am arktischen Eis vorbei). Kassiert der Rekordjäger auch automatisch Rekordgehälter?

„Nö, Segeln ist nicht so gesegnet mit viel Geld und Sponsoren, besonders nicht in Deutschland“, sagt der Diplomökonom. „Deshalb segle ich so viel für ausländische Teams, weil es in England, Amerika und Frankreich einfacher ist, Sponsoren zu finden.“ Speziell in England und Frankreich gebe es durch die Marinetradition eine große Seefahrtskultur. Herrmann spricht inzwischen fließend Französisch.

Der Extremsegler navigierte auch schon den dreimaligen Olympiasieger Jochen Schümann, 61. Die Rolle des Navigators erklärt Herrmann so: „Ich kümmere mich um den Kurs, die Route, die Wetterstrategie und die Bordelektronik.“ Schümann ist für ihn das beste Beispiel dafür, dass eine Segelkarriere nicht mit Anfang 30 vorbei ist. Segeln sei kein Fußball. „Segeln ist ein Erfahrungssport.“ Sein Vater Moritz umrundet gerade mit 73 Jahren erstmals die Erde – nicht nonstop, sondern gemütlich über mehrere Jahre. „Gerade hat er Schiffbruch vor Papua-Neuguinea erlitten“, erzählt Boris Herrmann. Und schüttelt amüsiert den Kopf.

Die „Idec-Sport“,
ein 31,5 Meter langes
Dreirumpfboot
Die „Idec-Sport“, ein 31,5 Meter langes Dreirumpfboot © HA | Boris Herrmann

Er selbst genießt momentan die Zeit an Land. Zu Hause. In Hamburg. Vergangene Woche hielt er einen Vortrag vor Fünftklässlern der Stadtteilschule Stellingen. Nicht ganz zufällig, denn seine Freundin Birte Lorenzen, 31, ist die Kunstlehrerin der 5c. Die Kinder hatten in einer Projektarbeit seinen Weltrekordversuch mitverfolgt. Herrmann brachte den Schülern das ultraleichte Segleressen zum Probieren mit. Pappiges Müsli, Nüsse, Milchpulver, in Tüten aus silbrigen Folien. Er erzählte von dem 700 Meter breiten Eisberg, Albatrossen, Walen, fliegenden Fischen und dem Hai. Und der Party an Bord, als sie das berüchtigte Kap Hoorn passierten. „Da wurde auf Autopilot geschaltet.“

Herrmann beschrieb den Schlaf-Wach-Rhythmus: jeweils zwei Stunden schlafen und zwei Stunden wach sein. Er zeigte Fotos von zwei Schlafsäcken, die sich die Crew zu sechst teilte, um Gewicht einzusparen. Und ja, es gibt auch eine Toilette auf dem Boot. „Aber ohne Spülung, nur mit biologisch abbaubaren Tüten, die man über Bord wirft“, erzählt Herrmann.

Das ökologische Bewusstsein ist eines seiner Lieblingsthemen. „Ich finde es faszinierend, dass man jetzt schneller mit einem Segelboot um die Erde kommt, als es jedes Motorboot könnte. Man verbraucht keinen Tropfen Kraftstoff, man hinterlässt nur die Spur des Kielwassers.“ Selbst der benötigte Strom für zwei Laptops an Bord wird über Solarzellen und Windpropeller erzeugt.

Per Laptop hielt er auch E-Mail-Kontakt zu seiner Freundin. Die 47 Tage der Trennung waren hart. An Weihnachten hatte er einen emotionalen Tiefpunkt. Das Essen ekelte ihn an beim Gedanken an die Familienfeier zu Hause. Birte Lorenzen sagt: „Für mich war das eine Mischung aus Mitfiebern und Vermissen.“ Sie stand morgens mit dem GPS-Tracker seines Bootes auf. Und ging abends mit dem Tracker schlafen.

Und wie geht es weiter? Boris Herrmann sucht derzeit Sponsoren für eine Tour über den Atlantik im Mai. Es wird ihn schon bald wieder hinaus auf die Weltmeere ziehen. „Wir Segler können gar nicht anders.“