Fritz Sdunek verstarb im Alter von 67 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes. Ein Nachruf auf einen der weltbesten Boxtrainer mit einem großen Herzen, der immer Optimismus versprühte.
Hamburg. Ende November war Fritz Sdunek mit seinem Schwergewichtsweltmeister Ruslan Chagaev und seinem Cruisergewichtler Juan Carlos Gomez im Trainingslager an der Ostsee. Nach dem täglichen Saunagang forderte er die Athleten auf, mit ihm Wettläufe zu machen, die rund 100 Meter von der Therme bis ins eisig kalte Meer hinein. Oft war der Coach der Erste im Wasser, und er war derjenige, der am wildesten darin herumtauchte. „Stellt euch nicht so an“, rief er seinen Jungs zu, wenn die sich zierten, weil sie froren. Stärke zeigen, Grenzen überwinden – das war ihm immer wichtig. Vor allem dann, wenn es darum ging, für andere da zu sein. Andere stark zu machen, das war seine Lebensaufgabe.
Seit Montagmorgen kann der Mann, der als einer der größten Boxtrainer der Welt in Erinnerung bleiben wird, dieser Aufgabe nicht mehr nachgehen. Fritz Sdunek erlag im Alter von 67 Jahren im Amalie-Sieveking-Krankenhaus in Volksdorf an den Folgen seines zweiten Herzinfarkts. Diesen hatte er am vorvergangenen Wochenende bei einer Privatreise auf Rügen erlitten, am vergangenen Montag war er in Hamburg operiert worden.
Doch wie schon nach seinem ersten Infarkt zu Pfingsten 2008 schien die Genesung so rasch voranzugehen, dass er am gestrigen Montag entlassen werden sollte. Sdunek war schon abmarschbereit und in Erwartung seiner Entlassungspapiere, als erneut Kammerflimmern (pulslose Herzrhythmusstörung) auftrat. Zwei Stunden lang versuchten die Ärzte, ihn zu reanimieren, aber ohne Erfolg.
Noch am Sonntag hatte Sdunek damit geliebäugelt, gemeinsam mit seiner Ehefrau Carola, 64, nach Gran Canaria zu fliegen und dort die Weihnachtstage und den Jahreswechsel mit Tochter Kati, 39, und den Enkeln Delia und Can zu verbringen, so wie es Tradition war. Kati hatte die Reise in diesem Jahr wegen der Sorge um ihren geliebten Vater nicht antreten wollen. Die Ärzte hatten sie beruhigt, weil sie überzeugt waren, dass Fritz Sdunek auch diesmal stärker sein würde als jede Herausforderung, die sein Körper ihm stellte.
Boxwelt reagierte mit großer Bestürzung
Die Nachricht vom Tod ihres Vaters erhielt Kati am Montagmorgen von ihrer Mutter, die bei ihrem Mann geblieben war. Sduneks Sohn Mario Reich, 46, mit dessen Mutter der Coach vor seiner Eheschließung eine Beziehung gehabt hatte, erfuhr es durch Carola in seiner Pinneberger Wohnung. Wenn die erste Trauer verarbeitet ist, will die Familie gemeinsam über die Art und den Termin der Bestattung entscheiden.
Die Boxwelt reagierte mit großer Bestürzung auf die Nachricht, Weggefährten, Schützlinge und auch Konkurrenten kondolierten auf allen Kanälen. Allen voran Vitali Klitschko, 43. Der langjährige Schwergewichtsweltmeister, der heute als Bürgermeister seiner Heimatstadt Kiew in der Politik kämpft, hatte 1996 gemeinsam mit seinem Bruder Wladimir, 38, beim Hamburger Universum-Stall seine Profikarriere gestartet – mit Sdunek als Cheftrainer. Und anders als sein Bruder, der 2004 zum vor zwei Jahren an Krebs verstorbenen US-Starcoach Emanuel Steward gewechselt war, hatte Vitali Klitschko bis zu seinem Karriereende im Herbst 2012 alle seine 47 Profikämpfe mit Sdunek in der Ringecke bestritten.
„Mit Fritz verlieren wir sportlich einen Weltklassetrainer, vor allem aber einen ganz besonderen Menschen“, sagten die Brüder, „wir konnten mit ihm über alles reden. Für uns war er wie ein Ersatzpapa.“ Ex-Halbschwergewichts-Champion Dariusz Michalczewski, 46, neben den Ukrainern der bekannteste Profi unter Sduneks Fittichen, sagte: „Ich weine und bin schockiert. Wir waren beste Freunde. Er war wie ein Vater für mich. Wir waren sozusagen verheiratet.“
Das väterliche Vertrauen, das der am 18. April 1947 in Lüssow bei Greifswald geborene Sdunek bei all seinen Athleten aufzubauen versuchte, war das Erfolgsgeheimnis des Weltmeistermachers. Gleichzeitig forderte die Bereitschaft, zu jeder Tages- und Nachtzeit für seine Athleten da sein zu wollen, ihren Tribut im Privatleben. Als seine größte Niederlage hat Sdunek immer den Fakt gesehen, nicht so viel Zeit für die Familie gehabt zu haben, wie diese verdient hätte. Vor allem die mangelnde Bereitschaft, sich selbst zu schonen, wurde dem Boxfanatiker zum Verhängnis.
Sdunek versprühte immer Optimismus
Die Warnsignale, die ihm sein Körper nicht nur mit dem ersten Infarkt, sondern auch mit einer 2007 überstandenen Hautkrebserkrankung und Operationen an beiden Hüften sendete, ignorierte Sdunek weitgehend, auch wenn ihn seine Familie immer wieder zur Ruhe ermahnte. „Ich muss lernen, Nein zu sagen“, diese Erkenntnis hatte er nach dem ersten Infarkt gewonnen. Umgesetzt hat er sie nicht.
Fritz Sdunek war bereit, den Preis des Lebens zu zahlen, um als der Boxtrainer anerkannt zu werden, der er war, und wahrscheinlich wäre er ohne diese Opferbereitschaft niemals so weit gekommen. Es waren ja nicht nur die vielen illustren Namen, die sich dank seiner Hilfe zu Weltmeisterehren durchschlagen konnten; Männer wie die Klitschkos, Michalczewski, Artur Grigorian, Zsolt Erdei oder Felix Sturm, die er in seiner Zeit als Universum-Coach betreute oder auch nach dem erzwungenen Abschied vom Hamburger Erfolgsstall Ende 2009 als selbstständiger Trainer.
Nein, Sdunek, der als Aktiver in der DDR nur auf eine mittelmäßig erfolgreiche Karriere zurückschauen konnte, war auch bei den Amateuren höchst erfolgreich. 1985 führte er drei Sportler aus seiner Trainingsgruppe bei der EM in Budapest zum Titel, 1988 gewann er mit Andreas Zülow in Seoul Olympiagold. „Mein Wunsch war es immer, mit jungen Menschen zu arbeiten, sie zu erreichen und zu motivieren, damit sie ihre Ziele und Träume verwirklichen konnten“, sagte Sdunek in seiner 2012 erschienenen Biografie „Durchgeboxt – Mein Leben am Ring“.
Wer Fritz Sdunek erleben durfte im Umgang mit seinen Athleten, der lernte einen Menschen kennen mit einem großen Herzen, der immer Optimismus versprühen, aber gleichzeitig auch höchste Disziplin und Leistungsbereitschaft einfordern konnte, und der immer offen seine Meinung sagte. Wie kaum ein Trainer seines Alters war er bereit, sich neuen Trainingsmethoden zu öffnen.
„Wenn das Ende kommt, dann kommt es eben“
Das „Stehlen mit den Augen“, das er bereits zur DDR-Zeit in der Kooperation mit anderen Sportarten gelernt hatte, perfektionierte Sdunek zu seiner Zeit in Hamburg. Dass er trotz seiner vielen Erfolge auch immer bereit war, die Drecksarbeit zu machen, dass er in seiner Anfangszeit bei Universum parallel als Hausmeister im Gym arbeitete, hat ihm über die sportlichen Meriten hinaus viel Respekt eingebracht.
Viele Wegbegleiter haben vermutet, dass Sdunek irgendwann am Ring sterben würde, weil er ja doch selten woanders anzutreffen war. Er selbst hat sich seinen Tod anders gewünscht. „Am liebsten wäre es mir, ich würde einfach irgendwann morgens nicht mehr aufwachen. Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Wenn das Ende kommt, dann kommt es eben. Angst habe ich nur davor, mich mit Schmerzen quälen zu müssen, oder, noch schlimmer, anderen mit meinen Leiden zur Last zu fallen“, hat er einmal in einem der vielen langen Gespräche, die er gern mit Journalisten führte, gesagt.
Besonders der letzte Teil des Wunsches war typisch für den Mann, der so lange an die anderen dachte, bis für ihn selbst keine Gedanken mehr übrig waren. Und es ist ein Trost an einem Tag, an dem schwer Trost zu finden ist, dass ihm wenigstens dieser Wunsch erfüllt worden ist.