2016 soll in Hamburg das Jahr des Turnens werden. Für eine deutsche Meisterschaft aber fehlt das Geld. Hat das Folgen für die Olympiabewerbung?
Hamburg. Barry Mattern ist sich sicher, dass er eine gute Zeit verleben wird in Deutschland. Nach der Ankunft in Hamburg am Dienstagmorgen blieb dem Chef der Artistic Sports Academy Plus und seinen sechs jungen Turnerinnen aus Harrisburg (USA) noch genügend Zeit, um die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu erkunden. Am Mittwoch ging es dann zum Sightseeing nach Berlin. Von Donnerstag an wird sich die Reisegruppe zwar vornehmlich nur noch in der Sporthalle Wandsbek aufhalten. Aber Mattern weiß aus der Erfahrung von vor zwei Jahren, dass sie dort bei den Hamburg Gymnastics am Freitag und Sonnabend eine ganz besondere Atmosphäre erwartet: „Die Halle war damals voller Zuschauer, das kennen wir von zu Hause gar nicht. Wir werden es genießen.“
Zum sechsten Mal bereits steht dieser selbst erdachte Mannschaftswettkampf auf dem Hamburger Sportkalender. Großartig bewerben muss Petra Schulz, die Initiatorin und Organisationsleiterin vom Verband für Turnen und Freizeit (VTF), die Veranstaltung schon länger nicht mehr. Mehr als 100 Spitzenturnerinnen aus zehn Nationen haben sich für dieses Jahr angemeldet – und das obwohl viele von ihnen, auch die US-Riege, die Reisekosten selbst tragen müssen. „Wir konnten das Niveau von Jahr zu Jahr steigern“, sagt Schulz.
Die nächste Entwicklungsstufe für das Gerätturnen in Hamburg hat sie bereits vor Augen: die deutschen Meisterschaften 2016. Es ist das Jahr, in dem sich die Gründung der Hamburger Turnerschaft, des weltweit zweitältesten noch bestehenden Sportvereins, zum 200. Mal jährt. Der VTF würde aus diesem Anlass gern ein „Jahr des Turnens“ ausrufen, dessen sportlicher Höhepunkt Ende Juni die deutschen Meisterschaften wären. Die sind sechs Wochen vor den Olympischen Spielen zugleich die entscheidende Ausscheidung für Rio – ein erlesenes Teilnehmerfeld somit garantiert, Gaststarter aus dem benachbarten Ausland inklusive.
An der Unterstützung des Deutschen Turner-Bundes für das Ansinnen mangelt es nicht. Der DTB ist von jeher bestrebt, seine wichtigsten Meisterschaften in Großstädten zu platzieren. Präsident Rainer Brechtken ist eigens nach Hamburg gereist, um beim Sportamt für die Veranstaltung zu werben.
Wohl nicht ganz ohne Erfolg: 50.000 Euro hat die Stadt den Turnern für das Jahr 2016 zugesagt. Damit ließen sich deutsche Meisterschaften wohl finanzieren, glaubt Schulz. Mehr allerdings nicht: „Das würde bedeuten, dass alle anderen Veranstaltungen, die wir geplant haben, ausfallen müssten.“
Gedacht sei dabei an den Internationalen Sportkongress, den der VTF alle zwei Jahre ausrichtet, eine Jubiläumsgala bei der HT16 sowie eben die Hamburg Gymnastics. Die unterstützt die Stadt bisher mit jährlich 10.000 Euro – mit den Eintritts-, Sponsoren- und Startgeldern allein wären die Organisationskosten nicht zu decken. Auch eine Meisterschaft im Trampolin, in dem der Bramfelder SV zu den bundesweit führenden Vereinen zählt, würde in das Konzept des Turnjahrs passen.
All dies den deutschen Meisterschaften zu opfern wäre im größten Sportverband der Stadt mit seinen mehr als 165.000 Mitgliedern, die bis auf wenige Hundert eher breitensportlich aktiv sind, laut Schulz nicht vermittelbar: „Wir wollen den Fokus ja das ganze Jahr aufs Turnen lenken.“
Bis Ende des Jahres müsste Hamburg dem DTB eine Rückmeldung geben. Sollte sie negativ ausfallen, könnte sich das womöglich nachteilig auf die Olympia-Ambitionen auswirken. Bislang, so ist zu hören, könnte sich die Verbandsspitze durchaus mit Hamburg als Gastgeber der Spiele 2024 folgende anfreunden. Immerhin ist die Stadt in den Führungsgremien durchaus vernetzt. Generalsekretär Hans-Peter Wullenweber war vor seinem Wechsel zum DTB 1991 Hauptgeschäftsführer des Hamburger Sportbundes. Und Petra Schulz leitete bis vergangenes Jahr das einflussreiche Technische Komitee.
Ein Verzicht auf die deutschen Meisterschaften könnte die wohlwollende Stimmung kippen lassen. Schon die Bewerbung um die WM 2019 hatte der DTB im vergangenen Jahr Hamburg vergeblich angedient. Die Kosten von fünf bis sieben Millionen Euro hatten die Stadt zurückschrecken lassen.
Ausgaben dieser Größenordnung für eine Einzelveranstaltung, das hatte Senator Michael Neumann erst jüngst in einem Interview mit dem Abendblatt klargestellt, seien außerhalb der vier Hamburger Schwerpunktsportarten Hockey, Rudern, Schwimmen und Beachvolleyball nicht vorstellbar: „Wir haben hier nun einmal keinen Olympiastützpunkt für Radsport oder Gerätturnen. Daher denken wir in diesen Sportarten derzeit auch nicht über eine Weltmeisterschaft nach.“
Schulz allerdings glaubt, dass das Geld im Hinblick auf die Hamburger Olympiabewerbung gut angelegt gewesen wäre: „Turnen ist in Asien, den USA und dem gesamten russischsprachigen Raum überaus populär. Als Gastgeber eines Großereignisses könnte die Stadt in einer olympischen Kernsportart bei einflussreichen Verbänden punkten.“
Die WM-Chance ist inzwischen vertan. Hamburg hätte sich bis Juni erklären müssen. Der DTB hat seine Kandidatur aber nicht abgeschrieben. Neben Stuttgart stünde Hamburgs Olympiarivale Berlin als Ausrichter bereit.