Die Kammer im Landgericht Hamburg sah es als erwiesen an, dass der 56-Jährige drei SMS mit Morddrohungen an mehrere Geschäftspartner versandt hat. Das Urteil fiel nach zehn Monaten Prozessdauer.
Sein Gesicht wirkte versteinert, nur die schweren Atemzüge, die er durch den geöffneten Mund tat, verrieten seine tiefe Bestürzung. Der Hamburger Boxpromoter Waldemar Kluch, Geschäftsführer des seit November 2012 insolventen Profistalls Universum, ist am Montag vor dem Landgericht Hamburg wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter und vollendeter Nötigung sowie versuchten Betrugs zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Kammer um den Vorsitzenden Richter Bernd Steinmetz sah es als erwiesen an, dass der 56-Jährige im Januar 2013 drei SMS mit Morddrohungen an mehrere Geschäftspartner versandt hatte, darunter auch Universum-Gründer Klaus-Peter Kohl, 70. Der Großgastronom hatte Kluch im Juli 2011 sein Unternehmen verkauft, große Teile der Kaufsumme von 1,5 Millionen Euro aber nie erhalten. Daraufhin hatte er die Zwangsvollstreckung durchgesetzt, in deren Folge er die SMS erhielt.
Die Kammer blieb mit ihrem Strafmaß ein halbes Jahr unter der Forderung von Oberstaatsanwalt Arnold Keller, Kluchs Verteidiger Ina Franck und Ingo Voigt hatten auf Freispruch plädiert. Sie müssen nun innerhalb einer Woche entscheiden, ob sie gegen das Urteil Revision beim Bundesgerichtshof einlegen wollen.
Kluch war am 7. Mai 2013 in seinem Haus östlich von Hamburg festgenommen worden und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Ermittler hatten ein Mobiltelefon sichergestellt, auf dem sich mehrere Droh-SMS an verschiedene Empfänger befanden. Die Frage, an der sich Kluchs Verteidigung abarbeitete, um den Hauptvorwurf der räuberischen Erpressung zu entkräften, war: Wer hat diese SMS geschrieben? So soll das von der Polizei als Täterhandy identifizierte Nokia e72 nicht die Funktion bieten, SMS in kyrillischer Schrift zu schreiben – einige der Drohungen waren jedoch in russischer Sprache verfasst, der sich Kluch in Schriftform als nicht mächtig beschrieb. Zudem bezeichnete es der Mobilfunkanbieter Telefonica auf Anfrage der Verteidigung als „wahrscheinlich“, dass es einen Eingriff in die Imei des betroffenen Handys gegeben haben könnte. Die Imei ist die Seriennummer, anhand derer mobile Endgeräte theoretisch eindeutig identifiziert werden können. Steinmetz bezeichnete Kluchs Einlassungen, Dritte hätten sich seines Telefons bemächtigt und die SMS verschickt, als „absurd und lächerlich“.
Man kann dem Richter, seinen beiden Beisitzern und den beiden Schöffen wahrlich nicht vorwerfen, nicht mit aller Gründlichkeit nach der Wahrheit geforscht zu haben. Zehn Monate und 47 Verhandlungstage dauerte der Prozess, 21 Zeugen wurden gehört. Doch am Ende bleibt der Eindruck, dass nicht alle Beteiligten mit der gebotenen Sorgfalt vorgingen, die es braucht, um über einen Menschen zu richten. Erschreckend war insbesondere, dass der die Ermittlung leitende Kriminalbeamte den Schwergewichts-Boxprofi Denis Boytsov und dessen persönlichen Berater Gagik Khachatryan nicht nur gemeinsam befragte, sondern Khachatryan sogar noch Boytsovs russische Einlassungen ins Deutsche übersetzen ließ, ohne einen eigenen Dolmetscher hinzuzuziehen. Der stets auf Beherrschung seiner Emotionen bedachte Steinmetz verlor, als er das erfuhr, kurzzeitig die Fassung.
Zur Erklärung: Boytsov und Khachatryan, die sich im Frühjahr 2012 von Kluch und Universum lossagten, waren beide ebenfalls per SMS mit dem Tod bedroht worden, galten somit neben Kohl als wichtigste Belastungszeugen. Doch vor Gericht verstrickten sich beide derart in Widersprüche, dass ihre Glaubwürdigkeit stark erschüttert wurde. Die Staatsanwaltschaft will gegen Khachatryan gar wegen Falschaussage ermitteln. Dass sie aus Angst falsche Angaben machten, wollten beide dem Richter auf mehrfaches Nachfragen nicht bestätigen; es hätte sich nicht mit ihrem Selbstverständnis, dass osteuropäische Männer keine Schwäche zeigen dürfen, in Einklang bringen lassen. Dabei war die Angst offensichtlich – und durchaus begründet, wenn man weiß, dass Khachatryan im April 2013 von bis heute unbekannten Tätern in Wandsbek auf offener Straße mit einer Eisenstange fast totgeprügelt worden war. Ebenso offensichtlich war, dass es weniger Kluch war, der die beiden Zeugen einschüchterte, sondern vielmehr die beiden Mitangeklagten – zwei Deutschrussen, die für Kluch arbeiteten und Khachatryan persönlich in dessen Schusterwerkstatt in Wandsbek bedroht haben sollen. Das Verfahren gegen sie wurde am 18. Dezember abgetrennt, beide wurden freigesprochen. Zweifel, inwieweit beide in eigenem Interesse handelten oder von Kluch beauftragt waren, bleiben.
Schwierigkeiten hatte das Gericht auch damit, den Verkaufsprozess der Universum Boxpromotion (UBP), der im Juli 2011 vollzogen worden war und letztlich zum Zerwürfnis zwischen Kohl und Kluch geführt hatte, in seinen Einzelheiten zu durchleuchten. Vor allem die Frage, welche rechtliche Grundlage die Kaufsumme von 1,5 Millionen Euro hatte, ließ verschiedene Interpretationen zu. Kluch war die Summe bis zum Frühjahr 2013 zu großen Teilen schuldig geblieben, obwohl er sie über seinen Anwalt Olaf Dahlmann mehrfach vollumfänglich anerkannt hatte. Schon bevor Kluch im November 2012 einen Insolvenzantrag gestellt hatte, hatte Kohl die Zwangsvollstreckung gerichtlich durchgesetzt und die Restsumme von rund 1,2 Millionen Euro durch die Versteigerung des Universum-Trainingsgeländes in Lohbrügge eintreiben wollen. Ende April 2013 einigten sich beide Parteien dann überraschend, gegen Zahlung von 100.000 Euro verzichtete Kohl auf weitere Maßnahmen. Steinmetz meldete zwar Zweifel an Kohls Darstellung an, er habe sich nicht wegen der Droh-SMS, sondern wegen der Insolvenz mit Kluch geeinigt, dennoch zeigte sich die Kammer überzeugt davon, dass Kluch mit seinem Handeln die Zwangsvollstreckung abwehren und die Zahlung der Kaufsumme verhindern wollte.
Kohls Erklärung, angesichts der Insolvenz seien 100.000 Euro viel Geld gewesen, wertete Kluchs Verteidigung als Zeichen dafür, dass Kohl ihrem Mandanten ein schon Ende 2010 überschuldetes Unternehmen verkauft habe. Tatsächlich hatte UBP 2009 noch 23 Millionen Euro Umsatz und 800.000 Euro Überschuss erwirtschaftet, bereits Ende 2010, sechs Monate nach dem Auslaufen des lukrativen TV-Vertrags mit dem ZDF, waren 79.000 Euro Verlust bilanziert worden. Dennoch, das bestätigte auch Kluchs Anwalt Dahlmann vor Gericht, wären die 1,5 Millionen Euro Kaufsumme angesichts der Qualität der noch unter Vertrag stehenden Boxer ein Schnäppchen gewesen, hätte Kluch den Fernsehpartner gefunden, den er bei der Geschäftsübernahme im Juli 2011 großspurig angekündigt hatte. Ohne TV-Sender allerdings war das Unternehmen zum Scheitern verurteilt. Dass Kluch, der klagte, Kohl habe ihn über den wahren Zustand der Firma im Unklaren gelassen und ihm ein bereits insolventes Unternehmen veräußert, all das hätte wissen können, wenn er die ihm vorgelegten Unterlagen sorgfältig geprüft hätte, ist unzweifelhaft richtig.
Zweifel hatten viele Zeugen daran, ob Kluch tatsächlich die kriminelle Energie aufgebracht hat, Kohl und andere Gläubiger mit dem Tod zu bedrohen. Außer Kohls Rechtsanwalt Peter Wulf wollte keiner, auch Kohl selbst nicht, diese Vorwurfe stützen. Tatsächlich ist Kluch ein impulsiver Mensch, der aus der Wut heraus durchaus zu Beleidigungen fähig ist. Er ist ein Hochstapler, der im Zuge der Insolvenz seines Unternehmens diverse Boxer und Geschäftspartner um ihr Geld gebracht hat, und er wirkt durch seine oft unbedachte Spontaneität schnell unglaubwürdig. Dies gipfelte im Prozess darin, dass der Richter ihm vorwarf, einen Herzinfarkt simuliert zu haben, um die Fortsetzung des Verfahrens zu torpedieren. Daraufhin hatte Kluch Steinmetz wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Amt angezeigt, was dieser als „absolut unverschämt und in meinen 25 Berufsjahren noch nie dagewesenen Vorgang“ rügte.
Es hatte schon seinen Grund, dass Kluchs dritter Verteidiger Matthias Thiel ihm lange dazu riet, vor Gericht zu schweigen. Als Kluch Thiel im Juni von seinem Mandat entband und sich überraschend umfangreich zu den Vorwürfen einließ, war das zwar menschlich verständlich, aber kaum zielführend, weil er sich mehrfach im Ton vergaloppierte und auch in Widersprüche verstrickte. Steinmetz bekannte in seiner Urteilsbegründung, die Kammer sei „erstaunt darüber gewesen, in welcher Form Herr Kluch sich in seinen Einlassungen über andere Menschen geäußert“ habe.
Dass es im Prozess längst nicht nur um einen eskalierten Streit zweier Boxpromoter ging, wurde schnell deutlich. Die verschlungenen Firmengeflechte, die Kluch mit verschiedenen Partnern in diversen Branchen aufgebaut hatte, waren für das Gericht ebenso undurchdringlich wie die interfamiliären Konflikte insbesondere mit einem Cousin, der Kluch sogar einmal mit einer Pistole bedroht haben soll, um ihn zur Verdunklung von Betrügereien zu zwingen. Für die Urteilsfindung waren alle diese Nebenkriegsschauplätze hinderlich, aber wohl nicht entscheidend. „Es war ein Prozess mit einer fast beispiellos langen Beweisaufnahme. Aber für uns sind die geahndeten Vorwürfe zweifelsfrei nachgewiesen, die Beweislage ist vollkommen klar“, sagte Richter Steinmetz.
Das letzte Wort hatte Waldemar Kluch, als er, mit Handschellen an einen Vollzugsbeamten gekettet, den Saal 309 verließ. „Alles wird gut“, raunte er dem halben Dutzend Freunde zu, die dem Urteilsspruch beigewohnt hatten. Das allerdings wird sich zeigen müssen, wenn er wieder in Freiheit ist.