Niederschlag in Runde drei: Der Hamburger Jack Culcay war am Boden, rappelte sich aber noch zu einem Punktsieg im EM-Titelkampf auf.
Erfurt. Immer wieder stieß der Mann mit dem entblößten Oberkörper seinen Zeigefinger in Jack Culcays Brust. „Du bist ein großartiger Champion, aber diesen Kampf hast du nicht gewonnen. Du weißt das! Und wenn du ein Mann bist, dann gibst du Chaca ein Rematch“, schimpfte er wieder und wieder. Die um seinen Hals hängende Trommel baumelte bedenklich hin und her. Jack Culcay ließ den Wortschwall seelenruhig über sich ergehen, zunächst mit ernstem, später mit eher belustigtem Gesichtsausdruck, ehe ein Ordner dem Treiben nach einer Minute ein Ende machte.
Was hätte er dem aufgebrachten Spanier, der unschwer als Anhänger seines Gegners Isaac „Chaca“ Real, 33, zu erkennen war, auch versprechen sollen? Für die Ansetzung von Rückkämpfen hat der Mann aus dem Berliner Sauerland-Team findige Promoter und Manager, und sich für seinen Sieg zu entschuldigen, das hatte der 28 Jahre alte Hamburger nicht nötig gehabt.
Ja, es war ein enger Kampf gewesen in der Erfurter Messehalle, an dessen Ende sich Culcay durch einstimmigen Punktsieg (117:110, 115:112, 115:113) Reals EM-Titel im Halbmittelgewicht gesichert hatte. Aber Culcay hatte ihn angesichts eines fulminanten Endspurts verdient gewonnen. Und so drehte er sich um und ließ den pöbelnden Fan stehen.
Er hatte ja auch einen anstrengenden Abend gehabt, bis er sein Ziel erreicht hatte. Um 21.45 Uhr, als er eigentlich längst im Ring hatte stehen sollen, fand sich der Amateurweltmeister von 2009 am Büfett des VIP-Bereichs wieder. Weil die Vorkämpfe allesamt über die Runden gegangen waren, musste Culcays Auftritt hinter den Hauptkampf zwischen IBF-Cruisergewichtschampion Yoan Pablo Hernandez (Kuba) und Firat Arslan (Süßen) verschoben werden, begann deshalb erst gegen 0.20 Uhr und damit fast drei Stunden später als geplant.
Um den Blutzuckerspiegel konstant zu halten, stärkte sich der Wahl-Hamburger also mit einer leichten Mahlzeit, ehe er im Ring richtig zulangte.
Allerdings brauchte es vier Runden, bis der gebürtige Ecuadorianer seinen Rhythmus gefunden hatte gegen den Titelverteidiger, der physisch sehr präsent war und Culcay in der dritten Runde nach einer schönen Körper-Kopf-Kombination sogar zu Boden brachte. „Da stand ich schlecht und habe einen Moment nicht aufgepasst“, gab er zu.
Wichtig war jedoch die Reaktion auf den Niederschlag. Culcay stand von da an stabiler, vor allem aber verbesserte er seine Beinarbeit und bot dem Spanier nur noch selten ein stehendes Ziel. Mit zunehmender Kampfdauer kamen auch seine schnellen Kombinationen punktgenau zum Kopf des Kontrahenten, was diesen ein ums andere Mal kräftig durchschüttelte. Eine Energieleistung in der zwölften Runde sicherte „Golden Jack“ schließlich den Sieg.
„Das war die beste Leistung, die ich von Jack bislang gesehen habe“, lobte Promoter Kalle Sauerland. Angesichts des hohen Drucks, der auf Culcay lastete, darf man dieser Aussage zustimmen. Nachdem der in nun 19 Profikämpfen 18-mal siegreiche Halbmittelgewichtler in seinen vorangegangenen Auftritten auf der Stelle getreten war und ihn der ständige Trainerwechsel zermürbt und verunsichert hatte, sollte unter Joey Gamache – Coach Nummer sieben im fünften Profijahr – endlich die Wende zum Guten geschafft werden.
Auch wenn sicherlich noch nicht alles stimmte, so ließ sich doch feststellen, dass Culcay wieder flüssiger boxte und seine Stärken – Beinarbeit, schnelle Meidbewegungen, fintenreiches Konterboxen – besser zur Geltung brachte. „Ich war nach den vielen Trainerwechseln blockiert, weil ich mich nur noch darauf konzentriert habe, alles richtig zu machen, was ich umsetzen sollte“, sagte er, „Joey lässt mich wieder an meine Stärken glauben, die mich zum Amateurweltmeister gemacht haben. Das tut mir gut!“
Entsprechend zufrieden war der neue Übungsleiter, der Culcay in seinem Gym in Kopenhagen vorbereitete hatte. „Ich muss Jack nicht das Boxen beibringen, sondern ihn darin bestärken, er selbst zu sein. Heute hat er viele Dinge schon sehr gut umgesetzt, er hat Real seinen Kampf aufgezwungen“, lobte der frühere Weltklasse-Leichtgewichtler.
„Wir wussten, dass Real das Beste von Jack abfordern würde. Aber besonders nach dem schwachen Start ist Jack sehr stark zurückgekommen und hat für mich den Kampf deutlich gewonnen.“
Sein Vorhaben, im Jahr 2014 Europameister zu werden, hat Culcay nun umgesetzt. In der Form von Erfurt dürfte das für 2015 gesteckte Ziel, auch bei den Profis Weltmeister zu werden, indes noch nicht erreichbar sein. Das weiß auch Culcays persönlicher Manager Moritz Klatten. „Natürlich haben wir noch viel Arbeit vor uns, auch heute war ich noch nicht zu 100 Prozent zufrieden, weil er zu oft vor Real stehen geblieben ist, anstatt sich auf den Beinen zu bewegen. Aber Jack ist wieder auf dem richtigen Weg, und wenn er jetzt dauerhaft mit Joey arbeiten kann, dann wird er sich noch deutlich verbessern können“, sagte er.
Das glaubt auch Kalle Sauerland. „Auf diese Leistung kann Jack aufbauen. Die Kombinationen kamen wieder, die Beinarbeit war stark. Wenn er so boxt, dann hat er eine sehr gute Zukunft vor sich.“ Ob diese einen Rückkampf gegen Real bereithält, wusste in Erfurt noch niemand zu sagen. Auch der wütende spanische Fan muss sich also noch etwas gedulden.