Daniel Van Buyten sieht sich selbst als „großer Bruder“ der vielen jungen Stars des WM-Geheimfavoriten Belgien. Heute geht´s zum Auftakt gegen Algerien.

Belo HorizonteDiesen Flug wird Daniel Van Buyten wohl nie vergessen. Auf dem Weg zu seiner ersten Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea vor zwölf Jahren saß der ehemalige Hamburger Fußballprofi (2004 bis 2006) zum ersten Mal in einer Boeing. „Ich habe schlecht geschlafen und war sehr nervös. Ich habe mir Sorgen gemacht, dass meine Eltern und meine Frau darunter leiden würden, wenn zu Hause bei schlechten Leistungen von mir in den Zeitungen über mich geschrieben würde. Dieser Stress hätte mich beinahe erledigt“, erzählt der belgische Abwehrhüne vom FC Bayern.

Inzwischen ist er 36 Jahre alt. Und der einzige Spieler im Aufgebot der Mannschaft von Trainer Marc Wilmots, der bei den globalen Titelkämpfen gespielt hat. Er sieht sich daher nicht nur als Mitspieler seiner Kollegen. „Ich bin der große Bruder“, sagt Van Buyten. Ein Routinier als Anführer der hoffnungsvollen Rasselbande.

Die Belgier stellen nach Ghana und Nigeria das drittjüngste Team des Turniers. Und eines der unerfahrensten. Erstmals seit 2002 sind sie wieder bei einer WM dabei. Trotzdem gelten die „Roten Teufel“ als Geheimfavorit. Der erste Teil des Wortes gehört inzwischen eigentlich gestrichen, weil so viele Experten der Mannschaft Großes zutrauen. Bei den Wettanbietern sind die Quoten auf einen Turniersieg der Belgier verhältnismäßig gering. Chris Coleman, Trainer von Wales, spielte in der Qualifikation gegen sie und sagt: „Die können Weltmeister werden.“

Am Dienstag (18 Uhr/ZDF und Liveticker auf abendblatt.de) treffen sie in ihrer ersten Partie in Belo Horizonte auf Algerien, weitere Gegner in der Gruppe H sind Russland und Südkorea. Im Achtelfinale könnte es zum Aufeinandertreffen mit Deutschland kommen. Van Buyten versucht alles, um seinen Kollegen vor dem Auftakt die Ängste zu nehmen, die er damals in der Boeing hatte. „Es gibt junge Spieler, die Angst haben, bei Problemen zum Trainer zu gehen, weil sie denken, dass sie dann vielleicht nicht spielen. Zu mir können sie immer kommen.“

Dem Routinier und Wilmots, der als „Kampfschwein“ des FC Schalke bekannt wurde, sind die Erwartungen in der Heimat inzwischen beinahe zu hoch geworden, von einer „goldenen Generation“ ist die Rede. Sie wissen, dass die Ansprüche eine Last sein könnten. Und gleichzeitig, dass sie selbst für die hohen Erwartungen gesorgt haben: In der Qualifikation gelangen der Mannschaft acht Siege, sie verlor kein Spiel und nahm nur vier Gegentore hin. Die Menschen in Belgien, das flächenmäßig kleinste Land unter 32 Teilnehmern, sind euphorisch. „Wir sollten nicht vergessen, dass wir eine Mannschaft ohne Turniererfahrung sind. Zudem bin ich gespannt, wie die Spieler sich verhalten, wenn sie über mehrere Wochen zusammen sind“, sagt Wilmots.

Vor gut einem Jahr hatte es in der Mannschaft Ärger gegeben. Kevin De Bruyne vom VfL Wolfsburg bereitete sich mit seinem damaligen Klub Werder Bremen im Trainingslager auf die Rückrunde der Bundesliga vor, und Freundin Caroline nutzte seine Abwesenheit, um sich mit seinem Nationalelfkollegen Thibaut Courtois von Atlético Madrid in der spanischen Hauptstadt eine schöne Zeit zu machen. De Bruyne trennte sich von Caroline und sprach monatelang nicht mehr mit Courtois, der sich zu einem der besten Torhüter der Welt entwickelt hat. Inzwischen haben sich die beiden versöhnt. „Wir halten alle zusammen. Bei der WM wollen wir ohne Angst spielen und das Turnier genießen“, so Wilmots.

Unter ihm ist im Team ein enormer Zusammenhalt entstanden, viele Spieler kennen sich schon aus den Juniorenauswahlen. Früher gab es zwischen Flamen und Wallonen des Öfteren Reibereien, heute nicht mehr. Zudem hat der Trainer die Elf enorm variabel gemacht, sie kann ihre Grundordnung während einer Partie problemlos ändern und ist offensivstark.

Die Jungstars stehen alle bei ausländischen Klubs unter Vertrag, viele von ihnen haben die Heimat schon in der Jugend verlassen. Die wichtigsten Spieler sind neben den beiden 22-jährigen Courtois und De Bruyne die Premier-League-Legionäre Vincent Kompany (Manchester City), 28, Eden Hazard (FC Chelsea), 23, Marouane Fellaini (Manchester United), 26, und der 21-jährige Stürmer Romelu Lukaku vom FC Everton, an dem der VfL Wolfsburg interessiert ist. Lukaku will erst nach der WM über seine Zukunft entscheiden, er ist vom FC Chelsea verliehen.

Wilmots hofft, dass sich seine Spieler nicht von den Angeboten anderer Klubs während der WM ablenken lassen. Um Torwart Courtois ringen Atlético und Chelsea, die Engländer haben auch ihn nur bis zum 30. Juni verliehen. Trainer José Mourinho sagt: „Wenn die WM vorbei ist, wird er direkt zu uns nach Hause an die Stamford Bridge kommen. Darüber gibt es keine Diskussionen.“ Courtois müsste in London allerdings mit Petr Cech um den Platz im Tor kämpfen und betont, dass er für die Ersatzbank zu jung sei. Das Thema dürfte die Belgier während des Turniers noch beschäftigen. De Bruyne will das nicht zu hoch hängen. Er konzentriert sich derzeit lieber auf die WM und sagt: „Wir sind schwer zu schlagen.“

Nur mit dem Schlafen hat es noch nicht so gut geklappt in den vergangenen Tagen. Wilmots verlegte das Training vor, weil seine Spieler aufgrund des Jetlags immer schon am frühen Abend müde und um 6 Uhr wach waren. Dabei hatte der Mannschaftsarzt nach der Ankunft in Brasilien Brillen mit einer LED-Lampe im Gestell ausgeteilt, die die Unterseite der Netzhaut beleuchtet und ein Schlafhormon unterdrücken soll. Die Wirkung hielt sich wohl in Grenzen.

Wilmots nimmt es locker. Der Verband hat seinen Vertrag in der vergangenen Woche bis 2018 verlängert, und vor der ersten Partie der Weltmeisterschaft ließ er die Spieler sogar aussuchen, was sie trainieren wollen.

Belgien: 1 Courtois – 2 Alderweireld, 15 Van Buyten, 4 Kompany, 5 Vertonghen – 8 Fellaini, 6 Witsel – 14 Mertens, 7 De Bruyne, 10 Hazard – 9 Lukaku.

Algerien: 23 M’Bolhi – 22 Mostefa, 2 Bougherra, 17 Cadamuro, 3 Ghoulam – 19 Taider, 12 Medjani, 14 Bentaleb – 10 Feghouli, 15 Soudani, 18 Djabou.

Schiedsrichter: Rodríguez (Mexiko).