Die WM-Vergabe an Katar war ein Fehler. Politischer Druck kam aus Deutschland und Frankreich. Mit diesen Aussagen überrascht Fifa-Chef Joseph Blatter. Dahinter allerdings steckt mehr: Die Reue ist in erster Linie ein sportpolitisches Manöver gegen einen Konkurrenten um den Präsidentenposten.
Zürich/Paris. Mit unverhohlener Kritik an der Katar-WM und erstaunlich unverschlüsselten Aussagen zu politischer Einflussnahme aus Deutschland und Frankreich hat Joseph Blatter für Aufsehen gesorgt. Die Breitseiten des Fifa-Präsidenten sind aber offenkundig vor allem ein weiteres Wahlkampfmanöver gegen einen unliebsamen Konkurrenten um den Präsidententhron im Fußball-Weltverband: Uefa-Chef Michel Platini.
„Natürlich war es ein Fehler. Aber wissen sie, man macht viele Fehler im Leben. Der Technische Bericht zu Katar hat eindeutig gesagt, dass die Temperaturen im Sommer zu hoch sind“, sagte Blatter in einem Interview mit dem Schweizer Sender RTS zu der umstrittenen Katar-Kür vor dreieinhalb Jahren. In dieser Weise hat bislang kein hoher Fifa-Funktionär die WM 2022 am Golf kritisiert.
Mögliche Bestechung durch das Emirat an die stimmberechtigten Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees wollte Blatter nicht kommentieren: „Nein, nein, das habe ich nie gesagt.“ Unmissverständlich stellte der Schweizer jedoch fest, dass es offenbar „politischen Druck“ aus Frankreich und Deutschland gegeben habe. „Man weiß gut, dass große Firmen aus Frankreich und Deutschland in Katar arbeiten, aber sie arbeiten nicht nur für die WM. Die WM ist eine relativ kleine Angelegenheit für Katar.“ Die französische Regierung wies die Vorwürfe umgehend zurück. „Die Behauptungen des Fifa-Präsidenten (...), dass Frankreich bei der Vergabe der WM 2022 angeblich Druck ausgeübt haben soll, entbehren jeder Grundlage“, sagte der Sprecher des Außenministeriums. Für die Vergabeentscheidungen sei allein die FIFA verantwortlich.
Blatter bestätigte in dem Interview, dass er im Mai 2015 erneut als FIFA-Präsident kandidieren werde – für eine dann fünfte Amtszeit. „Ich habe nicht nur Lust, ich bin entschlossen weiterzumachen“, sagte er. Seine Aussagen zu Katar sind daher auch eine Attacke gegen Platini. Der UEFA-Chef hat sich als einziger Fußball-Funktionär offen zu seiner Katar-Unterstützung bekannt und gilt als einziger Konkurrent mit einer wenn auch kleinen Restchance, Blatters Wiederwahl zu verhindern.
In der Kritik steht der Franzose wegen seines Treffens mit dem damaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy und dem Emir von Katar kurz vor der WM-Abstimmung im Élysee-Palast. Zudem ist sein Sohn wirtschaftlich in der Golfregion engagiert – wie auch andere nahe Verwandte hoher FIFA-Funktionäre. Sollte die Katar-WM scheitern, wäre Platini als Funktionär massiv beschädigt und im Amt des Fifa-Chefs undenkbar. Blatter hat sich zu seinem Wahlverhalten im Gegensatz zu Platini nie geäußert. Er galt jedoch nicht als Befürworter der Katar-WM.
Auch das damalige deutsche Fifa-Exekutivkomitee-Mitglied Franz Beckenbauer hat sich nie zu einem WM-Kandidaten öffentlich bekannt. Diverse Medienberichte über angebliche Gespräche zwischen der Politik und deutschen Sportfunktionären wurden von keiner Seite jemals bestätigt. Blatter deutet eine deutsche Einflussnahme nun allerdings an – ohne Namen zu nennen.
Mit Ausblick auf die Präsidentschaftswahlen 2015 und möglicher Konkurrenz stellte Blatter fest: „Der Marsch zum Thron ist noch nicht eröffnet. Es gibt viele Menschen, die diesen Posten gerne einnehmen würden.“ Aber: „Es ist heute nicht einfach eine Organisation zu führen, mit 300 Millionen Mitgliedern.“ Platini hat seine Kandidatur noch nicht verkündet. Der Franzose will offenbar noch das Stimmungsbild beim Fifa-Kongress am 10./11. Juni in Sao Paulo abwarten. Sollte Blatter dort von den Delegierten aus 209 Mitgliedsländern gefeiert werden, ist ein Verzicht des Uefa-Chefs wahrscheinlich.
Dem bislang einzigen offiziellen Kandidaten – dem früheren Blatter-Vertrauten Jérôme Champagne – werden keine realistischen Chancen gegen den Amtsinhaber eingeräumt. Angesichts vieler gegenseitig abgefeuerter verbaler Giftpfeile in den vergangenen Monaten klingen Blatters Bemerkungen zu Platinis „wunderbarer Karriere“ in dem RTS-Interview fast schon heuchlerisch. Sein früherer „Zögling“ habe ihn 1998 einst sogar als Präsident vorgeschlagen, erinnerte der Schweizer an die Zeiten der engen Kooperation. Auf die Frage, ob Platini einen „Vatermord“ begehen werde, antwortete Blatter mit einem Schmunzeln. „Das glaube ich nicht. Er hat einen guten Charakter. Ich kenne seine Eltern, seine Familie.“