Eisschnellläuferin Claudia Pechstein kann am Sonntag mit dem Gewinn einer Medaille zahlreiche Rekorde aufstellen

Sotschi. „Ich muss nichts mehr beweisen“, sagt Claudia Pechstein. Das klingt nach Lockerheit, Entspanntsein und nach einer Art Altersmilde. Die kann man mit 41 Jahren annehmen. Andererseits kann man nicht annehmen, dass eine 41-Jährige aussichtsreich bei Olympischen Spielen startet. Und ob die erfolgreichste Eisschnellläuferin der Olympiageschichte nichts mehr beweisen muss, darüber gehen die Ansichten trefflich auseinander.

Seit mehr als vier Jahren kämpft die Berlinerin verbissen um ihren Ruf und um Geld. 1682 Tage nach der Bekanntgabe ihrer umstrittenen Dopingsperre plant Pechstein an diesem Sonntag beim 3000-Meter-Lauf der Winterspiele in Sotschi zurückzuholen, was ihr nach eigener Meinung bei den Spielen in Vancouver 2010 unrechtmäßig verwehrt wurde. „Jede Medaille“, sagte Pechstein im Vorfeld der Spiele, „würde für mich Platin bedeuten.“

Und eine Reihe von Rekorden. Gewinnt Pechstein in der Adler-Arena am Schwarzen Meer Gold, was alles andere als ausgeschlossen ist, wäre sie die älteste Olympiasiegerin in der Geschichte der Winterspiele. Noch nie hat zudem irgendjemand in der olympischen Historie bei sechs Winterspielen eine Medaille gewonnen. Noch nie wäre ein Athlet oder eine Athletin über eine größere Zeitspanne mit Edelmetall dekoriert worden als Pechstein, der 1992 in Albertville mit Bronze über 5000 Meter der Durchbruch gelang. Gar keine Frage, diese Frau ist ein Phänomen.

Eigentlich müsste sie ja bei der deutschen Sehnsucht nach Sporterfolgen ein Superstar und Everybody’s Darling sein. Stattdessen stand sie zu Beginn ihrer Erfolgsgeschichte im Schatten von Gunda Niemann-Stirnemann und danach in dem von Anni Friesinger. Es war ein steter Zickenzoff der starken Egos, auf den Claudia Pechstein anscheinend mit noch mehr Ehrgeiz und noch mehr Verbissenheit reagierte. In den letzten vier Jahren aber galt ihr Kampf dem Weltverband ISU und dem Sportgerichtshof CAS. Diese Ausnahmeathletin zieht große Motivation aus einem tiefen Gefühl der Wut.

Die am 3. Juli 2009 verhängte zweijährige Sperre warf Pechsteins Leben über den Haufen. Aber aufgeben kam nicht infrage. Natürlich nicht. Sie will Genugtuung und beharrt auf ihrer Darstellung. Eine vererbte Blutanomalie sei die Erklärung für ihre erhöhten Retikulozytenwerte, die zu der Zwei-Jahres-Sperre geführt hatten, die inzwischen selbst Experten wie der Heidelberger Molekularbiologe Werner Franke oder Wilhelm Schänzer, Leiter des Kölner Anti-Doping-Labors, als Unrecht betrachten. Nur die ISU hält unbeirrt daran fest. Sämtliche sportgerichtliche Instanzen wiesen Pechsteins Einspruch gegen das ISU-Urteil zurück. „Es ist unheimlich schwer, den Stempel einer Dopingsünderin von der Stirn zu bekommen“, gab sie zu. In diversen juristischen Auseinandersetzungen kämpft Pechstein außerdem um Wiedergutmachung für die „Unrechtssperre“. Unmittelbar nach den Winterspielen befasst sich das Landgericht München mit ihrer Schadensersatzklage in Höhe von 3,5 Millionen Euro.

Ihr Lebensgefährte Matthias Große, der sie in den letzten Monaten in einem weißen Monster-Geländewagen der Marke Hummer mit der Aufschrift „Mission Sotchi 2014“ durch die Republik fuhr, ist mit ihr in ihrem Kampf vereint. Der Immobilienkaufmann aus Köpenick sah sie vor fünf Jahren im ZDF- „Sportstudio“, wo sie ihren Fall darlegte. Er schrieb ihr eine Mail, man ging essen, verstand sich offenbar. Jetzt ist er als Betreuer vom DOSB bei den Spielen akkreditiert und schirmt sie konsequent gegen die Medien ab. Nichts soll sie stören, nichts der lang ersehnten Wiedergutmachung auf der großen Bühne Olympia im Wege stehen. „Claudia ist sehr fokussiert, man muss ihr das zugestehen“, sagte Helge Jasch, der Teamleiter der deutschen Eisschnellläufer.

Große Aufregung ist ihr nicht anzumerken. „Ich bin entspannt und guter Dinge“, sagte sie am Freitag bei strahlendem Sonnenschein vor der Adler-Arena. Die Nichtberücksichtigung als Fahnenträgerin hat sie abgehakt. „Natürlich hätte ich gern die deutsche Fahne getragen, aber im Sinne der Wettkampf-Vorbereitung bin ich sogar ganz froh, dass ich es nicht mache.“ Seit ihrem Comeback 2011 hat sich Pechstein in die Weltspitze zurückgekämpft. Im Weltcup schaffte sie es im Olympia-Winter viermal auf das Podest, erst Ende Januar lief sie in der Vorbereitung auf Sotschi in Inzell einen Bahnrekord.

„Mit der Sperre hat die ISU mein Leben zerstört. Es wäre jetzt ein Schlag ins Gesicht des Weltverbandes, wenn ich in diesem Alter noch einmal auf das Treppchen käme“, sagt sie. Tatsächlich möchte Claudia Pechstein sehr wohl noch etwas beweisen.