Der ehemalige Daviscup-Teamchef Patrik Kühnen schreibt auf abendblatt.de über den Turnierdirektor am Rothenbaum, Superstar Roger Federer und die Chancen der Deutschen.
Ein wenig seltsam wird es schon sein, in dieser Woche das Turnier am Rothenbaum nur aus der Ferne zu verfolgen. Zum ersten Mal seit 2003 bin ich nicht mehr als Daviscup-Teamchef in Hamburg, sondern beobachte als Fan, was beim wichtigsten deutschen Turnier passiert. Ich erwarte eine sehr spannende Woche, das Feld ist enorm ausgeglichen und breit aufgestellt. Besonders freue ich mich für Turnierdirektor Michael Stich, dass er so ein tolles Teilnehmerfeld hat. Ich finde, dass er und sein Team, die im fünften Jahr dabei sind, einen tollen Job machen und den Rothenbaum wieder fast auf das Niveau zurückgeführt haben, das er bis 2008 als Mastersturnier hatte.
Maßgeblichen Anteil an dieser Aufwertung hat natürlich Roger Federer. Für die vielen treuen Tennisfans in Hamburg ist es schön, dass sie den Schweizer noch einmal live erleben können, und für das Turnier ist seine Zusage ein Segen. Ich bin mir sicher, dass Roger in Hamburg alles geben wird, um den Titel zu gewinnen. Sein Zweitrundenaus in Wimbledon war zwar ein Schock, für mich aber kein Zeichen dafür, dass es mit seiner Karriere zu Ende geht. Er hat in Hamburg immer gern gespielt, und er braucht die 500 Punkte, die der Turniersieger bekommt, um in der Weltrangliste an den Top-Vier dranzubleiben. Für mich ist er deshalb der große Favorit auf den Titel.
Allerdings wird der Weltranglistenfünfte nicht locker durchmarschieren können, dazu sind einfach zu viele gute Sandplatzspieler im Feld. Ganz besonders aufpassen sollten man auf den Spanier Fernando Verdasco. Der hat mich in Wimbledon zuletzt sehr beeindruckt, ist erst im Viertelfinale in fünf Sätzen am späteren Sieger Andy Murray gescheitert. Mir scheint, dass er an seine beste Zeit zwischen 2009 und 2011, als er konstant zu den Top Ten der Welt zählte, anknüpfen kann. Aber auch seinen Landsleuten Nicolas Almagro und Tommy Robredo ist in Hamburg einiges zuzutrauen.
Haas wird mit neuer Kraft angreifen
Dazu habe ich auch Titelverteidiger Juan Monaco auf dem Zettel. Zwar hat der Argentinier zuletzt nicht ganz an sein starkes vergangenes Jahr anknüpfen können, dennoch wird er alles tun, um seine Punkte in Hamburg zu verteidigen. Auch der Franzose Gael Monfils ist niemals zu unterschätzen. Mal spielt er unfassbares Tennis, mal macht er unfassbare Fehler, aber wenn er eine konstante Woche erwischt, ist auch mit ihm zu rechnen. In jedem Fall ist er dank seines spektakulären Spiels ein Gewinn für das Turnier. Besonders gespannt bin ich auf den Polen Jerzy Janowicz, der in Wimbledon das Halbfinale erreicht hat. Wenn er seinen überragenden Aufschlag weiter durchzieht, kann er auch in Hamburg einiges erreichen, zumal er dazu über eine sehr starke Vorhand und einen eisernen Willen verfügt.
Sie haben es längst gemerkt, wer in der Aufzählung der Mitfavoriten noch fehlt: Tommy Haas. Viel ist in den vergangenen Monaten über sein unglaubliches Comeback geschrieben und gesagt worden. In der vergangenen Woche bei seinem Viertelfinalaus in Stuttgart machte Tommy den Eindruck, ein wenig müde zu sein von den Strapazen der Tour. Aber ich bin mir sicher, dass er in Hamburg mit neuer Kraft und riesengroßer Motivation angreifen wird. Er will den Titel in seiner Heimatstadt unbedingt, und dass er sportlich in der Lage ist, der erste deutsche Rothenbaum-Sieger seit Michael Stich 1993 zu werden, steht außer Frage.
Brands ist auf dem Weg in die Top 50
Ich habe aber auch Florian Mayer im Blickfeld. Er hat in Hamburg immer gern und vor allem auch gut gespielt, und diese Sicherheit ist für ihn wichtig, um auch vom Kopf her in Topform aufzutreten. Anders als viele andere spielt Flo gern gegen die spanischen und südamerikanischen Sandplatzspezialisten. Sie liegen ihm, weil er mit seinem trickreichen Spiel gut gegen solche Grundlinienwühler klarkommt. Erfreulich ist auch die Entwicklung von Daniel Brands, der sich enorm stabilisiert hat und auf dem Weg ist, die Top 50 zu schaffen. Er hat bei den French Open gegen Rafael Nadal und in Wimbledon gegen Tomas Berdych gezeigt, dass er mit den ganz Großen mitspielen kann.
Den Hamburger Lokalmatadoren wünsche ich selbstverständlich, dass sie solange wie möglich im Turnier mitmischen. Ein Spieler wie Tobias Kamke bräuchte einen Halbfinaleinzug, damit bei ihm der Knoten mal platzt und er den Sprung in die Top 50, den er schon länger anpeilt, schafft. Körperlich hat er das allemal drauf, es fehlt ihm oftmals an spielerischer Konstanz. Da könnte ein überraschender Erfolg in der Heimat Wunder wirken.
Zverev wird profitieren
Sein bester Kumpel Julian Reister hatte viel Pech mit Verletzungen, ihm wünsche ich, dass er über eine lange Zeit gesund bleibt. Spielerisch hat er das Potenzial für mehr. Für Youngster Alexander Zverev, der von Stich eine Wildcard erhalten hat, steht das Lernen im Vordergrund. Als 16-Jähriger bei einem solchen Turnier in der eigenen Stadt zu spielen, davon kann man nur profitieren. Der Spanier Roberto Bautista-Agut ist für ihn aber noch zu stark.
Drei Sätze noch zu Philipp Kohlschreiber. Ich finde es schade, dass die deutsche Nummer zwei beim wichtigsten Heimturnier fehlt. Alle deutschen Turniere sollten für die einheimischen Spieler ein Schaufenster sein. Aber das Feld ist auch ohne ihn stark besetzt.