Das Hamburger Tennisturnier geht an diesem Sonnabend in die 107. Runde. Neun Helfer erzählen von ihren interessantesten Erlebnissenmit den Stars
Es gehört zu Hamburg wie der Michel und die Alster. Das Herrentennisturnier am Rothenbaum hat viele strahlende Sieger produziert, ebenso viele ehrbare und einige unehrenhafte Verlierer. Es ist ein lebendiger Teil der Hamburger Sportgeschichte und hat eine Fülle an Geschichten geschrieben. Die meisten handeln von den kleinen und großen Dramen auf den Sandplätzen, die sich in all den Jahren vor Publikum ereignet haben. Kaum bekannt ist, wie viele Menschen hinter den Kulissen dafür arbeiten, dass Spieler und Zuschauer sich wohlfühlen. Es geht um die guten Geister des Turniers. Im Abendblatt erzählen neun von ihnen ihre schönste Rothenbaum-Geschichte.
Bargeld für ein Auto
Geld ist Frauensache, wenigstens am Rothenbaum. Seit 22 Jahren ist Daniela Rudius dafür zuständig, den Tennisprofis ihr Preisgeld auszuzahlen. Die 44-Jährige, die beim Deutschen Tennis-Bund (DTB) in der Abteilung Finanzen und Rechnungswesen angestellt ist, sitzt dafür mit ihrer Kollegin Monika Leck in einem kleinen Büro im Players’ Center, das unterhalb der Haupttribüne liegt. Da das Turnier seit fünf Jahren von der Firma HSE ausgerichtet wird, leiht der DTB seine Fachkraft für die Turnierwoche aus.
Das Verteilen des Preisgelds war bis zum Ende der 1990er-Jahre eine spannende Angelegenheit, denn damals wurden große Teile noch in bar in einem Tresor aufbewahrt. Sicherheitsleute, die Rudius und ihren Schatz bewachten, gab es nicht. Die Spieler hatten die Wahl, einen Scheck zu bekommen oder sich mit Bargeld bezahlen zu lassen. Mitte der 90er-Jahre war es, als der Ukrainer Andrej Medwedew, der 1994, 1995 und 1997 den Titel gewann, mit einem Sonderwunsch aufwartete. „Er kam zu uns und sagte, er müsse seinen Trainer und sein Team bezahlen, und dafür bräuchte er mehrere Schecks. Außerdem wollte er noch eine größere Summe Bargeld, um sich ein Auto zu kaufen“, erinnert sich Rudius. Der Wunsch wurde erfüllt.
Heutzutage gibt es nur noch wenig Bargeld in Rudius’ Büro. Das Preisgeld, das in diesem Jahr insgesamt 1,1 Millionen Euro beträgt, wird nach der Abrechnung, die jeder Spieler oder ein von ihm autorisierter Vertreter unterzeichnen muss, am Montag nach dem Endspiel von der HSE an die Herrentennisorganisation ATP überwiesen. Dort sind die Kontoverbindungen der Profis hinterlegt, die ATP leitet das von Rudius anhand einer festgelegten Preisgeldstaffel ermittelte Salär an jeden Spieler weiter. Unstimmigkeiten über die Höhe der Summe gibt es nur, wenn von der ATP verhängte Strafgelder vom Gewinn einbehalten werden. „Aber eigentlich sind alle Spieler freundlich zu uns. Am nettesten war immer Roger Federer. Der hat sich sehr höflich bedankt und wie ein Gentleman benommen.“
Machtlos nur im Gewitter
Roger Federer. Der Name des Schweizer Grand-Slam-Rekordsiegers, der in Hamburg viermal den Titel holte und in diesem Jahr sein Comeback nach vierjähriger Abstinenz feiert, fällt oft, wenn über den nettesten, höflichsten und gleichzeitig normalsten Star entschieden werden soll. Auch Lars Steffensen hat mit Federer beste Erfahrungen gemacht. „Wenn ich ihm helfen konnte, hat er sich immer besonders freundlich bedankt“, sagt Steffensen. Der 48-Jährige, im Hauptberuf Geschäftsführer eines Hamburger IT-Unternehmens, ist während der Turnierwoche mit einem vierköpfigen Team für die technische Sicherheit zuständig.
Als er 1982 anfing, gab es auf der gesamten Anlage 25 Schreibmaschinen, zwei Festnetztelefone und ein Telexgerät. Heute sind allein rund 500 Laptops in das interne Rothenbaum-Netzwerk mit zehn Internetanschlüssen eingebunden. Neben den rund 200 Journalisten haben alle Spieler und deren Angehörige ihre Computer dabei; dazu kommen Tausende Mobiltelefone, da fast jeder Zuschauer mittlerweile ständig erreichbar ist.
Steffensen wird gerufen, wenn es Probleme mit der Technik gibt, von Spielern ebenso wie von Journalisten und Mitarbeitern. Wenn einer es nicht schafft, im Internet die Seiten von Wettanbietern aufzurufen, kann er nichts tun, denn die sind gesperrt, damit kein Missbrauch getrieben wird. Wenn, wie 2012, dem Oberschiedsrichter der Laptop gestohlen wird, stellt Steffensen Ersatz. In den mehr als 30 Jahren seines Wirkens gab es noch nie einen Systemausfall. Nur einmal, Anfang des letzten Jahrzehnts, fiel wegen schweren Gewitters für drei Stunden der Strom aus. Da war selbst Steffensen machtlos.
Edbergs Wucht am Kopf gespürt
Machtlosigkeit ist ein Gefühl, das Gustav Lüllau nicht kennt, wenigstens nicht, wenn er während der Turnierwoche von seinem Unternehmen an den Rothenbaum verliehen wird. Mehr als 25 Jahre arbeitet der 49-Jährige als Elektriker auf der Anlage, die Arbeit ist für ihn längst Routine, er kennt die neuralgischen Punkte, die für Probleme sorgen. Meist sind es die Pumpen auf dem mobilen Dach, die den Regen, der leider viel zu oft fällt, ableiten sollen.
Einen Moment gab es jedoch, in dem auch Lüllau überrascht wurde. 1992, der schwedische Topspieler Stefan Edberg trainierte auf dem Centre-Court und hatte darum gebeten, einen Tempomesser aufzustellen, damit er die Geschwindigkeit seines Aufschlags kontrollieren kann. Das war Lüllaus Aufgabe. Doch als er gerade dabei war, das Gerät in Betrieb zu nehmen, krachte ein Tennisball mit voller Wucht gegen seinen Hinterkopf. Edberg hatte sein Zielwasser nicht getrunken und statt des Aufschlagfelds den Elektriker getroffen. „Er hat sich aber sehr nett entschuldigt, damit war die Sache gegessen“, sagt Lüllau. Auf den Centre-Court geht er trotzdem nur noch, wenn dort nicht scharf geschossen wird.
Schwindelfrei sollte man sein
Tennisprofis bei der Arbeit zu stören, das ist in einem Sport, in dem das „Quiet please“ des Stuhlschiedsrichters zum guten Ton gehört, fast eine Majestätsbeleidigung. Günter Thiel, 73, Helmut Gemsa, 67, und Torsten Reusch, 47, hatten allerdings die perfekte Ausrede, als sie vor vier Jahren während laufender Spiele zur Tat schreiten mussten. Die drei Urgesteine sind zehn Tage vor dem Turnier, währenddessen und vier Tage danach mit dem Auf- und Abbau auf der Anlage beschäftigt. Sie schrauben die Sitzschalen an, bessern zerrissene Werbebanner aus, decken bei Regen die Plätze mit Planen ab und sind auch zu Diensten, wenn – was regelmäßig passiert – Zuschauern ihr Handy oder Hausschlüssel zwischen Tribüne und Werbebande fällt.
An dem besagten Tag vor vier Jahren war auf dem mobilen Dach, das seit 1998 den Centre-Court auch bei Regen bespielbar macht, ein Motor ausgefallen. „Wir mussten dann, weil Regen drohte, das Getriebe austauschen, während unten gespielt wurde. Vier Stunden hat das gedauert, beschwert hat sich zum Glück niemand“, sagt Helmut Gemsa. Torsten Reusch ist bis heute froh, dass er nur die Leiter halten musste. Er ist nicht schwindelfrei.
Als „Petko“ die Seiten wechselte
Schwindeln ist vor allem im Pressezentrum nicht erlaubt, schließlich erwarten die Leser von ihrer Zeitung wahrhaftige, sauber recherchierte und authentische Berichterstattung. Dass vor allem der dritte Punkt erfüllt wird, ist ein Verdienst von Oliver Quante. Der 41-Jährige war zwischen 2007 und 2012 Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des DTB und ist auch in diesem Jahr wieder für das Turnier als Pressechef tätig.
Er hatte vor fünf Jahren die Idee, die damals an einem Kreuzbandriss laborierende Spitzenspielerin Andrea Petkovic für ein Praktikum in der Pressestelle anzuwerben. „Ich wusste, dass Petko eine Affinität zum Journalismus hatte, sie hatte für die FAZ schon eigene Kolumnen geschrieben und war sofort Feuer und Flamme, als ich ihr vorschlug, bei uns mitzuarbeiten“, sagt er.
Die damals 20-Jährige blühte in dieser neuen Funktion auf, sie schrieb eine tägliche Kolumne für das „Abendblatt“, war als Botschafterin des Turniers morgens im Frühcafé bei Hamburg 1. Vor allem aber brachte sie ihre männlichen Kollegen regelmäßig zum Schmunzeln, wenn sie sich bei Pressekonferenzen unter die fragenden Medienvertreter mischte. Der Serbe Novak Djokovic begrüßte sie sogar in seiner Landessprache, die Petkovic als Tochter bosnischer Eltern bestens verstand. „Es war ein tolles Erlebnis. Sie erzählt heute noch begeistert von ihrer Woche am Rothenbaum “, sagt Quante.
Nadal – ein Superstar als Kinderfreund
Der Rothenbaum versteht sich als Ort für die ganze Familie, besonders Kinder und Jugendliche sollen in ihrer Begeisterung für den Tennissport bestärkt werden. Seit 2002 gibt es deshalb die Aktion „Children for Champions“, die zu Beginn „Hexenkessel“ hieß. Dabei haben Vereine die Möglichkeit, mit einer Gruppe von Nachwuchsspielern einen Profi so lange als Fanclub zu unterstützen, wie dieser im Turnier ist. Gegenleistung für die Anfeuerung: freier Eintritt und Verköstigung. Björn Kroll, 35, im Hauptberuf Sport- und Eventmanager, engagiert sich seit 2005 für die Aktion, in diesem Jahr erstmals als Koordinator. Da während der Sommerferien viele Jugendliche verreist sind, stehen jedem der 24 angemeldeten Fanclubs in diesem Jahr zwei Spieler zur Verfügung. Bis heute wurden viele Kindern glücklich gemacht. „99 Prozent der Spieler freuen sich über die Unterstützung und sind gern bereit, für Fotos und Autogramme zur Verfügung zu stehen oder sich mit ihren Fans zu unterhalten“, sagt Kroll. Besonders die Stars Rafael Nadal und der Argentinier Juan Monaco, der im vergangenen Jahr den Titel holte, taten sich hervor. Sie luden ihre Fanclubs zum gemeinsamen Training ein. „Das war ein großartiges Erlebnis für die Kinder“, sagt Kroll.
Mit Noah auf Zeitreise
Ein großartiges Erlebnis? Ben Chadwick muss nicht lang überlegen, um das Highlight seiner Rothenbaum-Karriere ins Gedächtnis zurückzurufen. Der 36-Jährige kam 2004 als Moderator auf der Showbühne von Radio Hamburg zum Tennis, heute arbeitet er im Bereich Sponsoring und Marketing für die Ausrichterfirma HSE und ist in dieser Position auch dafür zuständig, für die Stars ein buntes Rahmenprogramm zu organisieren.
2010 war der Franzose Yannick Noah zum Legendenspiel mit Turnierdirektor Michael Stich angereist. Nach einem launigen Abend im VIP-Bereich zogen die beiden Altmeister in Begleitung von Chadwick und HSE-Geschäftsführer Detlef Hammer spontan ins Zwick weiter. „Eigentlich wollten wir nur einen Absacker trinken. Aber dann kam Noah ins Plaudern und erzählte in einer unglaublich sympathischen Art seine Lebensgeschichte“, erinnert sich Chadwick. „Vor allem konnte er nicht nur reden, sondern auch zuhören. Wir waren alle total beeindruckt, auch Stich.“ Erst gegen vier Uhr morgens endete der Ausflug in Noahs Vergangenheit, und am nächsten Morgen stand der damals 50-Jährige auf dem Platz und absolvierte ein PR-Match mit Amateurspielern. „Ein absoluter Profi“, sagt Chadwick, „ich habe nie einen besseren erlebt.“