Zum ersten Mal seit 2008, nachdem das Hamburger Traditionsturnier von der Herrentennisorganisation ATP vom Mastersstatus auf den 500er-Status herabgestuft wurde, startet Roger Federer wieder in der Hansestadt.
Hamburg. Die wartenden Medienvertreter waren einigermaßen verstört, als der junge Mann, der gerade das Tennismasters am Rothenbaum gewonnen hatte, ein Tablett mit Sektgläsern in den Presseraum hineinbalancierte. Dazu stellte er mehrere Flaschen Sekt auf den Tisch und verkündete, er wolle seinen Triumph gerne mit denen feiern, die ihn die Woche über so wohlwollend begleitet hatten. Nach einem kurzen Moment der Verwunderung wurde das prickelnde Getränk ausgeschenkt, die Sektgläser reichten nicht, es mussten zusätzlich Pappbecher verteilt werden. Dann saß man in gemütlicher Runde beisammen, um das Geschehene Revue passieren zu lassen.
Gute elf Jahre ist diese Szene mittlerweile her, eine Pressekonferenz dieser Art hat es am Rothenbaum nie wieder gegeben. Roger Federer hat seitdem viele andere Maßstäbe gesetzt im weltweiten Tenniszirkus, und doch erinnert sich der 31-Jährige gern an den 19. Mai 2002 und seinen 6:1, 6:3, 6:4-Finalsieg über den Russen Marat Safin zurück. „Mein erster Sieg in Hamburg wird immer einen besonderen Stellenwert für mich haben“, sagt er, „denn einerseits war es mein erster Triumph bei einem Masters-Wettbewerb, andererseits bin ich dadurch zum ersten Mal in die Top Ten der Weltrangliste vorgestoßen. Mein Durchbruch war in Hamburg, das werde ich nie vergessen.“
Dass der Schweizer sich in diesen Tagen vermehrt mit diesen Gedanken beschäftigt, hat einen einfachen Grund. Zum ersten Mal seit 2008, nachdem das Hamburger Traditionsturnier von der Herrentennisorganisation ATP vom Mastersstatus (1000 Weltranglistenpunkte für den Sieger) auf den 500er-Status herabgestuft wurde, startet er wieder in der Hansestadt. Möglich wurde das durch eine Wildcard, die Federers Manager Tony Godsick bei Turnierdirektor Michael Stich anfragte, nachdem Federer in Wimbledon bereits in Runde zwei am Ukrainer Sergej Stachowski gescheitert war. „Michael hatte mich in Wimbledon angesprochen, dass er mich vor meinem Karriereende gern noch einmal in Hamburg sehen würde. Ich habe geantwortet: Je früher, desto besser. Dass es so früh passieren würde, hätte ich nicht gedacht“, sagt Federer. Nach Godsicks Anfrage konnte mit der Hilfe privater Gönner wie der Alexander-Otto-Sportstiftung und von Titelsponsor Bet-at-home eine Antrittsgage in mittlerer sechsstelliger Höhe aufgetrieben werden. Federer wird am Sonntag in Hamburg erwartet und am Dienstag oder Mittwoch als Topgesetzter sein Zweitrundenmatch bestreiten.
Seitdem diese Nachricht am vorvergangenen Mittwoch verkündet wurde, hat der Kartenverkauf merklich angezogen, vor allem für den Freitag und Sonnabend, an dem Viertel- und Halbfinals ausgespielt werden, ist die Nachfrage immens. Die Erwartungshaltung des Publikums ist klar, man will den eleganten Schweizer im Endspiel sehen. Er selber ist, seinem Naturell entsprechend, eher zurückhaltend. „Für mich geht es erst einmal darum, wieder besseres Tennis zu spielen als in Wimbledon“, sagt er. „Natürlich gehe ich in Hamburg an den Start, um zu gewinnen, aber das ist kein Selbstgänger, das Feld ist ja immer noch stark besetzt.“ Die Rolle des Topfavoriten nehme er aber ebenso gern an wie die des Publikumsmagneten. „Es ist für mich ein schönes Gefühl zu wissen, dass die Leute mich gern spielen sehen. Und der Druck, der Favorit zu sein, macht mich ja auch stärker“, sagt er.
Diesen Druck hat er zuletzt bei den Grand-Slam-Turnieren nicht mehr in dem Maß verspürt wie zu den Zeiten, als er das Welttennis nach Belieben dominierte. Es sind in dem Serben Novak Djokovic, dem Spanier Rafael Nadal und dem Briten Andy Murray Konkurrenten erwachsen, die Federer von Platz eins der Weltrangliste verdrängt haben, den er immerhin 302 Wochen seiner Karriere belegte. Die bezaubernden Momente, in denen der gebürtige Basler mit seiner überragenden Spielintelligenz auch in aussichtslosesten Szenen noch die bessere Antwort parat hat, sind weniger geworden. In Wimbledon endete seine unglaubliche Erfolgssträhne von 36 Grand-Slam-Viertelfinalteilnahmen in Serie seit den French Open 2004. Dass daraufhin wieder einmal der Abgesang auf Federers Karriere angestimmt wurde, hat ihn nicht überrascht. „Ich kenne das ja schon“, sagt Federer.
Vor fünf Jahren hätte ihn eine Pleite gegen einen mittelmäßigen Profi wie Stachowski mehr gestört, „jetzt habe ich gelernt, damit besser umzugehen“. Nach dem Aus in London hatte er sich zunächst verwirrt gefragt, wie es nun weitergehen würde. „Doch schon 48 Stunden später hatte ich den klaren Plan, in Hamburg zu spielen und danach in Gstaad“, sagt er. Die 2000 Punkte, die er als Titelverteidiger in Wimbledon verlor, will der Weltranglistenfünfte sich nun auf kleineren Turnieren zurückholen, um die WM Ende des Jahres spielen zu können. „Ich freue mich sogar darauf, wieder ein 500er-Turnier zu spielen. Ich habe diese Nähe zu den Fans, die Atmosphäre bei kleineren Turnieren jahrelang vermisst“, sagt er.
Bei vielen Profis sind solche Worte leere Phrasen, die man eben so sagt, um nett zu sein. Einem wie Federer, der als stets höflicher und zurückhaltender Weltstar gilt, darf man sie glauben. Der Mann, der als Juniorenspieler für seine Wutausbrüche berüchtigt war, ruht nach der Rekordzahl von 17 Grand-Slam-Triumphen und insgesamt 77 Turniersiegen, vier davon am Rothenbaum, in sich. Vorwürfe mancher Gegner, er würde mit seiner Art langweilen, prallen an ihm ab. Eher belustigt verfolgt er, wie sich sein Freund Tommy Haas auf dem Platz gern als Derwisch aufführt. „Er braucht das für sein Spiel, um sich zu motivieren. Deshalb konnten wir früher auch nie gemeinsam trainieren, weil wir beide Hitzköpfe waren“, sagt er. Seit die beiden Altmeister Familienväter sind – Federer hat knapp vier Jahre alte Zwillingstöchter, Haas ein zwei Jahre altes Mädchen –, verstehen sie sich nicht nur abseits des Platzes blendend. Was nichts daran ändert, dass Federer seinem Kumpel dessen ersten Triumph in der Heimat gern verbauen würde. „Wenn es zum Finale gegen Tommy kommt, werde ich ihn sicherlich nicht gewinnen lassen“, sagt er.
Roger Federer hat immer betont, dass er 2016 in Rio de Janeiro das letzte verbliebene Ziel seiner Karriere anpeilt, olympisches Gold im Einzel. Bis dahin will er versuchen, so viele Turniere wie möglich zu gewinnen. Der Einzige, dem er noch etwas beweisen muss, ist er selbst. „Ich will zeigen, dass mir Tennis noch Spaß macht“, sagt er. Hamburg freut sich auf diesen Beweis.