Nach einer Nervenschlacht im Halbfinale verpasst Britta Heidemann im Finale Gold, holt aber die erste Medaille für das deutsche Team.
London. Britta Heidemann stopfte den Fecht-Handschuh in die Maske, stieg enttäuscht von der Planche und suchte Trost bei ihrer Familie. Am Ende eines denkwürdigen Tages hatte sie um Gold gekämpft und hielt Silber in den Händen. Nach einer bizarren Nervenschlacht um den Finaleinzug musste sich die Olympiasiegerin von Peking der Ukrainerin Jana Schemjakina geschlagen geben. Im letzten Gefecht unterlag die 29 Jahre alte Kölnerin mit 8:9 im Sudden Death. Die ehemalige Weltmeisterin holte aber am dritten Tag der Spiele von London die erste Medaille für die deutsche Mannschaft.
Vorausgegangen war im Halbfinale ein sportliches Drama gegen die Südkoreanerin Shin A Lam. 28 Minuten lang wurde diskutiert, ob der Treffer zum 6:5 von Heidemann im Sudden Death innerhalb der letzten angezeigten Sekunde gesetzt worden war. Funktionäre, Zeitnehmer und Trainer redeten sich die Köpfe heiß. Am Ende des skurrilen, beinahe unwürdigen Schauspiels leuchtete eine grüne "6" auf der Anzeigetafel auf, Heidemann verließ unter Jubelschreien erst einmal die Halle.
Danach wurde es beinahe bizarr. Südkorea legte Protest ein, die Delegation allerdings hatte zunächst die dafür erforderliche Gebühr von 500 Schweizer Franken, umgerechnet 416 Euro, nicht griffbereit. Ein Funktionär musste erst zu einem Bankautomaten eilen. Heidemann stand in der Zwischenzeit in den Katakomben und telefonierte, Shin A Lam saß wie in Trance auf der Planche. Um 20.12 Uhr Ortszeit, 1:42 Stunden nach Kampfbeginn, hatte Heidemann endlich gewonnen. "Es gab nichts zu diskutieren, ich habe einen regulären Treffer gesetzt. Ich hätte mir allerdings einen anderen Finaleinzug gewünscht", sagte sie.
Die Diskussionen waren entstanden, nachdem die Uhr im Sudden Death 00:01 gezeigt hatte. Heidemann hatte für die Verlängerung per Los den "Nachteil" zugelost bekommen, hätte bei Gleichstand demnach verloren. Sie griff an - Doppeltreffer. Die Uhr zeigte weiter 00:01. Heidemann attackierte erneut - Doppeltreffer. Zwei Treffer innerhalb einer Sekunde - das rief Kampfrichterin Barbara Csar (Österreich) auf den Plan.
Csar ging zur Planche, befragte beide Fechterinnen, ob sie damit einverstanden seien, die Uhr nochmals auf 00:01 zurückzusetzen und das Gefecht ein letztes Mal freizugeben. Heidemann und Shin A Lam stimmten zu. Csar gab das Startsignal. Heidemann attackierte - und traf nach 0,84 Sekunden. Die Uhr zeigte 00:00.
"Es gibt häufiger Diskussionen wegen der Uhr. Aber das ist schon ungewöhnlich, dass das so in einem olympischen Halbfinale passiert", sagte der erstaunlich ruhige Sportdirektor Manfred Kaspar. "Es ist", ergänzte er, "ein Prozess von Diskussionen und Wirrwarr entstanden." Michael Vesper, Chef de Mission der deutschen Olympiamannschaft, betonte, Heidemann sei "völlig regulär ins Finale eingezogen. Sie hat sich sportlich qualifiziert."
Dass sie nervenstark ist, hatte die Olympiasiegerin von 2008 im Laufe des Tages allerdings schon zur Genüge bewiesen. Beinahe wäre der Wettkampf für sie beendet gewesen, bevor er richtig begonnen hatte. Im ersten Gefecht gegen die Italienerin Bianca del Carretto lag Heidemann 20 Sekunden vor Schluss mit 10:13 zurück, mit drei schnellen Treffern rettete sie sich in die Verlängerung - und gewann 14:13. Das frühe Aus war abgewendet. Dass es im Finale nicht zum Happy End nach der wohl längsten Sekunde der Fechtgeschichte reichte, lag an Heidemann selbst. In der Verlängerung wurde ihr der Vorteil zugesprochen, ein Remis hätte für Gold gereicht. Doch sie attackierte ungestüm - und kassierte den Treffer. Und die Südkoreanerin A Lam, die nach dem Halbfinale bitterlich weinte, verlor den Kampf um Bronze gegen Sun Yujie (China).