Sportdirektor Erik Zabel über das Ende seiner Laufbahn als Radrennfahrer, hohe Erwartungen und die Karriere seines Sohnes.

Hamburg. Erik Zabel ist auch nach seinem Rücktritt als Radprofi vor drei Jahren ein viel beschäftigter Mann. Die Rolle des Sportdirektors bei den Vattenfall Cyclassics nimmt der 41-jährige Berliner ebenso ernst wie jene beim Velothon in der Hauptstadt als Berater des zum Saisonende aufgelösten HTC-Highroad-Teams oder als Fahrervertreter im Pro-Tour-Rat des Weltverbands UCI. Und weil er nicht vom Schreibtisch aus arbeitet, sondern zum Beispiel 15- und 16-jährige Nachwuchsfahrer bei den "Youngclassics" betreut, lud er das Abendblatt zum Interview in seinen schwarzen Audi A6 - auf der Fahrt nach Hollenstedt. Das Navigationsgerät dirigierte, Zabel lenkte und antwortete entspannt.

Hamburger Abendblatt: Herr Zabel, 2008 fuhren Sie Ihr letztes Profi-Straßenrennen. Wenn Sie jetzt die Radsportler sehen, die am Sonntag in Hamburg bei den Cyclassics starten, kribbelt es dann?

Erik Zabel: Nein. Offen gesprochen kommt mir das mittlerweile wie ein anderes Leben vor, ein komplett abgeschlossener Abschnitt. Ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, wie das war. Ich fahre schon noch gern Fahrrad, aber wenn ich jetzt eine 100-Kilometer-Strecke absolviere, was etwa mein Limit ist, weil ich a) nicht mehr brauche und b) auch keine Lust mehr habe, und das mit den Zahlen von früher vergleiche, wo ich öfter 200 Kilometer erreicht habe, kann ich nur schwer verstehen, dass ich das einmal so extrem betrieben habe.

Müssen Sie als Hochleistungssportler nicht auch aus medizinischen Gründen weitermachen? Ein Sportlerherz lässt sich nicht ohne Weiteres abtrainieren.

Zabel: Gute Frage. Die habe ich mir auch gestellt, als ich meine Laufbahn beendet habe. Ich habe Trainer und Sportarzt um Rat gefragt. Viele beschäftigen sich mit dem Training, aber mit dem Abtraining kaum jemand. Es gibt natürlich auch keinen Markt und keine wissenschaftlichen Erhebungen darüber, weil die meisten, die ihre Karriere beenden, den Kanal voll haben vom Sport. Viele haben auch nicht mehr die Zeit. Am Ende hat mir Dr. Helge Riepenhof vom Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg-Boberg, der auch das HTC-Radteam betreut hat, den plausiblen Satz gesagt: Fahre einfach, wenn du Lust und Zeit hast - und jedes Jahr die Hälfte der Kilometer des Vorjahres, damit sich die Organe und vor allem das Herz ganz langsam an die geringere Belastung gewöhnen.

Wie viel Kilometer fahren Sie denn jetzt?

Zabel: Gegenüber dieser Theorie noch zu viel. Ich bin im zweiten Jahr genau so viel gefahren wie im ersten.

Fahren Sie denn noch weitere Jedermann-Rennen mit oder ist das am Sonntag eine Ausnahme?

Zabel: Auf jeden Fall fahre ich den Velothon in Berlin und die Cyclassics in Hamburg, bei denen ich als Sportdirektor in der Verantwortung stehe. Es ist nichts besser als der persönliche Eindruck. Wenn wir das Rennen nachbetrachten, sitzen Experten am Tisch, von denen keiner selbst mitgefahren ist. Es hilft, wenn man das einordnen kann.

Sie sehen immer noch sehr sportlich aus. Wie weit sind Sie eigentlich von Ihrem idealen Kampfgewicht entfernt?

Zabel: Das Unangenehme an der Natur des Menschen ist ja, wenn er nicht mehr im täglichen Trainingsprozess ist, dass die Muskulatur und die Ausdauer relativ schnell verschwinden und an dieselben Stellen die Fettpölsterchen treten. Weil aber Fett viel leichter ist als Muskelmasse, hat sich mein Gewicht gar nicht so stark verändert, ich bin vielleicht zwei, drei Kilo schwerer als zu meinen aktiven Zeiten, habe aber einen ganz anderen Körper.

Sie suchen keine neue Herausforderung?

Zabel: Nein, viele ehemalige Athleten verspüren den Drang, einen Triathlon mitzulaufen. Das juckt mich gar nicht. Bei den Jedermann-Rennen geht es für mich nur darum, dieses Gefühl aufzufrischen, das man früher hatte. Bei mehr als 100 Renntagen im Jahr war das ein Stück Normalität. Jetzt ist es etwas Besonderes, auf abgesperrten Straßen durch eine große Stadt zu fahren - da kommen Erinnerungen hoch.

Und welche Erinnerungen haben Sie an die Rennen in Hamburg?

Zabel: Aus der Position des aktiven Rennfahrers denke ich an den Stressfaktor. Ich bin 13 Jahre für das Team Telekom gefahren, war bestimmt neunmal bei den Cyclassics im Einsatz. Alle deutschen Rennen waren Großkampftage. Als Heimmannschaft hatten wir immer die Verantwortung auf den Schultern, und als Mitfavorit bist du sogar für das Ergebnis verantwortlich. Ob Henninger Turm, Rund um Köln oder die Cyclassics, mit diesen Rennen war immer ein gewisser Druck verbunden, sodass man das nicht wirklich genießen konnte.

Also mehr Last als Lust?

Zabel: Ja, natürlich. Bei den deutschen Rennen, insbesondere Hamburg, standen wir nun mal immer im Fokus. Ich wurde als einer der wenigen Fahrer unmittelbar nach Zieleinlauf immer an den Erwartungen gemessen.

Sind die Deutschen besonders kritisch, was den Erfolg angeht?

Zabel: Die Athleten setzen sich die Messlatte auch selbst. Aber Deutschland ist eine der wenigen Nationen, die Erfolg oder Misserfolg bei Olympischen Spielen am Medaillenspiegel messen. Im Radsport kam noch dazu, dass wir über den Erfolg hohe Erwartungen geweckt haben.

Sie haben in diesem Jahr eine Änderung des Streckenverlaufs der Cyclassics initiiert. Wäre es sonst zu langweilig für die Profis, in Hamburg anzutreten?

Zabel: Nein, die heutige Rennfahrer-Generation ist nicht viel anders als unsere damals. Hamburg war immer ein beliebtes Ziel. Allein deshalb, weil es eine Großstadt ist. Zwar würde kein Rennfahrer auf die Idee kommen, am Abend auf den Kiez zu gehen. Aber viele achten schon darauf, dass sie ihren Rückflug erst am Montag buchen, damit sie nach dem Rennen in die Stadt gehen und im Kreise der Kollegen in aller Ruhe noch etwas trinken gehen können. Hamburg ist eine Ausnahme: gute Straßen, ein gutes Hotel, gutes Essen - mehr verlangen die Fahrer nicht. Hinzu kommt, dass die Strecke nicht das schwerste Profil aufweist. Für die Teams ist das ein großer Vorteil. Sie können Fahrer einsetzen, die noch müde von der Tour de France sind oder sich erst noch beweisen müssen.

Ihr Sohn Rik ist 17 Jahre alt und ebenfalls im Radsport aktiv. Ist Ihre sportliche Vergangenheit eine Bürde für ihn?

Zabel: Sicherlich. Ich glaube schon, dass der Name mehr Bürde als Vorteil ist. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass ich mein eigenes Kapitel geschrieben habe und er eine eigenständige Person mit eigenem Charakter ist. Man tut gut daran, das voneinander zu trennen.

Heute wird bei jeder guten Leistung eines Sportlers hinterfragt, ob alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Muss das junge Athleten nicht belasten?

Zabel: Ja, aber das ist kein radsportspezifisches Problem. Der Vorteil aller Sportler ist heute, dass sie mit der gesellschaftlichen Grundstimmung groß werden. Ich glaube nicht, dass es jemanden aus der Fassung bringt, wenn mal eine kritische Nachfrage kommt.

Wird er manchmal mit kritischen Fragen konfrontiert - etwa in Bezug auf Ihre Doping-Beichte 2007?

Zabel: Wissen Sie, ich habe meine Laufbahn beendet und bin seit mehr als drei Jahren komplett raus aus den sportlichen Schlagzeilen. Rik ist im Nachwuchsbereich aktiv, sodass ihn die Problematik im Grunde nicht einmal in der Peripherie betrifft.

Inwieweit können Sie ihm denn helfen?

Zabel: Wenn die eigenen Kinder dieselben Leidenschaften pflegen wie man selbst, sollte man sich zurücknehmen. Es ist das Beste, wenn Rik seine eigenen Erfahrungen macht und dann in der Lage ist, daraus zu lernen. Natürlich ist man als Ex-Profi immer versucht, mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Aber ich bin froh, dass er seinen eigenen Trainer und sein eigenes sportliches Umfeld hat. Ich bin nur in Ausnahmefällen in beratender Tätigkeit dabei.

Muss man sich um das nachlassende Interesse am Radsport Sorgen machen?

Zabel: Deutschland ist ein Land, das Sportarten hoffähig macht, in denen Stars existieren. Anders sieht es im Ausland aus: In Frankreich ist die Tour de France der Star, egal, ob ein Landsmann besonders gut fährt oder nicht. In Deutschland wollen die Menschen auf große Sieger blicken. Steffi Graf, Boris Becker und Michael Stich haben Deutschland zu einer Tennis-Nation gemacht. In den 90er-Jahren war dann plötzlich der Radsport mit Jan Ullrich und mir sehr populär. Franziska van Almsick gelang es, die Menschen für den Schwimmsport zu begeistern. Doch sobald die Stars nicht mehr gut genug sind oder ihre Karrieren beenden, bricht die mediale Wahrnehmung ab.

Wie bei der Tour de France. ARD und ZDF haben entschieden, ab 2012 auf eine Live-Berichterstattung vom Radsport-Event zu verzichten.

Zabel: Keine Fernsehanstalt der Welt wird gegen den Willen des Publikums entscheiden. Interessant wird es allerdings, wenn ein Deutscher bei der Tour eine Woche lang im Gelben Trikot fährt.

Hat der Radsport in Deutschland nur dann eine Chance, wenn sich ein Profi langfristig in der Weltspitze etabliert?

Zabel: Ich denke, das ist die Grundvoraussetzung. Darüber hinaus gilt es, verlorenes Vertrauen und auch Image zurückzugewinnen. Das alles kann nur passieren, wenn ein Star da ist, den die Leute gerne sehen. Derjenige hat natürlich einen gewaltigen Rucksack an Verantwortung mitzuschleppen.