Der erste Turniersieger aus Kasachstan, der zwischen Welt.- und Kreisklasse schwankt, trifft in diesem Jahr zunächst auf Kohlschreiber.
Hamburg. Seinen 24. Geburtstag würde Andrej Golubjew am 22. Juli gern in Hamburg feiern. Zwar wäre er dann viele Kilometer von seinen zwei Heimstätten, dem Geburtsland Russland und dem Wohnort Bra im italienischen Piemont, entfernt. Doch als Tennisprofi ist der Kasache einerseits das Nomadenleben auf der ATP-Tour gewöhnt, andererseits würde ein Ehrentag in der Hansestadt bedeuten, dass er den Viertelfinal-Freitag am Rothenbaum erreicht hätte. Und das wäre für den Vorjahressieger, der neben dem Titel immerhin 500 Punkte in der Weltrangliste zu verteidigen hat, ein wichtiges Etappenziel.
„Ich mache mir darüber aber nicht viele Gedanken“, sagt er, „ich komme nach Hamburg zurück, um wieder so eine tolle Zeit zu haben wie im vergangenen Jahr.“ Sein Finaltriumph über den Österreicher Jürgen Melzer war nicht nur sein erster Titelgewinn, sondern der erste überhaupt für sein Land gewesen. Dem Stellenwert des Tennissports habe dieser Sieg enorm genutzt. „Viel mehr Menschen gucken jetzt unsere Spiele, vor allem im Daviscup“, sagt er. Auch wenn es dort am vorvergangenen Wochenende eine 0:5-Viertelfinalpleite in Argentinien gab, ist die Stimmung in der ehemaligen Sowjetrepublik positiv. „Die gute Arbeit, die der Verband und die Spieler geleistet haben, wird jetzt anerkannt, zumal drei Monate nach mir auch Michail Kukuschkin in St.Petersburg gewonnen hat“, sagt Golubjew, der 2008 zum kasachischen Verband gewechselt war, weil in Russland die Chance auf einen Platz im Daviscup-Team sehr gering gewesen wäre.
Für ihn persönlich hat sich nach Hamburg auch einiges geändert. In der Weltrangliste schoss er von Rang 82 hoch bis auf Position 33, derzeit ist er an 46.Stelle notiert. Von seinen 228000 Euro Preisgeld kaufte sich der Rechtshänder eine Wohnung in Bra, wo er seit seinem 15.Lebensjahr seinen Lebensmittelpunkt hat, „weil ich nach all den Reisestrapazen das entspannte Leben in einer Kleinstadt zu schätzen weiß“. Seiner Freundin Jewgenia, die ihn desöfteren zu Turnieren begleitet und dann die Spielanalysen übernimmt, spendierte er einen neuen Laptop. Mehr Luxus befand er nicht für nötig.
Es gibt aber auch eine Konstante in seinem Leben, die er zu ändern hoffte, aber die er bislang nicht in den Griff bekommen hat: seine sportliche Inkonstanz. „Bei mir geht es seit der Jugend sportlich hoch und runter. Mein Spiel ist sehr aggressiv, da ist der Grat zwischen Weltklasse und Kreisklasse schmal. Wenn ich mental und physisch topfit bin, bin ich kaum zu schlagen. Wenn nicht, sieht es schlecht für mich aus“, versucht er einen Lösungsansatz auf die Frage, die ihn selbst nicht erst seit vergangenem Sommer beschäftigt.
Schwermütig wird Golubjew angesichts seiner durchwachsenen Bilanz in der Saison 2011 nicht. „Motivation ist der Schlüssel zum Erfolg, deshalb werde ich weiter hart arbeiten, aber auch versuchen, Spaß zu haben“, sagt er. 2008 habe er in St.Petersburg sein erstes Finale erreicht, im Jahr darauf war schon in der ersten Runde Endstation. „Das kann mir auch in Hamburg passieren“, sagt er angesichts seines Erstrundengegners Philipp Kohlschreiber.
Den Traum, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, will sich Andrej Golubjew gern erfüllen. Er weiß, dass dazu zwei perfekte Wochen nötig wären. Aber er weiß auch, dass das Leben kein Wunschkonzert ist, nicht mal an einem 24.Geburtstag in Hamburg. (bj)