Zum Start des Tennisturniers am Rothenbaum analysiert Daviscup-Chef Patrik Kühnen die Chancen der Deutschen.
Hamburg. Wie es ist, ein Leben aus dem Koffer zu führen, das weiß Patrik Kühnen noch aus seiner Zeit als Tennisprofi. Zwischen 1985 und 1996 war der 45 Jahre alte Saarländer auf der ATP-Tour aktiv, in dieser Zeit gewann er mit der deutschen Nationalmannschaft dreimal den Daviscup. Seit 2003 ist Kühnen nun Kapitän des Daviscup-Teams, und in dieser Eigenschaft ist er noch immer weltweit unterwegs, um seine Spieler zu beobachten. Viele Erfolge konnte er zuletzt nicht miterleben. Ende Juni scheiterten alle deutschen Herren beim Grand-Slam-Turnier in Wimbledon in den ersten beiden Runden. Beim Daviscup-Viertelfinale gegen Frankreich setzte es in Stuttgart ein 1:4, beim anschließenden Turnier auf dem Weissenhof war Nachwuchsmann Cedric-Marcel Stebe im Viertelfinale der einzige Lichtblick.
Nun ist Kühnen in Hamburg, wo er sich zunächst um die Betreuung einiger Nachwuchs-Asse kümmerte. Bei den heute beginnenden German Open am Rothenbaum teilt er die Hoffnung von Turnierdirektor Michael Stich, der 1993 letzter deutscher Sieger in Hamburg war. "Ich würde mich freuen, wenn es einen Nachfolger für ihn geben würde", sagt Kühnen, "aber das Feld ist so ausgeglichen besetzt, dass man neben dem topgesetzten Franzosen Gael Monfils vor allem die Spanier und Italiener beachten muss." Für das Abendblatt beschreibt Kühnen Stärken, Schwächen und Chancen der acht fürs Hauptfeld qualifizierten deutschen Profis.
Florian Mayer (Bayreuth/27 Jahre alt/Nummer 20 der Weltrangliste): Flo zeichnet sein variables Spiel aus, mit dem er für Überraschungsmomente sorgen kann. Er schlägt eine tolle Rückhand und verfügt über ein starkes Serve-and-volley-Angriffsspiel. Beim Daviscup achte ich darauf, dass er nahe an der Grundlinie steht, damit seine Stärken zur Geltung kommen und er sich nicht das Spiel seines Gegners aufzwingen lässt. Er hat das Zeug zum Titel.
Philipp Kohlschreiber (Augsburg/27/44): Kohli hat seine Schwächephase vom Saisonbeginn überstanden und macht wieder einen guten Eindruck. Vor allem körperlich ist er gut in Form. Er schlägt sehr hart und mit viel Spin von der Grundlinie, auch sein Offensivspiel hat er verbessert. Leider bekommt er im Vergleich zu den Topspielern weniger freie Punkte bei eigenem Service, muss deshalb mehr um seine Aufschlagspiele kämpfen. Er spielt in Runde eins gegen Titelverteidiger Andrej Golubjew. Schlägt er ihn, kann er weit kommen.
Philipp Petzschner (Bayreuth/27/76): Petzsche ist einer der deutschen Profis mit den besten Anlagen. Er spielt sehr variabel, hat ein unglaubliches Auge für Spielsituationen, einen klasse Aufschlag und ein sehr gutes Offensivspiel mit starken Volleys. Ziel für ihn ist, konstanter seine Topleistungen abzurufen. Wenn er das schafft, ist er nicht nur in Hamburg ein Titelkandidat.
Tobias Kamke (Lübeck/25/88): Tobi ist sehr kampfstark und athletisch, sehr schnell auf den Beinen. Er verfügt über druckvolle Grundschläge, vor allem mit der Rückhand. Bei ihm sehe ich noch Potenzial beim Angriffs- und Volleyspiel. Ob es in Hamburg in diesem Jahr zum Titel reicht, von dem er so sehr träumt, ist fraglich, Außenseiterchancen hat er aber sicherlich, ebenso wie Top-50-Potenzial.
Andreas Beck (Ravensburg/25/140): Andy war im November 2009 die Nummer 33 der Welt, wurde dann aber von Verletzungen zurückgeworfen. Er ist ein Kämpfer, hat sehr harte Grundschläge und einen guten Aufschlag. Seine besten Matches hat er immer dann gespielt, wenn er das Geschehen auf dem Platz diktiert hat. Wenn er sich darauf besinnt und fit bleibt, sollte eine Rückkehr in die Top 50 drin sein.
Julian Reister (Reinbek/25/156): Julian war in dieser Saison von Krankheiten und Verletzungen gehandicapt, das hat ihn zurückgeworfen und es ihm schwer gemacht, auf einem konstanten Niveau zu spielen. Er ist ein guter Allrounder mit starkem Serve-and-volley-Spiel. Für ihn steht in den nächsten Monaten im Vordergrund, seine Turniere wie geplant durchzuziehen. Wie auch Tobi dürfte ihn die "Heimspiel-Atmosphäre" am Rothenbaum beflügeln.
Bastian Knittel (Ditzingen/27/184) und Cedric-Marcel Stebe (Vaihingen/20/197): Bastian ist ein kampfstarker Athlet mit dynamischen Grundschlägen, Cedric ist stark an der Grundlinie, hat eine sehr gute Einstellung und in der vergangenen Woche mit dem Viertelfinaleinzug in Stuttgart Selbstvertrauen getankt. Beide starten als Außenseiter und haben viel Entwicklungspotenzial.