Der Teammanager der deutschen Nationalmannschaft fordert im Profi-Fußball einen noch bewussteren Umgang mit dem Thema Depression. „Es ist traurig, wenn wir dieses Thema so abtun, als ob uns das im Fußball, vor allem bei den Profis, nichts angehen würde“, sagt Bierhoff ein Jahr nach Enkes Selbstmord.
Frage: „Oliver Bierhoff, der Tod von Robert Enke jährt sich am 10. November zum ersten Mal. Was hat sich seitdem im Profi-Fußball geändert?“
Oliver Bierhoff: „Wir neigen alle dazu, zu vergessen und vor allem zu verdrängen. Und so ist eine damals in den Blickpunkt gerückte Diskusssion zwölf Monate später längst kein großes Thema mehr. Aber ich habe auch festgestellt, dass es bei einigen eine große Sensibilität und eine Bereitschaft gibt, sich mehr mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Im täglichen Bewusstsein aber ist es sicher nicht mehr.“
Frage: „Betrifft das auch die Nationalmannschaft und Sie selbst?“
Bierhoff: „Man nimmt das Thema Depression bewusster wahr. Ich höre genauer hin, hinterfrage Entwicklungen und auffälliges Verhalten unter diesem Aspekt. Der Tod von Robert hat deutlich gemacht, dass man niemandem hinter die Stirn, allenfalls vor den Kopf schauen kann. Er hat uns aber auch gelehrt, stärker auf früher eher beiläufige bemerkte Signale zu achten.“
Frage: „Die Nationalmannschaft wird seit Jahren vom Psychologen Hans-Dieter Hermann betreut. Spielt die Psychologie seit dem Fall Enke eine noch größere Rolle?“
Bierhoff: „Sie ist noch mehr in den Mittelpunkt gerückt. Es ist ein wichtiger Bestandteil der Arbeit mit und in einer Gemeinschaft. Aber letztlich konnte kein Psychologe dieser Welt Robert helfen. Er hat bei bestimmten Themen kein Gespräch aufkommen lassen und konsequent abgeblockt.“
Frage: „Welche Lehren wurden im Kreis der Nationalmannschaft gezogen?“
Bierhoff: „Wir versuchen noch mehr Zeit zu investieren, noch genauer hinzuhören. Ich habe das Buch über Robert Enke, aber auch über Sebastian Deisler gelesen. Es ist traurig, wenn wir dieses Thema so abtun, als ob uns das im Fußball, vor allem bei den Profis, nichts angehen würde. Im Gegenteil: Wir müssen uns in Zukunft damit noch bewusster auseinandersetzen und entsprechende Angebote entwickeln.“
Frage: „DFB-Präsident Theo Zwanziger hat gefordert, die seiner Meinung nach unmenschlichen Züge im Leistungssport zu enttabuisieren. Ist dies realistisch?“
Bierhoff: „Er hat damit sicher nicht sagen wollen, dass Leistung im Sport etwas Schlechtes ist. Einige stoßen aber eben immer wieder an Grenzen. Punkte, an denen sie einfach glauben, nicht mehr weiter zu kommen und keinen Ausweg finden, sich im Kreis drehen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, diese Menschen aufzufangen, und ihnen auch im Leistungssport Perspektiven öffnen.“
Frage: „Was schlagen Sie vor?“
Bierhoff: „Es muss möglich sein, seine Probleme und Sorgen auch im Hochleistungssport offenbaren zu können, ohne dass dies als Schwäche ausgelegt wird. Wenn jemand unter diesem System leidet, muss er die Möglichkeit haben, dies auszudrücken. Das gilt nicht nur bei Depressionen. Wir alle neigen leider zu einem gewissen Schubladendenken. Aber niemand, der den Mut hat, ehrlich über das zu reden, was ihn umtreibt, darf in eine Ecke gedrängt werden. Und es muss Menschen geben, die den Mut haben, diese Probleme mitzutragen.“
Frage: „Es war angekündigt worden, dass die Nationalmannschaft während der WM in Südafrika noch einmal ihre Verbundenheit zu Robert Enke zum Ausdruck bringen wollte. Warum hat es diese Aktion nicht gegeben?“
Bierhoff: „Wir haben uns das überlegt und darüber auch mit Teresa Enke gesprochen, haben aber gemeinsam entschieden, es nicht zu tun. Sie wollte das nicht. Für uns ist ohnehin viel wichtiger, dass der Kontakt zu Teresa nicht abreißt. Über die Stiftung, aber auch privat. Auch einige Spieler melden sich immer wieder bei ihr. Die Nationalspieler und wir von der sportlichen Leitung spenden zudem regelmäßig für die Robert-Enke-Stiftung.“
Frage: „Wenn Sie Ihren Kontakt zu Robert Enke reflektieren, denken Sie dann manchmal, dass Sie vielleicht einige Zeichen nicht erkannt haben?“
Bierhoff: „Man sieht im Nachhinein sicher einiges differenzierter. Wir alle waren und sind Fehleinschätzungen unterlegen. Ich habe immer gedacht, Robert könne nichts mehr erschüttern. Er wirkte stets ruhig, zuversichtlich und ausgeglichen. Er hat seine Probleme perfekt überspielt. Auch deshalb bin ich inzwischen noch sensibler geworden.“
Frage: „Wie werden Sie den Todestag verbringen?“
Bierhoff: „Ich werde in Hannover sein und mit DFB-Präsident Zwanziger unter anderem auch Teresa Enke besuchen. Dieser Tag war und wird für uns alle sehr schwer. Wie bei vielen anderen ist Robert aber nicht nur am 10. November in meinen Gedanken und im Herzen.“