Sollten beide Boxer ihren technisch sauberen Stil durchziehen, dürfte der etwas versiertere Sturm die Nase knapp nach Punkten vorn haben.
Köln/Hamburg. Morddrohungen wie damals gab es glücklicherweise noch keine, ansonsten aber ist alles angerichtet für das brisanteste deutsch-deutsche WM-Duell im Profiboxen seit den Schlachten zwischen Dariusz Michalczewski und Graciano Rocchigiani 1996 und 2000. Wenn am Freitag (22.05 Uhr/Sat.1) in der Kölner Lanxess-Arena WBA-Superchampion Felix Sturm, 33, seinen Titel gegen Sebastian Zbik, 30, verteidigt, dann steht nicht nur für die Sportler, sondern auch für ihre Trainer und die hinter ihnen stehenden Unternehmen enorm viel auf dem Spiel.
Für Sturm ist es seit seinem vor Gericht durchgesetzten Abschied vom Hamburger Universum-Stall im Sommer 2010 das erste Aufeinandertreffen mit seinem einstigen Promoter. Vier Kämpfe hat der Kölner bislang in Eigenregie bestritten, restlos überzeugt hat er in keinem. Ein klarer Erfolg über Zbik würde deshalb nicht nur die vielen Kritiker verstummen lassen, sondern auch im Nachhinein die Trennung von Universum noch einmal rechtfertigen. Eine Niederlage indes würde Sturms Image nachhaltig beschädigen. „Keine Frage, die Brisanz ist enorm. Felix hat wahnsinnig viel zu verlieren und nur wenig zu gewinnen. Aber diese Kämpfe muss ein Superchampion meistern“, sagt Philip Cordes, Geschäftsführer von Sturms Vermarkter Ufa.
Sebastian Zbik: "Felix Sturm ist über seinen Zenit hinaus"
Zbik hingegen könnte mit einem Sieg den Sprung zurück in die Weltspitze schaffen. Im vergangenen Juni hatte der Neubrandenburger seinen WBC-WM-Titel umstritten in Los Angeles an den Mexikaner Julio Cesar Chavez jr. ver-loren, seitdem hat er nicht mehr im Ring gestanden. Gewinnt er, würde das auch Universum zurück auf die interna-tionale Bildfläche holen. Die einstige Weltmeisterschmiede kämpft seit dem Auslaufen des TV-Vertrags mit dem ZDF im Juli 2010 um einen neuen Fernsehvertrag. Ein deutscher Weltmeister wä-re für die neue Führungsriege um Waldemar Kluch ein Faustpfand in kommenden Verhandlungen. „Ein Sieg wäre zwar nicht Bedingung dafür, dass wir überleben, aber er würde uns neue Türen öffnen, wir könnten uns dann ganz anders aufstellen und planen“, so der Geschäftsführer.
Große Anspannung herrscht auch auf Seiten der Trainer. Bei Universum haben sie noch immer nicht verwunden, dass ausgerechnet der ehemalige Chefcoach Fritz Sdunek nach seinem Abschied vom Hamburger Stall Sturm übernahm. Beson-dere Brisanz liegt in dem Fakt, dass Sdunek Zbik bei dessen Einstieg ins Profilager übernommen und zum Interimsweltmeister gemacht hatte. Nun stehen mit Artur Grigorian und Sturms langjährigem Coach Michael Timm zwei Sdunek-Schützlinge in Zbiks Ecke – und wollen dem Lehrmeister von einst im ersten direkten WM-Aufeinandertreffen natürlich die Stirn bieten. Besonders enttäuscht zeigten sich beide über Sduneks Aussage, Zbik habe keine Chan-ce gegen Sturm. „Wir wollen beweisen, dass er da falsch gelegen hat“, sagt Grigorian. Trainerfuchs Sdunek, der in der kommenden Woche seinen 65. Geburtstag feiert, ist derjenige, den die Gemengelage äußerlich am wenigsten berührt. „Ich habe schon so viele Duelle gegen ehemalige Sportler gehabt, dass ich mich jetzt nicht besonders angespannt fühle“, sagt er.
Sportlich ist die Ausgangslage klar: Sollten beide Boxer ihren technisch sauberen Stil durchziehen, dürfte der etwas versiertere Sturm die Nase knapp nach Punkten vorn haben, zumal er den Weltmeisterbonus besitzt. Da jedoch beide eine Schlacht mit offenem Visier angekündigt haben, ist alles möglich, auch wenn beide nicht als Knockouter gelten. Nachdem sie in den Wochen vor dem Kampf mehrfach ihre gegenseitigen Aversionen ausgebreitet hatten, haben sie das verbale Trommelfeuer in dieser Woche eingestellt. Am Freitag sollen nur noch die Fäuste sprechen. (bj)