Der deutsche Paralympics-Fahnenträger Frank Höfle hat mit einem verbalen Rundumschlag auf Missstände im Umgang mit Behinderten hingewiesen.
Whistler. Kritik an der Politik, Kritik an den Verbänden und Kritik an den Mitmenschen: Der deutsche Paralympics-Fahnenträger Frank Höfle hat mit einem verbalen Rundumschlag auf Missstände im Umgang mit Behinderten hingewiesen. "Unsere Gesellschaft ist verkorkst", sagte Höfle im Gespräch mit dem Sport-Informations-Dienst (SID): "Behinderte werden in die Ecke geschoben. Selbst wir sind innerhalb der Behinderten noch einmal eine elitäre Gruppe. Wo sind bei den Paralympics die geistig Behinderten, wo sind die Gehörlosen?"
Der 42-Jährige, mit 13 Goldmedaillen im Biathlon und Langlauf der erfolgreichste deutsche Behindertensportler im nordischen Bereich, verfolgt die Professionalisierung seines Sports mit gemischten Gefühlen. Je stärker der Behindertensport wird, desto weiter entfernt er sich laut Höfle vom eigentlichen Ziel: In den "normalen" Sport integriert zu werden.
"Das grenzt an Schizophrenie", sagt er: "Es gibt eine Gleichstellungsbehörde, doch die bewirkt genau das Gegenteil." Zwar habe die Entwicklung des Behindertensports Vorteile, doch bei aller Förderung bleibt für ihn ein Beigeschmack. «"Ich gehöre zum Top-Team, bekomme 1500 Euro Förderung im Monat", erzählt er:"Das ist ja eine tolle Geschichte, doch damit soll man auch ruhiggestellt werden. Deshalb fühle mich gekauft. Aber sie können sich nicht freikaufen."
Dies alles gilt nach Ansicht von Höfle, dem nach einem Traktor-Unfall vor 38 Jahren auf dem heimischen Bauernhof nur fünf Prozent Sehfähigkeit auf einem Auge blieben, auch für das Internationale Paralympische Komitee (IPC). "IPC-Präsident Phil Craven ist vor acht Jahren mit dem Ziel angetreten, zu integrieren", sagt er: "Doch davon sind wir heute ganz weit weg. Das IPC in Bonn wird immer größer und größer, aber als eigene Behörde. Deshalb gibt es eine immer stärkere, klarere Trennung."
Und dies ist nach Höfles Ansicht fatal, denn so bleiben Behindertensportler Sportler zweiter Klasse. "Wir gehören in die Fachverbände des deutschen Sports", fordert er: "Der Langlauf gehört in den Deutschen Ski-Verband, nicht in den Behindertensportverband. Norwegen ist diesen Schritt vor acht Jahren gegangen, und das klappt gut."
So sollten nach Ansicht des deutschen Fahnenträgers bei der Eröffnungsfeier von Vancouver auch die Olympischen Spiele und die Paralympics künftig zeitgleich stattfinden. "Da muss man doch gar nicht diskutieren, das ist doch lächerlich", sagt er: "So werden wir doch nur schön auf einen anderen Platz verräumt."
Auch in Deutschland gebe es weiterhin gesellschaftliche Probleme, "und die muss man doch mal deutlich ansprechen. Es gibt in unserer Gesellschaft keine Akzeptanz für Menschen mit Behinderung", sagt Höfle: "Der Behindertensportbeautragte der Bundesregierung ist nicht behindert. Warum ist das so?"
Karl Quade, Deutschlands Chef de Mission in Vancouver, reagiert auf die Äußerungen Höfles gelassen. Er versteht die Kritik des Athleten, stößt jedoch auf Vorbehalte und sieht somit Probleme in der Umsetzung. "Nicht jeder Spitzenverband ist willens, mit uns zusammenzuarbeiten", sagt er und ergänzt mit Blick auf die Weltverbände der Leichtathleten und Schwimmer: "Die IAAF oder die FINA zum Beispiel wollen mit diesem Bereich nichts zu tun haben." Im Reiten, Rudern oder beim Curling sei man dagegen schon komplett in den Fachverbänden organisiert.
In anderen Sportarten seien die Leistungsunterschiede heute noch zu groß. "Bei einem Frank Höfle wäre eine Einbindung vielleicht möglich, bei vielen anderen nicht", sagt Quade: "Vielleicht kann die nächste Generation hier einen Anfang machen. Und vielleicht ist Höfle der Mensch, um die entsprechenden Kontakte im DSV aufzubauen."
Bestehen tun diese ganz offensichtlich noch nicht. "Im DSV gibt es einen Behindertenbeauftragten, aber der hat keine Ahnung", sagt Höfle, der vor 22 Jahren erstmals an Paralympics teilnahm: "Kennengelernt habe ich ihn jedenfalls noch nicht."