Die sechsmalige Weltmeisterin will nun auch ihr erstes Olympiagold - und damit das neue Gesicht der Bundesrepublik im Biathlon werden.

Whistler. Sie muss nur angetippt werden, schon sagt sie sie auf. Suggestivsätze, wie auswendig gelernt. "Ich habe keine Angst vor dem Versagen." Oder: "Ich denke an Olympia und sage mir: Oh, das passiert wirklich. Aber eigentlich habe ich keinen richtigen Grund, um aufgeregt zu sein." Oder: "Es ist mein allererstes Mal, und das will ich natürlich genießen."

Magdalena Neuner (23) kann in Whistler das neue Gesicht der Bundesrepublik Biathlon werden, das 2006 in Turin der Allgäuer Michael Greis mit drei Goldmedaillen war. In jenem Jahr begann Neuners wundersame Karriere als Skijägerin, im Januar 2007 gewann sie in Oberhof ihr erstes Weltcuprennen. Einen Monat später war sie dreimalige Weltmeisterin, 2008 im schwedischen Östersund erweiterte sie die Sammlung um drei Titel. In ihrer Wohnung im oberbayerischen Wallgau bewahrt sie die Medaillensätze in einem Wandschrank von Tchibo auf.

Fotografen bescheinigen der blonden Bayerin Modelqualitäten, auch vor der Kamera scheint sie ein Naturtalent zu sein. Werbemillionärin ist sie mittlerweile schon, ein Strickgarnhersteller, eine Bank und ein Holzverarbeiter schmücken sich mit ihr. Alles bodenständige Anbieter. Wie passend.

Reklame braucht Vertrauen, Reklame braucht Authentizität, Glaubwürdigkeit. Wenn alles gut läuft und sie wirklich zu einem sonnigen Liebling der Deutschen wird, kann Neuner ihr Leben lang werben. Deshalb sind die Tage von Whistler so wichtig: "Zu einer Legende wirst du nur als Olympiasiegerin." Aber wird sie diesen Erwartungen gerecht? Bei diesen Olympischen Spielen hat sie die Chance, sich ein Denkmal zu setzen.

Neuner betreibt eine Sportart, in der es in Deutschland vor Olympiasiegern, Weltmeistern und Weltcupgewinnern wimmelt - und die Einschaltquoten seit Jahren konstant hoch sind. Von allen anderen Wintersportarten unerreicht. Biathlon-Ikone Uschi Disl ist abgetreten, Andrea Henkel und Kati Wilhelm haben mehrfach olympisches Gold abgesahnt. Da wäre Neuner die Idealbesetzung für die Fortschreibung einer Erfolgsstory.

An ihrem 23. Geburtstag am Dienstag verstaute sie ihr Trainingstrikot mit der Nummer 92 in der Tasche. Das Resümee nach der ersten Inspektion der Loipe zum Ruhm: "Wenn ich am Schießstand so sauber arbeite wie im Training, dann weiß ich, dass der Sieg definitiv drin ist", sagte sie und ergänzte eilig: "Natürlich versuche ich, mir keinen Stress zu machen."

Zu viel Stress, zu wenig Spannung, wer weiß schon, was die passende Mischung für Neuners Goldrezept ist. Die Trainer sicherlich, aber weiß es die Protagonistin auch selbst? "Sie hat genug wichtige Wettkämpfe hinter sich, dass wir ihr hier eine Medaille zutrauen", sagt Bundestrainer Uwe Müssiggang.

Das Thema Misserfolg wurde dabei nicht ausgespart. "Sie weiß, dass sie nicht ins Bodenlose fällt, wenn es nicht klappt. Sie hat viele andere Interessen, das Stricken, Harfe spielen, sie ist eine reife Frau", glaubt der einfühlsame Übungsleiter, der im Kollegenkreis auch die Frage stellte, "ob wir Lena nicht verheizen".

Die Gefahr des frühen Burn-out bei der jungen Heilsbringerin überfiel die heile Biathlonfamilie im vergangenen Winter, als es gar nicht rund lief. Von der WM in Pyeongchang reiste sie wider Erwarten ohne eine Einzelmedaille ab. Da überkamen sie Versagensängste. "Es gab eine Phase, in der ich sagte, ich kann, ich will nicht mehr", verriet sie dem "Stern". "Ich hätte zerbrechen können." Für die Wirrungen im Kopf holte sie sich Hilfe eines Psychologen.

Im Sommer hat Magdalena Neuner viel gearbeitet, gegen die Zweifel angekämpft. Jetzt sagt sie: "Ich kann doch schießen, alles andere lass ich mir nicht einreden. Ich weiß, dass meine Technik nahezu perfekt ist. Es liegt am Kopf, und daran habe ich gearbeitet." Punkt.

Der Frauenbeauftragte Müssiggang spricht von der "stärksten deutschen Mannschaft aller Zeiten". Neben Neuner gehen in den ersten beiden Wettbewerben die Olympiasiegerinnen Kati Wilhelm und Andrea Henkel sowie die WM-Zweite Simone Hauswald in die Spur.

Und wenn es doch nicht klappen sollte: Am Sonntag folgt der Sprint der Männer (20.15 Uhr/ZDF) mit ähnlich starken deutschen Startern.