Exzellenz und Extravaganz zeichnen Günter Netzer aus. kommende Woche erhält er auf der Hamburger Sportgala den Ehrenpreis für sein Lebenswerk.
Hamburg. Exzellenz und Extravaganz zeichnen Günter Netzer aus. Ob als Fußballspieler, Manager oder TV-Moderator. Am Montag erhält er auf der Hamburger Sportgala den Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Mit dem Ausnahmetalent und Bald-Rentner sprachen Alexander Laux, Claus Strunz und Peter Wenig.
Abendblatt: Herr Netzer, am Montag werden Sie mit dem Ehrenpreis der Hamburger Sportgala ausgezeichnet. Wir hoffen doch sehr, dass die Trophäe in Ihrem Haus in Zürich einen würdigen Platz erhalten wird.
Günter Netzer: Aber ja, meine Frau wird sich darum kümmern.
Abendblatt: Wir würden uns einen Platz zwischen der EM-Medaille von 1972 und dem Trikot Ihrer großen Zeit bei Real Madrid wünschen.
Netzer: Tut mir leid, aus meiner aktiven Zeit habe ich nichts mehr. Weder Pokale, Medaillen noch Trikots.
Abendblatt: Das ist nicht Ihr Ernst.
Netzer: Doch, ich habe fast alles verschenkt. Halt, die beiden Bravo-Ottos ...
Abendblatt: ... verliehen von Lesern der Jugendzeitschrift ...
Netzer: ... habe ich noch, genau wie die beiden Auszeichnungen zum Fußballer des Jahres. Aber der Rest ist weg. Meine Frau sammelt aber jetzt die neuen Preise, die ich etwa als TV-Experte bekomme. Wohl in erster Linie für unsere Tochter als Andenken.
Abendblatt: Andere Fußballer haben daheim ganze Trophäen-Schreine.
Netzer: Nach der WM 1974 hat uns der Franz (Beckenbauer, die Red.) mal in sein damaliges Haus in Grünwald eingeladen. Der hatte einen ganzen Keller voll mit Medaillen und Pokalen. Aber das ist nicht mein Ding.
Abendblatt: Weil Sie nicht gern zurückschauen.
Netzer: Das stimmt. Es entspricht einfach nicht meinem Naturell. Ich hänge der Vergangenheit nicht nach, sondern freue mich einfach auf den nächsten Lebensabschnitt.
Abendblatt: Das nehmen wir Ihnen so nicht ab. Sie müssen doch Wehmut empfinden, wenn Sie nach der WM als ARD-Experte an der Seite von Gerhard Delling aussteigen werden.
Netzer: Überhaupt nicht. Es waren dann 13 wundervolle Jahre. Aber ich möchte nicht mit dem Lasso von der Bühne geholt werden. Herr Delling muss alleine laufen lernen. Das hat er auch nicht anders verdient angesichts seiner Unverschämtheiten, die er sich mir gegenüber immer erlaubt. Nein, im Ernst, mit Gerhard Delling war es eine wunderbare Zeit. Ich habe ihm viel zu verdanken.
Abendblatt: Schauen Sie sich Ihre TV-Auftritte eigentlich noch mal an ?
Netzer: Nein, um Gottes Willen. Ich kann mich selbst im Fernsehen nur ganz schwer ertragen. Ich denke immer: Warum finden die Leute das eigentlich so gut? Ich rede doch nur so, wie ich schon immer über Fußball geredet habe.
Abendblatt: Das klingt uns doch ein bisschen sehr kokett. Schließlich haben Sie den Grimme-Preis gewonnen.
Netzer: Ich habe mich über diesen Preis ja auch sehr gefreut. Dennoch war ich schon immer mein härtester Kritiker.
Abendblatt: Wir kennen noch einen anderen. Niemand hat Sie öffentlich so hart attackiert wie Rudi Völler in seiner legendären Wutrede nach einem Länderspiel 2002 in Island. Ihre Kritik sei anmaßend, schließlich hätten Sie ja früher selbst "einen schönen Scheiß zusammengespielt".
Netzer: In erster Linie richtete sich Rudis Kritik ja an Delling. Aber auf unsere damalige Reaktion bin ich heute noch stolz. Wir haben nicht zurückgepöbelt, sondern souverän und gelassen reagiert. Souveränität, Gelassenheit, das sind für mich ganz wichtige Werte. Ich ärgere mich am meisten, wenn ich dagegen handele, mein Naturell betrüge.
Abendblatt: Von einstigen Teamkollegen hört man anderes. Als Spieler sollen Sie sehr aufbrausend gewesen sein.
Netzer: Ich schäme mich ja vor mir selbst, wenn ich höre, was ich damals für ein schreckliches Regime geführt haben soll. Die Jungs haben unter mir ganz schön gelitten. Ein Wunder, dass das gut gegangen ist. Wobei, es gab ja genügend Aufstände. Nur der Berti (Vogts, die Red.) hat immer in Treue zu mir gestanden.
Abendblatt: Sie waren der erste Popstar des deutschen Fußballs.
Netzer: Und das noch in Mönchengladbach, in der tiefen Provinz. Lange Haare, Stiefel, eine Diskothek, ein Ferrari, dazu ein Freundeskreis, der eher aus der Kultur als aus dem Fußball stammte. Funktioniert hat das nur durch meine Leistungen. Die Leute haben gesagt, das ist zwar ein Spinner, aber der spielt wenigstens vernünftigen Fußball. Verrückt sein um des Verrücktseins Willen wollte ich nicht. War nie mein Ding.
Abendblatt: Wie wurde eigentlich aus dem Mann mit Playboy-Image der Manager des HSV?
Netzer: Damals haben die Hamburger in der Tat gedacht, der hat uns noch gefehlt. Sie konnten nicht wissen, dass ich ein harter und akribischer Arbeiter bin, wenn ich mich für eine Sache begeistere. Dann bin ich hochprofessionell.
Abendblatt: Eigentlich wollten Sie nur die Stadionzeitung machen.
Netzer: Stimmt. Und auf einmal war ich Manager. Obwohl ich dem Vorstand gesagt habe, ich kann das nicht.
Abendblatt: Sie waren erfolgreich - und fühlten sich am Ende ausgebrannt.
Netzer: Wir sind in den ersten sechs Jahren dreimal Meister geworden und haben dreimal ein Europapokal-Endspiel erreicht. Aber ich habe mich immer für das Unangenehme und die Schwierigkeiten zuständig erklärt, wollte Trainer und Mannschaft so den Rücken freihalten. Das war eigentlich gegen meine Natur. Aber anders konnte ich den Job nicht machen. Schauen Sie sich die Fotos von den Feierlichkeiten 1983 an der Moorweide an. Wir waren Europapokalsieger und Meister geworden. Alle feiern - und ich gucke total geistesabwesend. Ich wollte nach sechs Jahren aufhören, weil der Fußball all meine Energien abgesaugt hat. Aber es gab keinen Nachfolger, also habe ich noch zwei Jahre drangehängt.
Abendblatt: Was war Ihre bitterste Entscheidung?
Netzer: Die Trennung von Trainer Branko Zebec 1980, zwei Tage vor Heiligabend. Ich wusste ja um seine Alkoholprobleme, als ich ihn verpflichtet habe. Aber dann wurde es immer schlimmer. Wir haben immer wieder versucht, ihn zu decken. Aber irgendwann ging es nicht mehr. Er hat die Kündigung nicht verstanden, wollte wieder einen Neuanfang. Schließlich wäre doch Winterpause. Dass ich Branko nicht habe helfen können, ist eine meiner größten Niederlagen. Aber wir wussten damals nicht, was für eine schlimme Krankheit Alkoholismus ist.
Abendblatt: Nach dem Abenteuer HSV haben Sie die nächste Herausforderung im TV-Vermarktungsgeschäft in der eher beschaulichen Schweiz gesucht.
Netzer: Ich genieße das Leben in Zürich, auch die Gelassenheit gegenüber Prominenten. Da geht eine Tina Turner völlig unbeobachtet auf dem Wochenmarkt einkaufen.
Abendblatt: Dennoch drehen sich auch dort in Restaurants viele Menschen nach Ihnen um und flüstern: Guck mal, da sitzt der Netzer.
Netzer: Das macht mir nichts aus. Im Gegenteil, ich freue mich wahnsinnig, wenn mir etwa ein Taxifahrer sagt, dass er meine Analysen richtig gut findet. Ich kann mit der Prominenz gut umgehen. Als Spieler war das anders. Über unsere Fans haben wir nur gedacht, die sollen doch froh sein, dass sie unsere Spiele anschauen dürfen.
Abendblatt: Herr Netzer, Sie sind jetzt auf der Zielgeraden Ihrer Karriere. Wobei Sie mit Ihren 65 Jahren eigentlich eh schon Rentner sind.
Netzer: Auf dem Papier bin ich das wirklich. Ich war letztes Jahr in Zürich auf dem Amt. Da hat mir eine Dame, die mich nicht erkannt hat, meine Rentenansprüche erklärt.
Abendblatt: Bekommen Sie eigentlich auch eine deutsche Rente?
Netzer: Anspruch hätte ich. Aber es war ein Betrag um die 78 Euro. Da habe ich dann darauf verzichtet.
Abendblatt: Der Rebell am Ball als Rentner. Passt irgendwie nicht zusammen.
Netzer: Ich fühle mich ja auch nicht als Rentner. Im Gegenteil. Ich werde nie erwachsen, das würde ich mir selbst übel nehmen. Ich bin immer noch ein kleiner Lausbub, das wird sich nie verändern.
Abendblatt: Also bleiben Sie auch mit Ihren 65 Jahren Ferrari weiter treu?
Netzer: Diese gehörige Portion Unvernunft möchte ich mir erhalten. Aber meine Frau besteht darauf, dass es nicht mehr ein feuerrotes Modell ist. Schließlich soll ich mich nicht blamieren. Jetzt fahre ich einen schlammfarbenen Ferrari 559 . Ich freue mich jedes Mal wie ein kleines Kind, wenn ich dieses Wunderwerk der Technik sehe.
Abendblatt: Franz Beckenbauer und Wolfgang Overath können Ihre Begeisterung für Sportwagen nur bedingt teilen ...
Netzer: Ach, Sie spielen auf die alte Geschichte mit meinem Jaguar E an. Damals das schönste Auto der Welt. Ich habe es an Franz Beckenbauer für 10 000 Mark verkauft. Am nächsten Morgen ruft er mich an und tobt: Günter, du bist ein Betrüger. Es regnet rein, und die Bremsen funktionieren auch nicht. Ich habe ihm gesagt: Franz, was willst du? Es ist ein englisches Auto. Da hat er dieses wunderschöne Auto für 8000 Mark an Wolfgang Overath verkauft. Und was macht dieser Ignorant? Er lässt den Jaguar lila lackieren. Lila! Da hat man entzündete Augen gekriegt.
Abendblatt: Ihre Begeisterung für Autos haben wir verstanden. Aber was ist mit den kleinen Zipperlein? Die hat doch jeder Rentner.
Netzer: Ich habe einen handfesten Knieschaden und Probleme mit dem Kreuz. Wegen meiner Rückenprobleme war ich auch nicht beim Bund. Dabei wollten die mich unbedingt als Vorzeigesoldaten haben. Aber ich hatte die Atteste von einem hochkarätigen Professor. Da war es denen dann doch zu riskant.
Abendblatt: Machen Sie jetzt noch Sport? Joggen zum Beispiel?
Netzer: Nein, es wäre doch lächerlich, wenn ich jetzt im Wald herumrennen würde. Schon in meiner aktiven Zeit hat man mich mit der Pistole im Rücken im Training zum Laufen zwingen müssen. Ich weiß noch, wie mein Freund Paul Breitner zu Real Madrid kam. Es gab keinen besser austrainierten Fußballer in Europa. Paul ist bei Real immer vorneweg gerannt. Über Stock und Stein, bei 40 Grad im Schatten. Was haben wir den Paul gehasst.
Abendblatt: Aber Golf sollte doch noch gehen.
Netzer: Der Franz hat mich einmal in Kitzbühel mitgenommen. Ich habe seine Golfkarre gezogen und alles falsch gemacht. Habe reingeredet, war mal zu weit vorn, mal zu weit hinten. Am Ende sollte ich einen Schritt zurückgehen. Dann bin ich mit der Golfkarre rückwärts in einen Bunker gefallen und lag da wie ein Maikäfer auf dem Rücken. Die Golf-Partie war vorbei, vor lauter Lachen konnte keiner mehr weiter spielen. Das war mein erstes und letztes Golf-Erlebnis.
Abendblatt: Also kein Golf. Was machen Sie dann künftig mit Ihrer vielen Freizeit? Haben Sie keine Sorge, dass Sie Ihrer Frau auf den Wecker gehen?
Netzer: (lacht): Meine Frau hat panische Angst, dass ich künftig ihre häusliche Ordnung störe. Nein, wir werden schon weiter auch mal getrennte Wege gehen. Und außerdem sind wir ja nach wie vor gern zusammen.
Abendblatt: Keine Angst vor dem berühmten schwarzen Loch?
Netzer: Überhaupt nicht. Ich war ja auch nie ein Stratege, der sein Leben genau plant. Wissen Sie, wie ich als Experte zum Schweizer Fernsehen gekommen bin?
Abendblatt : Nein.
Netzer: Die hatten mal lose angefragt, ob ich mir vorstellen könnte, die Länderspiele der Schweiz zu kommentieren. Da habe ich mir überlegt, dass ich dann im Stadion viel besser sitzen werde. Vorher hatte ich nämlich immer nur einen Platz in der Ecke. Also habe ich es gemacht. Und es war so erfolgreich, dass mich dann die ARD verpflichtet hat. Meinen Lebensweg habe ich zu guten Teilen Zufällen zu verdanken.
Abendblatt: Warten Sie jetzt auf den nächsten großen Zufall?
Netzer: Nein, es kann durchaus sein, dass ich spontan reagiere, wenn eine neue Herausforderung kommen sollte. Aber es muss nichts mehr passieren. Ich bin sehr dankbar, dass ich dank des Fußballs ein so hoch privilegiertes Leben führen darf. Keine Frage, ich bin ein Glückskind.
Abendblatt: Herr Netzer, zum Abschluss haben wir noch eine eher indiskrete Frage.
Netzer: Bitte sehr.
Abendblatt: Bekommen Sie eigentlich noch Liebesbriefe?
Netzer: Nein. Es hat sich offenbar herumgesprochen, dass bei mir familiär alles in bester Ordnung ist.