Der Ex-Hamburger Günter Netzer war ein genialer Fußballer und wusste früh zu provozieren. Auch heute ist er noch voll im Geschäft.
Heute wird ein Mann 65, der als erster Fußballer eine Wahrheit ausgesprochen hat, die viele nostalgische Fans nicht wahrhaben wollten. Von wegen elf Freunde. Profifußballer seien elf Geschäftsleute, die Erfolg anstreben, jeder für sich. Kein Wunder, dass Günter Netzer irgendwann das Etikett «Rebell am Ball» anhing.
Und er rebellierte ja auch, legte sich mit seinem Trainer Hennes Weisweiler an und machte Berti Vogts zu seinem Boten, wenn Trainer und Star schmollten. Netzer flog mal eben für einen Abend nach München zur High Society, wenn es ihm in der Mönchengladbacher Provinz zu eng wurde. Er eröffnete noch als Spieler die Diskothek Lovers Lane - natürlich um Geld zu verdienen, aber auch, um ein wenig Flair nach Mönchengladbach zu bringen.
Wenn Günter Netzer sich den Grashalm suchte, um den Ball zu einem Freistoß zurecht zu legen, ging ein erwartungsfrohes Raunen durch den Bökelberg. Wenn er, da lauffaul, mit seinen weiten, millimetergenauen Pässen die Stürmer schickte - Jupp Heynckes, Bernd Rupp, Herbert Laumen und wie sie später alle hießen - dann war das eine Augenweide. Wenn er aus der Tiefe des Raumes seine Mitspieler dirigierte, strömte jede Geste Autorität aus. Wenn er mit raumgreifenden Schritten aus der Tiefe des Raumes kam, war das Ästhetik pur.
Günter Netzer, der in seiner Zeit ein Michel Platini oder Zinedine Zidane war, hat nur 37 Länderspiele bestritten (sechs Tore). Ein Kölner namens Wolfgang Overath stand ihm im Weg. Der spielte mannschaftsdienlicher, und da in der Nationalmannschaft jeder Spieler ein Star war, waren diese nicht bereit, sich Netzer so unterzuordnen wie seine Mitspieler im Verein. Deshalb konnte er im Adlertrikot selten so glänzen wie in jenem mit dem B in der Raute.
Sein bestes Länderspiel bestritt Netzer 1972 beim 3:1-Sieg in England. Es war das EM-Viertelfinale, es war der erste Sieg Deutschlands auf dem «heiligen Rasen», und Netzer verwandelte einen Elfmeter, bei dem der Ball an den Innenpfosten klatschte und von dort ins Tor rollte. Am Ende wurde er Europameister.
Sein berühmtestes Spiel war jedoch das Pokalfinale 1973 gegen den 1. FC Köln. Trainer Weisweiler hatte ihn im Düsseldorfer Rheinstadion zunächst auf der Bank schmoren lassen. Vertreter Christian Kulik war nach 90 Minuten unter sengender Sonne kaputt und Netzer ging zum Trainer und sagte: «Jetzt spiele ich.» Nach nur wenigen Minuten gelang ihm mit einem verunglückten Schuss - der Ball rutschte über den Spann ab - der Siegtreffer zum 2:1.
Danach wurde Günter Netzer wie mit der Borussia auch mit Real Madrid zweimal Meister. Ausklingen ließ er seine Karriere bei Grasshopper Zürich. Dann begann sein zweites Leben. 1978 bot Netzer dem Hamburger SV an, das Stadionheft herauszugeben. Damit hatte er schon in Mönchengladbach Erfolg gehabt, wo ihm das Fohlenecho zur Gehaltsaufbesserung übergeben worden war. Der HSV nahm Netzer sofort als Manager. Die Jahre bis 1986 wurden unter den Trainern Branko Zebec und Ernst Happel die erfolgreichsten in der Geschichte des HSV: Drei Meistertitel (1979, 1982, 1983) und 1983 der 1:0-Finalsieg gegen Juventus Turin im Europapokal der Landesmeister als Höhepunkt.
Seit seinem Abgang aus Hamburg widmet sich Netzer intensiv dem Rechtehandel und der Vermarktung von Sportereignissen - erst für die Lüthi-Firma CWL, dann für Leo Kirch, heute für Infront Sports, dem Partner des DFB. In der Öffentlichkeit weitaus bekannter ist er als Partner von Gerhard Delling bei Länderspiel-Übertragungen der ARD. Seine treffsicheren, kritischen, begründeten Kommentare haben schon manchen Spieler und Trainer auf die Palme gebracht, dem Paar Netzer/Delling aber 2000 den Grimme Preis.