Als Österreich kurz vor dem Ende verkürzte, stoppten die Schiedsrichter die Zeit mehrfach ohne Grund. Gegner Island war aufgebracht.
Innsbruck/Linz. Man darf vermuten, dass Sorin-Laurentiu Dinu und Constantin Din in der Rangliste der beliebtesten Menschen in Österreich einen ziemlichen Sprung nach vorn gemacht haben. Am Donnerstagabend haben die beiden Handballschiedsrichter das Europameisterschaftsspiel des Gastgebers gegen Island geleitet. Sie taten das 59 Minuten und 14 Sekunden lang recht unauffällig. Die Isländer führten zu diesem Zeitpunkt mit 37:34. Dann trug sich Seltsames zu. Österreich verkürzte, und Dinu/Din stoppten die Zeit ohne ersichtlichen Grund. Österreich gelang der Anschlusstreffer, wieder hielt die Spieluhr an. Und als Islands Olafur Stefansson auf dem Weg nach vorn dann plötzlich zurückgepfiffen wurde und der Balinger Bundesligaprofi Markus Wagesreiter vier Sekunden vor dem Ende den Ausgleich erzielte, versank die Linzer Tips-Arena in einem Freudentaumel. Österreich hatte neue Sporthelden – und der Handball seinen nächsten Schiedsrichterskandal.
„Die Schiedsrichter haben eine neue Regel ins Spiel gebracht. Sie haben nach jedem Tor der Österreicher die Zeit gestoppt“, zürnte Islands Trainer Gudmundur Gudmundsson. Selbst Österreichs Rückraumstar Viktor Szilagyi fand den Ärger des Olympiazweiten „verständlich“. Auf einen Protest aber verzichteten die Nordländer. „Es würde doch nichts bringen“, glaubt ihr Generalsekretär Einar Thorvardarson, „aber die beiden haben dem Heimteam geholfen, das steht fest.“
Ins Zwielicht gerieten Dinu/Din bereits vor einem Jahr im entscheidenden WM-Hauptrundenspiel der Deutschen gegen Dänemark. Kurz vor Schluss brachten sie beim Stand von 25:25 Dänemark durch eine haarsträubende Fehlentscheidung in Ballbesitz und sprachen gegen den deutschen Spielmacher Martin Strobel eine unberechtigte Zeitstrafe aus. Deutschland verlor 25:27. Nicht nur der Hamburger Nationaltorwart Johannes Bitter war hinterher überzeugt: „Wir sind um das Halbfinale betrogen worden.“
Zwei Monate später erschütterte der Manipulationsskandal den Handball. Der europäische Verband EHF versuchte ihn lange zu ignorieren, und als das nicht mehr ging, propagierte er einen Neuanfang im Schiedsrichterwesen. Mehrere Gespanne, die als belastet galten, mussten ihre Laufbahn beenden. Es wurde ein Katalog mit Qualitätsstandards entwickelt. „Es wird mehr Wert auf die physische und fachliche Ausbildung gelegt“, sagt der deutsche Spitzenschiedsrichter Lars Geipel, „die EHF hat da den richtigen Weg eingeschlagen.“ So habe er sich im vergangenen Sommer einem Laktattest unterziehen müssen. Auch lud die EHF erstmals ihre führenden Unparteiischen zu einem Lehrgang ein, bei dem auch die Regelkenntnis überprüft wurde.
Diese Maßnahmen schützen letztlich nicht vor menschlichem Versagen. Die Frage aber drängt sich auf, ob die Österreicher nicht bewusst begünstigt wurden, um die Chancen aufs Weiterkommen und somit das Interesse an der EM aufrechtzuerhalten. Organisationschef Martin Hausleitner wusste am Freitag von steigender Kartennachfrage zu berichten. Er findet: „Eine Diskussion wegen einer Entscheidung anzuzetteln wäre verantwortungslos.“ Die EHF will den Vorfall auch nicht weiter untersuchen. „Es passiert, was passiert“, beschied ein Sprecher knapp.
Österreichs kleines Handballwunder wird somit nicht nachträglich entzaubert werden. „Wir haben es uns auch selbst zuzuschreiben“, sagt Islands Linksaußen Gudjon Valur Sigurdsson: „Wenn ich meinen letzten Wurf verwandelt hätte, wäre das Spiel entschieden gewesen.“