Prof. Dr. Rolf Kuse, Facharzt für Blutkrankheiten, ehemaliger Leiter der hämatologischen Abteilung am Hamburger Krankenhaus St. Georg, hat für das Abendblatt das Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs (CAS) im Fall Claudia Pechstein analysiert. Sein Resümee: "Meine anfangs geäußerten Zweifel an der methodischen Korrektheit der Zählverfahren sind durch die Urteilsbegründung hinfällig geworden. Laut Seite 37-43 stand die Maschine zur Retikulozyten-Zählung in einem örtlichen Laboratorium, war kurz zuvor gewartet und ausreichend kalibriert. Die Proben vom 6. bis 8. Februar 2009 in Hamar (Norwegen) wurden jeweils noch am Tage der Blutentnahme analysiert. Während von Frau Pechstein Werte von 3,49, 3,54 und 3,38 Prozent ermittelt wurden, betrug der zweithöchste eines Athleten 2,3 Prozent, der Durchschnittswert lag bei 1,54 Prozent. Man kann davon ausgehen, dass korrekt gezählt wurde.

Aber: Selbst wenn man den Verdacht nicht los wird, dass manipuliert wurde, halte ich es für bedenklich, jemanden ohne Epo-Nachweis und ohne Erhöhung von Hämoglobin- und Hämatokritwerten nur aufgrund erhöhter Retikulozyten zu sperren. Denn wo liegt der Vorteil gegenüber der Konkurrenz, wenn Hämoglobin und Hämatokrit im zulässigen Bereich liegen und man keine unzulässige Verbesserung des Sauerstofftransportes unterstellen kann? Ich bin kein Jurist, aber hier könnte man für eine Revision einhaken. Meine Zweifel bleiben allerdings hinsichtlich der künftigen Erstellung eines 'individuellen biologischen Passports' für die Sportler, da hier ein Langzeitprofil unter unterschiedlichen Untersuchungsbedingungen generiert wird."