Höchster Sieg, neuer Sponsor, gültige Lizenz: Zum Abschluss einer Sai son der ver passten Ziele spielt der Vizemeister seine Stärke aus.

Hamburg

Es lief die 45. Minute, als sich Goran Stojanovic von der Hamburger Bank erhob und zum Zeitnehmertisch begab. "Wie viele Tore hat Stefan Schröder?", wollte der Co-Trainer von den Offiziellen wissen. Die Information, die Stojanovic mitbrachte, schien Hamburgs Handballer zu elektrisieren: Unglaubliche 13-mal hatte ihr Rechtsaußen bereits getroffen gegen den allerdings erschütternd schwachen Absteiger Stralsunder HV, der sich in seinem vorerst letzten Bundesliga-Auftritt früh mit der Rolle des HSV-Fans zufriedengab. "Da hat die Mannschaft gerochen, dass ein Rekord möglich ist", erzählte Trainer Martin Schwalb später.

Ein neues, finales Ziel dieser Saison hatte sich plötzlich aufgetan, und fortan kämpfte der HSV darum, als könne er sich damit für alle zuvor verpassten entschädigen. Und weil auch Stralsunds Spieler keine Einwände hatten ("Einer geht noch, Schrödi!"), war es nach 56 Minuten vollbracht: Das 38:13 war Schröders 20. Tor, das hatte in der eingleisigen Bundesliga noch nie zuvor ein Spieler geschafft. Das Geschehen hielt inne, die 10 000 Zuschauer tobten, und als der Nationalspieler wenig später mit seinem 28. Wurf in diesem Spiel noch einmal einnetzte, war auch der 40 Jahre alte Rekord von Herbert Lübking gebrochen (siehe Tabelle).

"Das bedeutet mir sehr viel, ich kann es kaum in Worte fassen", sagte Schröder nach seinem Wurf für die Ewigkeit gerührt: "Die Mannschaft hat das unglaublich für mich eingefädelt." Noch lange nach dem 43:16-Sieg, mit dem der HSV seinen eigenen Bundesliga-Rekord aus der Vorsaison (44:17 gegen Wilhelmshaven) egalisiert hatte, musste der Linkshänder im Restaurant "On Stage" Fanartikel signieren. Dann klang die große Saisonabschlussfeier allmählich aus.

Zurück blieb die Frage, was dieser HSV wohl hätte erreichen können, wenn er immer so unbeschwert und unermüdlich aufgespielt hätte wie an diesem Sonnabendnachmittag. Aber diese Frage wollte sich der Christian Fitzek nicht mehr stellen: "Wir sind Vizemeister, noch mal: Wir sind Vizemeister. Wir! Sind! Vizemeister!", repetierte Hamburgs sportlicher Leiter für den Fall, dass in der Stunde des höchsten Sieges noch jemand an die schmerzlichen Niederlagen erinnern wollte. An das neuerliche Aus im Champions-League-Halbfinale gegen Ciudad Real. An das Debakel gegen den VfL Gummersbach im Pokalhalbfinale. Oder daran, dass der THW Kiel, der zu diesem Zeitpunkt gerade die Feierlichkeiten zu seinem 15. Meistertitel in Angriff nahm, um sagenhafte 13 Punkte besser war als die Hamburger.

"Keine einfache Saison" sei es gewesen, räumte Trainer Schwalb ein, aber bitte schön: "Wir haben uns in der Spitze der Bundesliga und der Champions League etabliert." Das freilich war das Minimum, das Präsident Andreas Rudolph erwartet hatte nach vier teuren Investitionen zu Saisonbeginn, von denen sich bis dato nur eine (Blazenko Lackovic) bewähren konnte. Dass Arne Niemeyer, beim HSV nach nur einer Saison wieder ausgemustert, im gestrigen Spiel der Bundesliga-All-Stars gegen die Nationalmannschaft in Berlin (38:35) mit sechs Toren zum besten Schützen seines Teams avancierte, muss den Verantwortlichen wie Hohn vorkommen.

Die Weichen für eine bessere Saison 2009/10 glaubt man in Hamburg gestellt zu haben am Ende einer Woche, die eine der besten der Vereinsgeschichte war. Die Bundesliga-Lizenz hat der HSV am Wochenende im zweiten Anlauf bekommen, mit 200 000 Zuschauern einen neuen Saisonrekord aufgestellt, dem Lokalrivalen Hamburg Freezers mit Vattenfall einen Hauptsponsor abspenstig gemacht und zudem noch einen Weltklassemann verpflichtet: Domagoj Duvnjak (RK Zagreb) könnte schon in der neuen Serie für den HSV auflaufen, wenn sich beide Vereine über die Ablöse einigen.

Mehr war am Ende wohl wirklich nicht möglich.