Die Bundesliga beriet gestern Abend in Hamburg die Lage. Es gibt bisher keine belastenden Dokumente, nur Aussagen.

Hamburg/Kiel. Gestern Nachmittag hat sich Uwe Schwenker dann doch zu Wort gemeldet. 24 Stunden lang hatte der Manager des THW Kiel geschwiegen. Dabei waren die Vorwürfe gegen den deutschen Handball-Rekordmeister ungeheuerlich. Die Kieler sollen jahrelang Europapokalspiele manipuliert haben, indem sie Schiedsrichter bestachen. Höhepunkt sei das Champions-League-Finale 2007 gegen die SG Flensburg-Handewitt gewesen. 50 000 Euro, so die Gerüchte, wäre dem THW das Wohlwollen der polnischen Referees Miroslaw Baum und Marek Goralczyk Wert gewesen. Die Kieler siegten im Rückspiel mit 29:27 und gewannen erstmals die wichtigste europäische Vereinstrophäe.

"Der THW Kiel weist diese Vorwürfe entschieden von sich. Sie sind haltlos", sagte Schwenker, "wir konnten nicht schneller reagieren, weil wir die genauen Anschuldigungen erst am Montag erfahren haben."

Am Abend musste sich Schwenker im Hotel Gastwerk den Vertretern der Handball-Bundesliga (HBL) erklären, unter ihnen auch HSV-Präsident Andreas Rudolph, der dem HBL-Aufsichtsrat angehört. Die Vorgänge werden heute auch das Kontrollgremium beschäftigen. Es tagt von elf Uhr an in einem Hotel beim Flughafen.

Schwenker konnte gestern Abend seine Kollegen fürs Erste überzeugen. Um 21.45 Uhr trat HBL-Chef Reiner Witte nach 100 Minuten Anhörung vor die Kameras: "Uwe Schwenker hat erklärt, dass der THW Kiel keine Spiele manipuliert hat. Damit sind die von der HBL aufgeworfenen Fragen zunächst einmal beantwortet. Ob die HBL weitere Schritte einleitet, entscheiden die Gremien in dieser Woche." Schwenker, der mit seinem Anwalt Dr. Mathias Nebendahl erschienen war, kritisierte nach der Sitzung die unverantwortliche Ausbreitung der Gerüchte: "Für den THW Kiel sowie den gesamten deutschen Handball ist ein großer Imageschaden entstanden. Wir werden überlegen, ob wir eine Anzeige gegen Unbekannt stellen werden." In der Sitzung hatte Schwenker zudem sein Ehrenwort gegeben.

Die Faktenlage war von vornherein undurchsichtig. "Es gab keine Dokumente, nur Aussagen. Ich glaube Uwe Schwenker", sagte HBL-Aufsichtsrat Dieter Matheis (Rhein-Neckar Löwen). Matheis hatte mit einem Schreiben an Schwenker, in dem er um Aufklärung der Verdächtigungen bat, die Affäre angeschoben.

Am vergangenen Mittwoch hatte Zvonimir "Noka" Serdarusic, der 2007 im Finale die Kieler coachte, seinen ab Juli gültigen Dreijahresvertrag mit den Löwen "wegen gesundheitlicher Probleme" gelöst. Serdarusic gilt als mögliche Quelle. Er bestreitet das, die ihm unterstellte Selbstanzeige, so der 58-Jährige, habe es nie gegeben: "Ich habe damit nichts zu tun." Dennoch hält sich die Vermutung, dass die Rhein-Neckar Löwen in ihren Gesprächen mit Serdarusic auf mögliche Kieler Manipulationen aufmerksam geworden seien. HBL-Aufsichtsratschef Manfred Werner sieht einen Zusammenhang: "Als die Löwen davon erfuhren, haben sie sich gefragt, ob sie für die kommende Spielzeit den richtigen Trainer haben." Mannheims Manager Thorsten Storm sagte allerdings, Serdarusic sei etwaigen Recherchen seitens des Vereins durch seinen Rückzug zuvorgekommen.

Eine kolportierte Selbstanzeige des angeblichen Geldboten bei der Berliner Staatsanwaltschaft lag bis gestern Abend nicht vor. "Ich habe in allen Abteilungen nachgefragt, bei uns ist nichts eingetroffen", sagte Sprecherin Simone Herbeth dem Abendblatt. Nach Recherchen der HBL war auch in Kiel keine Anzeige eingetroffen.

Die Europäische Handball-Föderation (EHF) als Ausrichter der Champions League verzichtet vorerst auf eigene Ermittlungen. "Wir warten ab, was bei den Sitzungen der HBL herauskommt, danach werden wir, wenn nötig, sofort handeln. Für die EHF ist das momentan kein Fall", so Spielleiter Markus Glaser.

Was am 29. April 2007 in Kiel wirklich geschah, darüber gibt es zwei Jahre danach unterschiedliche Wahrnehmungen. Den meisten Zeitzeugen war an der Schiedsrichterleistung der Polen nichts Ungewöhnliches aufgefallen, Flensburgs damaliger Trainer Kent-Harry Andersson, vom Abendblatt angesprochen, hat indes andere Erinnerungen: "Es war ein ganz komisches Spiel, wir hatten das Gefühl, es nicht gewinnen zu können. Die Rote Karte gegen unseren Spielmacher Joachim Boldsen war total falsch."