“Niemand möchte gerade gegen mich spielen“, sagt die Paris-Viertelfinalistin. Doch warum ist Deutschlands Tennis-Ass derzeit so stark?

Paris. Angelique Kerber ist derzeit die unbeliebteste Spielerin der Tour. Das weiß sie selbst, und sie freut sich sogar darüber. „Niemand möchte gerade gegen mich spielen“, sagt die French-Open-Viertelfinalistin. Doch was macht die Kielerin im Haifischbecken der WTA-Größen so besonders? Warum kann Kerber plötzlich sagen „Ich weiß, dass ich die besten Tennisspielerinnen der Welt schlagen kann, weil ich eine von ihnen bin“?

Die 24-Jährige ist beileibe kein „Haudrauf“ wie so viele Spielerinnen der Tour. Kerber kann den Ball nicht wie Serena Williams und Wiktoria Asarenka aus dem Stand beschleunigen. Ihr fehlen 15 Zentimeter Körpergröße zu Maria Scharapowa und damit die freien Punkte beim Aufschlag. Kerber ist anders, daher aber unbequem und als Gegnerin so unbeliebt.

Kerber stürmt ins Viertelfinale, Haas und Görges draußen

Haas scheitert in der dritten Runde von Paris

In den Tagen von Paris betont sie immer wieder ihre Fitness, die ihr das Leben auf dem einst verhassten Sandplatz einfacher macht. „Ich kann meinen Beinen vertrauen“, sagte Kerber vor ihrem Viertelfinale gegen die Italienerin Sara Errani am Dienstag.

In den Augen von Tennis-Ikone Martina Navratilova ist sie damit eine der wenigen Top-Spielerinnen, die richtig austrainiert sind: „In der Tat gibt es da einen sehr großen Nachholbedarf im Vergleich zum Männertennis. Man sieht ja gerade bei Angelique Kerber, wie schnell sich durch eine verbesserte Fitness bessere Ergebnisse einstellen können“, sagte Navratilova der "Sport Bild".

Die verbesserte Ausdauer gibt Kerber, die ohnehin nervenstark und unaufgeregt ist, die nötige Portion Gelassenheit. Die Weltranglistenzehnte hat in diesem Jahr noch kein Dreisatzspiel verloren und nimmt es hin, wenn sie von Organisatoren des wichtigsten Sandplatzturniers der Welt als Spielball benutzt wird. Ihr Zweitrundenmatch gegen Olga Gowortsowa wurde immer wieder verschoben, um kurz vor dem großen Regen doch noch angesetzt und nach nur drei Aufschlagspielen auf den nächsten Tag verschoben zu werden.

Kerber haderte nicht, sie gewann. Auch weil sie ein Spiel „lesen“ kann, wie es unter Tennisexperten heißt. Sie besitzt die Spielintelligenz, die es ihr erlaubt, während eines Matches die Taktik zu ändern. So geschehen in der dritten Runde gegen Flavia Pennetta, als Kerbers Gewinnschläge verpufften und sie sich kurzerhand aufs Kontern verlegte. Im Umschalten von Defensive auf Offensive ist sie ohnehin Weltklasse.

Was Kerber allerdings derart unbequem macht, dass sich die Gegnerinnen lieber eine Scharapowa oder Williams für die nächste Runde wünschen, hat auch etwas mit ihrer Schlaghand zu tun. Kerber spielt mit links, obwohl sie eigentlich Rechtshänderin ist. Sie hat dafür eine Theorie: „Als Kind standen die Trainer ja gegenüber von mir. Da habe ich es so gemacht wie sie. Bei mir war es dann eben links, was bei ihnen rechts war.“

Wie auch immer Kerber Linkshänderin geworden ist, heute hat sie dadurch einen Vorteil, glaubt Prof. Dr. Norbert Hagemann, Sportpsychologe an der Universität Kassel. „Es gibt eine Präferenz, auf die rechte Seite des Platzes zu spielen. Dahin, wo Rechtshänder ihre Rückhand haben“, sagte Hagemann: „Linkshänder gibt es verhältnismäßig selten. Daher verfallen Spieler gegen sie unter Stress in bekannte Muster.“

Hagemann wertete Hawk-Eye-Daten der ATP- und WTA-Tour aus, ließ Tennisspieler Entscheidungen treffen und kam zu dem Ergebnis: „Linkshänder sind schlechter antizipierbar.“ Kerber ist demnach unberechenbar.

Auch im Stade Roland Garros lassen sich Hagemanns Ergebnisse beobachten. 21 Linkshänder standen im Herren-Hauptfeld, so viele wie nie zuvor. Vier der 16 Damen im Achtelfinale spielen mit links, und auch der erfolgreichste Sandplatzspieler der Geschichte, der mit links spielende geborene Rechtshänder Rafael Nadal, malträtiert seine Gegner unaufhörlich auf deren Rückhandseite. Es wäre selten, aber nicht ungewöhnlich, wenn erstmals seit 1990 wieder zwei Linkshänder die French Open gewinnen würden. Damals waren es Andres Gomez und Moncia Seles.