Bargteheide. Şükran Gencay ist der einzige Headcoach im deutschen Basketball, der hochschwanger an der Seitenlinie steht.
Ein Spiel ihrer Basketballmannschaft zu verpassen, das war für Şükran Gencay niemals eine Option. Als vor fünf Jahren ihr Onkel in der Türkei verstarb, fehlte die Trainerin bei ihrem damaligen Club Eimsbütteler TV mal eine Trainingswoche lang, zur Partie aber war sie selbst unter diesen Umständen rechtzeitig zurück. Auch beim Regionalligisten TSV Bargteheide, den Gencay nun im zweiten Jahr trainiert, liegt ihre Anwesenheits-Quote bei 100 Prozent. Noch.
Schon bald wird diese beachtliche Serie enden. Der Grund dafür ist seit Sommer bekannt und mittlerweile nicht mehr zu übersehen: Deutschlands bester weiblicher Headcoach ist hochschwanger. Bis zum Stichtag ist nur noch ein Monat übrig und damit rückt auch der Zeitpunkt immer näher, an dem die 37-Jährige erstmals an der Seitenlinie fehlen wird.
Gencay war bundesweit die erste Trainerin im professionellen Herren-Basketball
Dass sowohl daheim als auch im Verein für diesen Tag schon alles vorbereitet ist, versteht sich bei der Wirtschaftsingenieurin und akribischen Trainerin von selbst. „Mein Mann und ich haben in den letzten Wochen alles besorgt, das Baby kann kommen“, sagt die werdende Mutter einer Tochter. Ihr Mann spielt auch bei der Übergangslösung auf dem Basketballfeld eine wichtige Rolle. Emanuel Bortz, seit dieser Saison Assistenztrainer seiner Frau, wird gemeinsam mit Sportdirektor Said Ghalamkarizadeh übernehmen, bis Gencay wieder bereit ist.
Bargteheides Zwei-Meter-Männer hören auf die 1,60-Meter-Frau
Bis dahin leistet die Hamburgerin als schwangere Trainerin Pionierarbeit – ob sie will oder nicht und zum wiederholten Male. Gencay war bundesweit die erste Trainerin im professionellen Herren-Basketball. Sportartübergreifend sind Frauen als Coach eines Männerteams nach wie vor eine absolute Rarität. Selbst weibliche Teams – sei es im Basketball, Fußball oder Handball – werden zumeist von Männern angeleitet. In Bargteheide ist das anders, hier ist schnell zur Normalität geworden, dass die Zwei-Meter-Männer auf die 1,60-Meter-Frau hören.
Und eine aktive Trainerin mit Babybauch, das gab es zumindest im Deutschen Basketball wohl überhaupt noch nicht. „Ich kenne keine einzige Trainerkollegin, die ich anrufen und vielleicht mal um Rat fragen könnte“, sagt Gencay. In einer Vorreiterrolle sehe sie sich zwar nicht. „Aber ich hoffe natürlich, dass ich ein Signal an andere Frauen und Mädchen und auch an meine Tochter sende: Sie sollen sehen, dass mehr geht, als man manchmal denkt. Wir müssen uns nicht reglementieren. Man kann Dinge machen und ausprobieren, muss nicht immer sagen: ‚Dies und jenes geht nicht mit dem dicken Bauch.‘“
Positive Resonanz von Verein und Mannschaft
Bei diesem Versuch, den Gencay so lange laufen lässt, wie sie sich wohlfühlt, standen Verein und Mannschaft von Tag eins an hinter ihr. „Natürlich habe ich am Anfang infrage gestellt, ob das funktionieren kann und den Verein frühzeitig über meine Schwangerschaft informiert. Die Resonanz, die ich vom Verein, von den Spielern und von meinem privaten Umfeld bekommen habe, war ausschließlich positiv. Dadurch war dann recht schnell klar, dass ich als Trainerin weitermache.“ Die Unterstützung hält bis heute an.
Vereinzelt gab es aber auch Reaktionen von Schiedsrichtern oder Offiziellen der Gegner, die Gencay als „befremdlich“ bezeichnet. Sprüche wie: „Na dann hoffen wir mal, dass das Kind nicht jetzt während des Spiels kommt.“ „Das finde ich nicht besonders witzig und es zeigt auch, dass vielen Männern das Wissen fehlt, wie eine Geburt abläuft“, sagt Gencay. „Diese Sprüche waren aber auch schon das Einzige, was mir als nicht sonderlich charmant aufgefallen ist. Letztendlich ist mir auch egal, was die Leute darüber denken.“
Zwei oder drei Spiele will Gencay noch an der Linie stehen, ihre Tochter immer dabei. „Ungeborene Kinder nehmen ja schon Geräusche wahr, insofern ist sie seit vielen Monaten beim Training und den Spielen dabei. Die Story wird sie bestimmt cool finden“, sagt Gencay.
Lockerer Heimsieg gegen den MTV/BG Wolfenbüttel
Zumal die Geräuschkulisse bei den Spielen der Bargteheide Bees in dieser Saison ausschließlich fröhlicher Natur ist – wie beim jüngsten Heimsieg gegen den MTV/BG Wolfenbüttel. Das 86:63 (18:16, 26:14, 24:16, 18:17) war der vierte Erfolg im vierten Spiel – und wohl der lockerste. Über die gesamte Dauer konnten die Stormarner ihren Plan verfolgen, den Akteuren aus der zweiten Reihe Spielpraxis zu geben.
So standen absolute Leistungsträger wie Topscorer Marcel Hoppe (23 Minuten, 23 Punkte) und US-Profi Quran Dublin (26 Minuten, 22 Punkte) teilweise deutlich kürzer auf dem Feld als üblich. Das gab Spielern wie Tobias Schümann die Chance, sich zu präsentieren.
Schümann, einer der wenigen verbliebenen Aufstiegshelden von vor zwei Jahren, glänzte mit neun Rebounds in 13 Minuten Spielzeit. Auch Carl Ceesay machte auf sich aufmerksam, setzte in der Schlussphase mit einem Dunking sogar das spektakuläre Highlight der einseitigen Partie.
Weiter geht’s mit dem nächsten Heimspiel schon am kommenden Sonnabend, 28. Oktober, gegen den Tabellensechsten aus Bramsche. Şükran Gencay wünscht sich wieder einen Sieg – damit nicht die eine Serie vor der anderen endet.