Reinbek/Wohltorf. Der Deutsch-Russischer Wirtschaftsbund befürwortet Handelsbeschränkungen – fordert aber auch Unterstützung für Betroffene.

Laut dem Hamburger AGA Unternehmensverband ist bereits ein großer Teil der norddeutschen Händler und Dienstleister mit Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf das eigene Geschäft konfrontiert und rechnet damit, dass sie noch zunehmen werden (44 Prozent der Befragten). 38 Prozent spüren noch keine Konsequenzen, stellen sich aber zeitnah darauf ein. Gleichzeitig befürwortet eine große Mehrheit der Mitgliedsbetriebe die Sanktionen gegen Russland: 54 Prozent halten sie für genau richtig, 42 Prozent sind sogar für noch strengere Sanktionen. Das hat eine Blitzumfrage ergeben.

Krieg in der Ukraine: Viele befürworten die Sanktionen gegen Russland

Von solchen Erhebungen hält Thomas Overbeck, Reinbeker Unternehmer und Präsident des Deutsch-Russischen Wirtschaftsbundes, nicht viel. „Da Prognosen schwierig sind, sind Umfragen zurzeit nicht sinnvoll“, sagt der Inhaber von Timm Technology. Die Reinbeker Firma produziert und entwickelt Technologie für die Sicherheit beim Abfüllen brennbarer Flüssigkeiten an Raffinerien, Tanklagern, Häfen und Chemiewerken. Zumal die Mitgliedsfirmen sowie die etwa 3000 mit Russlandbezug, die der Wirtschaftsbund erreicht, fast alle in irgendeiner Form betroffen seien.

Wo können noch Waren transportiert werden? Wo gibt es noch Zahlungswege?

Jeden Montag tauschen sich die Mitglieder in einer Videorunde aus. „Der Informationsaustausch ist wichtig, weil sich laufend etwas ändert“, sagt Overbeck. Deshalb sei es auch so schwierig, die Fragen der Unternehmer zu beantworten: Wo können noch Waren transportiert werden? Wo gibt es noch Zahlungswege? Wie kann ich ein Projekt noch abschließen? Wie gehe ich mit meinen Mitarbeitenden um? „Wir versuchen gerade, uns selbst einen Überblick zu verschaffen“, erklärt der Unternehmer. Es gebe sehr emotionale Berichte der Unternehmer, die in Russland seien.

Der Präsident des Deutsch-Russischen Wirtschaftsbundes stellt klar: „Der Angriff ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wir distanzieren uns klar davon.“ Doch man müsse unterscheiden zwischen dem politischen System Putins und den Menschen, mit denen die Unternehmer jeden Tag in Russland umgehen. „Die Geschäftsleute und Mitarbeitenden dort sind vernünftige Menschen wie du und ich. Sie sind genauso betroffen und bestürzt, wie wir es sind“, sagt Thomas Overbeck. „Die Sanktionen gegen das Regime indes sind richtig und nötig, auch wenn sie die Bevölkerung treffen. Denn alle müssen merken, dass die Art, wie die politische Elite handelt, nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Russland selbst schädlich ist.“

Manche Firmen haben ihre Geschäftsbeziehungen freiwillig abgebrochen

Er weiß auch von nicht von den Sanktionen betroffenen deutschen Unternehmen, die ihre Geschäfte bewusst abgebrochen haben, weil sie das Putins Regime durch ihre Produkte nicht stützen wollen.

„Auch wir dürften unsere Produkte weiter nach Russland liefern, weil sie als sicherheitsrelevante Geräte gelten und daher nicht unter die Sanktionen fallen“, erläutert Overbeck. „Aber praktisch sind wir doch davon ausgeschlossen, da die Waren nicht mehr bezahlt werden können.“ Das sei nicht schön, jedoch auch nicht existenzbedrohend, weil die Geschäfte mit Russland nur etwa fünf Prozent des Umsatzes ausmachten.

Stern-Wywiol-Gruppe hat Filialen in Russland und der Ukraine

Andere deutsche Unternehmen mit wirtschaftlichen Beziehungen nach Russland treffe es härter. „In besonderer Weise trifft es die Unternehmen, die dort oder sogar in der Ukraine Niederlassungen haben“, sagt er. Im Rahmen ihrer weltweiten Aktivitäten mit 17 eigenen Filialen ist etwa die Stern-Wywiol-Gruppe in der Ukraine wie in Russland vertreten. In beiden Ländern ist sie für die lokale Lebensmittelindustrie und die Produktion von Nahrungsmitteln ein Schlüssellieferant von Zutaten. „Wir sind in einer sehr schwierigen, komplexen Situation“, sagt CEO Torsten Wywiol. Der Wohltorfer Unternehmer macht sich vor allem große Sorgen um die Mitarbeitenden in der Ukraine. „Wir unterstützen sie, wie wir nur können“, sagt er. Doch auch gegenüber den Mitarbeitenden und deren Familien in Russland habe man eine Verantwortung. „Eine Versorgung der Bevölkerung in beiden Ländern mit genügend Grundnahrungsmitteln muss auch in dieser Lage in den nächsten Wochen gewährleistet sein“, sagt Wywiol.

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Timm Technology hatte bislang einen Mitarbeiter vor Ort, den man nicht mehr bezahlen könne. „So können wir ihn in der jetzigen Situation leider nicht mehr weiter beschäftigen“, bedauert Overbeck.

Es wird schwer, die Geschäftsbeziehungen irgendwann wieder aufzubauen

Existenziell sei es für Firmen, die schwerpunktmäßig mit Russland Geschäfte machten. „Diese Firmen brauchen Unterstützung“, fordert Overbeck. „Sie müssen die Chance erhalten, sich umzuorientieren.“ Bei einigen Unternehmen seien zudem die Lieferketten betroffen, was die Produktion in Deutschland oder in der EU unterbreche. Die Firma Timm etwa erhalte noch Trafos aus der Ukraine. „Wir müssen jetzt schon schauen, wo wir sie alternativ beziehen können“, sagt Overbeck. Auf jeden Fall würden jahrzehntelang aufgebaute Geschäftsbeziehungen stark belastet. „Es wird schwierig sein, diese nach einer wie auch immer gearteten Lösung wieder aufzunehmen“, meint er.

Das Reinbeker Unternehmen will den Menschen aus der Ukraine auch helfen. „Wir überlegen, wie wir den Geflüchteten eine unbürokratische Möglichkeit schaffen, damit sie bei uns Geld verdienen können, auch um ihrer Selbstachtung willen.“ Und der Wirtschaftsbund bereitet eine gezielte Spendenaktion zugunsten der Geflüchteten vor.