Ahrensburg. Nur zwei waren am Montag angemeldet. Polizei verzeichnet wachsende Teilnehmerzahlen und setzt auf Zurückhaltung und Toleranz.

Wann ist ein Spaziergang noch ein Spaziergang und wann ein Protestzug? Für die Passanten, die am Montagabend dem Pulk begegneten, der sich durch die Ahrensburger Innenstadt bewegte, stellte sich diese Frage nicht. Klar war, dass es den knapp 100 Teilnehmenden nicht um ein Freizeitvergnügen ging, sondern darum, ein Zeichen zu setzen: gegen die Corona-Maßnahmen und die mögliche Impfpflicht. Demonstrativ trug keiner eine Maske und Sicherheitsabstände wurden schon gar nicht eingehalten.

Lichterketten sollen für Aufmerksamkeit sorgen

Um in der Dunkelheit trotzdem Aufmerksamkeit zu erregen, hatten sich einige Lichterketten umgehängt. Der Zug startete um 18 Uhr vom Marktplatz aus Richtung Norden. Immer vorneweg: zwei Polizeibeamte im Mannschaftswagen, die auch schon mal den Verkehr anhielten, um der Gruppe gefahrlos die Überquerung der Straße zu ermöglichen.

Unter Gleichgesinnten kommt man schnell ins Gespräch, wird es persönlich. Eine Teilnehmerin nennt einen Ahrensburger Biomarkt, eine andere eine Pflegeeinrichtung als Arbeitsplatz. Gegen das Impfen sind sie beide und gegen die Meinungsdiktatur und die so titulierten Mainstreammedien sowieso.

Protestler stimmen Vorgehen auf Telegram ab

In Ahrensburg versammelte sich ein Teil der Protestierenden zum Abschluss auf dem Rondeel.
In Ahrensburg versammelte sich ein Teil der Protestierenden zum Abschluss auf dem Rondeel. © Unbekannt | HA

„Die Medien brauchen die Gewalt“, sagt ein Mann, der über die Demos in Hamburg berichtet. Als eine Teilnehmerin fragt, wo die Termine der „Spaziergänge“ zu finden sind, kommt sofort der Nachrichtenmessenger Telegram ins Spiel. Kein Wort davon jedoch, dass in der öffentlichen Gruppe „Bewegte Bürger in Stormarn“ neben den Terminen auch jede Menge Verschwörungs- und Umsturzfantasien verbreitet werden. „Kein Zweifel: Die Spaziergänge wirken“, heißt es da. „Sie binden Polizeikräfte bis an die Grenze der staatlichen Leistungsfähigkeit, haben einen enorm motivierenden Effekt und verunsichern die Protagonisten des Systems.“

Die Absicht, die Polizeikräfte bis an die Grenze der staatlichen Leistungsfähigkeit zu binden, könnte schneller erreicht sein als gedacht. Registrierte die Polizei am vorvergangenen Montag in Stormarn noch keinen einzigen Protestzug mit mehr als 100 Teilnehmern, so kamen diesmal in Bargteheide offiziell 140 und in Reinbek 130 Personen zusammen. In Ahrensburg hatten sich die Zahlen auf 95, in Trittau auf 86 verdoppelt.

Die Zusammenkünfte müssen angemeldet werden

Laut schleswig-holsteinischem Innenministerium liegt die Zuständigkeit bei den Versammlungsbehörden, im Fall von Stormarn also bei der Kreisverwaltung. „Rechtlich stellen die so genannten Spaziergänge Versammlungen unter freiem Himmel dar“, sagt der Sprecher des Innenministeriums, Dirk Hundertmark. Weil die Zusammenkünfte auf die öffentliche Meinungsbildung Einfluss nehmen, müssten sie angemeldet werden.

Tatsächlich angemeldet waren am Montag indes nur die Spaziergänge in Ahrensburg und Bad Oldesloe. Von den Umzügen in Reinfeld, Reinbek, Bargteheide und Trittau erfuhren die Ordnungsbehörden nur durch Beiträge in den sozialen Netzwerken und hier insbesondere durch Aufrufe in einschlägig bekannten Telegram-Gruppen.

Maskenpflicht überall fast durchgängig missachtet

Mit der steigenden Zahl an Teilnehmern wächst auch der Druck auf die Behörden. Denn ab 100 Personen gelten laut aktueller Landesverordnung eine Maskenpflicht und ein Abstandsgebot. Beides wurde in Bargteheide und Reinbek laut Polizeiberichten fast durchweg missachtet. Warum sind die Einsatzkräfte dann aber nicht eingeschritten? Weil für die Begleitung am vergangenen Montag nur zwischen zwei und sechs Beamte abgestellt worden waren?

„Die Zusammenkünfte werden in enger Zusammenarbeit mit den Versammlungsbehörden und immer im Einzelfall beurteilt“, sagt Jacqueline Fischer, Sprecherin der Polizeidirektion Ratzeburg. Solange es keine gravierenden Verstöße gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit gebe, müssten die Maßnahmen mit Augenmaß auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft werden. Bleibt allerdings die Frage, ob die Staatsmacht offensichtliche Regelverstöße auf Dauer ungeahndet tolerieren darf. Andreas Rehberg, Leiter des zuständigen Fachbereichs Sicherheit und Gefahrenabwehr beim Kreis Stormarn, verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass spontane Demonstrationen ja erlaubt seien und letztlich alles ruhig geblieben sei.

Abstellung von mehr Einsatzkräfte wird geprüft

Ob es sich bei den angekündigten Spaziergängen tatsächlich um „spontane“ Zusammenkünfte handelt, die durch das schleswig-holsteinische Versammlungsrecht gedeckt wären, darf bezweifelt werden. Vielmehr sind sie durchweg organisiert. Gleichwohl ist es offenbar schwierig, bereits im Vorfeld und dann vor Ort Verantwortliche auszumachen, um gezielt Bußgelder zu verhängen.

„Über Bargteheide und Reinbek wird aber sicher noch einmal gesprochen“, stellt Andreas Rehberg klar. Gemeinsam mit der Polizei werde geprüft, ob beim nächsten Spaziergang nicht mehr Einsatzkräfte abgestellt werden müssten. Bisher liegen weitere Anmeldungen für Versammlungen allerdings nur für Bad Oldesloe vor. In der Kreisstadt hatten sich offiziellen Angaben zufolge rund 100 Menschen versammelt. Wie an den anderen Schauplätzen zumeist ohne Maske und Abstand, dafür aber mit Lichterketten und Kerzen. Vom Treffpunkt Marktplatz zog sich der Protestzug anschließend durch die Innenstadt, begleitet von fünf Einsatzkräften der Polizei.

Viele Videokonferenzen zur aktuellen Lagebewertung

Dass Innenministerium, Polizei und Kreisverwaltung momentan auf Zurückhaltung und Toleranz setzen, ist angesichts der allgemeinen Personallage und anderer wichtiger Aufgaben nachvollziehbar. „Tatsache ist, dass es jetzt in zahlreichen Videokonferenzen permanent zu einer aktuellen Lagebewertung kommt“, sagt Jacqueline Fischer. Dazu stehe die Polizeiinspektion in Ratzeburg in engem Austausch mit den Landräten, den Versammlungsbehörden und dem Landespolizeiamt.

Die konkrete Einzelfallprüfung zwischen Versammlungsbehörde und Polizei dürfte unterdessen schwierig bleiben. Insbesondere dann, wenn noch mehr Spaziergänge gleichzeitig und an verschiedenen Orten organisiert werden. Kaum vorstellbar, dass dann genügend Ordnungskräfte bereitstehen würden, um bei einer Häufung von Verstößen einen Spaziergang auflösen zu können. Genau das aber ist vorgesehen, sollten erheblichen Zweifel bestehen, dass eine Veranstaltung, ob angekündigt oder nicht, sicher und regelkonform durchgeführt werden kann.