Bönningstedt. Bürger machen ihrem Ärger auf der Gemeinderatssitzung lautstark Luft. Wie Politik und Verwaltung reagierten und wie es nun weitergeht.
Die jüngste Gemeinderatssitzung in Bönningstedt wird sicherlich in die Geschichte der Gemeinde eingehen: Etwa 150 zum Teil sehr aufgebrachte Menschen waren in den Kulturtreff gekommen, um lautstark zu verhindern, dass überhaupt darüber nachgedacht werden soll, ob fünf jeweils 240 Meter hohe Windkraftanlagen im Nordwesten des Dorfes aufgestellt werden sollten.
Die meisten Besucherinnen und Besucher mussten stehen. Einige sogar draußen warten, weil drinnen kein Platz mehr war. Nach einer hitzigen Debatte in der Einwohnerfragestunde wurden dann mit den Stimmen von CDU und zwei Grünen-Gemeindevertretern die Beratung und der Beschluss aufs nächste Jahr vertagt, das Bauleitverfahren für dieses Vorhaben einzuleiten.
Die politische Entscheidung ist zunächst aufs nächste Jahr verschoben
Diese Verschiebung wurde von der Bürgerinitiative „Natur statt Windkraft-Giganten“, die sich spontan gegründet hatte, um das Projekt zu verhindern, im Saal kräftig mit Kommentaren wie „super“, „stark“ und „sehr gut“ begrüßt. Zuvor aber ließen machten die ihrem Ärger lautstark Luft. Auch gegen andere. Einige Kommunalpolitiker wurden sogar verbal scharf angegriffen, wie der CDU-Gemeindevertreter Kai Fleßner.
Weil der zu jenen fünf Landwirten gehöre, die die 90 Hektar Land an den Hamburger Investor Green Energy für die fünf Windkraftanlagen verpachte, verstoße er gegen „die Treuepflicht“ und würde sich auf Kosten der Gemeinde bereichern, schimpfte ein Vertreter der BI laut und bedrohlich und verließ unter lautstarkem Protest mit Worten wie „schämt euch“ und „das ist eine Schande“ schließlich den Saal.
Ein betroffener Gemeindevertreter wurde beschimpft und blieb der Sitzung vorsichtshalber fern
Dabei war Fleßner vorsichtshalber gar nicht zur Sitzung gekommen. Er hatte geahnt, „dass ich dort persönlich angegriffen“ werde, sagte er am Tag danach dem Abendblatt. „Bevor es noch weiter eskaliert, bleibe ich lieber zu Hause“, habe er sich aus Selbstschutz gedacht. „Aber ich habe keine Angst vor den Leuten.“ Er sei ohnehin nur am Rande beteiligt, mit etwa zwei Hektar an dem Projekt. Da verdiene er sich keine goldene Nase, wie einige behaupteten.
Auch BI-Sprecher Klaus Niemöhlmann schien etwas erschreckt, wie wenig sich einige der Windkraft-Gegner verbal im Griff hatten. „Von persönlichen Angriffen distanziere ich mich natürlich, auch wenn ich die Emotionen schon verstehen kann“, sagte er im Gespräch mit dem Abendblatt. Aber es dürften keine Personen namentlich öffentlich an den Pranger gestellt werden, betont Niemöhlmann.
BI-Sprecher spricht von einem „Etappensieg“ und kündigt Bürgerbegehren an
Für ihn ist die Verschiebung der Entscheidung immerhin „ein Etappensieg“, um das ganze Projekt zu Fall zu bringen. Wenn der Gemeinderat den Beschluss gefasst hätte, „würden wir sofort ein Bürgerbegehren dagegen initiieren“, kündigt Niemöhlmann an. „Wir sind vorbereitet.“ Aber auch das müsse nun zunächst aufgeschoben werden.
Er könne einfach nicht nachvollziehen, warum die Gemeinde das Bauleitverfahren überhaupt einleiten soll. Das sei doch eine Vorentscheidung, die Windräder auch nördlich des Winzeldorfer Weges zu errichten. „Das zeigt, dass der Wille da ist, sowas auch zu bauen“, sagte Niemöhlmann auf der Gemeinderatssitzung.
Bürgermeister Lammert: Die Leute verstehen nicht, was ein Aufstellungsbeschluss ist
Doch dem sei nicht so, betont Bönningstedts Bürgermeister Rolf Lammert, ebenso wie mehrere andere Gemeinderatsmitglieder am Abend zuvor. „Es ist zwar offiziell der Aufstellungsbeschluss für den notwendigen Bebauungsplan. Aber das heißt nicht, dass wir die Dinger auch aufstellen.“
Vielmehr würde damit zunächst nur das reguläre Bauleitverfahren eingeleitet, betont Lammert. Das beinhalte, dass das ganze Projekt durch Gutachten über Lärm, Umweltverträglichkeit oder Schattenschlag geprüft und die Stellungnahmen und möglichen Einsprüche von den Anwohnern und Nachbargemeinden berücksichtigt werden können. „Das wird dann alles sauber abgearbeitet“ und werde bestimmt zwei Jahre dauern, sagt Bürgermeister Lammert. Er glaubt: „Das ist das Grundübel, dass das keiner richtig verstanden hat.“
Im ersten Quartal 2025 wird es eine Einwohnerversammlung geben
Wenn aber weitere aufgebrachte Zuhörer offene Drohungen ausgesprochen hätten, wie dies auch auf der Bauausschusssitzung zwei Wochen zuvor mit lautstarken Pöbeleien geschehen ist, „hätte ich das sofort beendet“, sagt Lammert. Er kündigt an, dass die Bevölkerung nun im ersten Vierteljahr des nächsten Jahres ausführlich vom Investor noch mal über das Vorhaben informiert werden soll, bevor dann der Gemeinderat darüber entscheidet. Dann dürfte auch die zurzeit wegen Bauarbeiten gesperrte Turnhalle wieder nutzbar sein, sodass dort alle einen Sitzplatz bekämen, hofft Lammert und betont: „Es ist noch nichts vom Tisch, nur verschoben.“
Zu dieser jetzt im Vorwege geplanten Einwohnerversammlung werde die Bevölkerung mit zahlreichen Plakaten und anderen öffentlichen Hinweisen großflächig im Ort eingeladen, verspricht SPD-Fraktionschef und Vize-Bürgermeister Axel Graßmann. Damit der Vorwurf der BI nicht greife, dass die Gemeinde hier womöglich etwas im stillen Kämmerlein an den Bürgern vorbei plane.
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Dann erwarte er dort auch endlich mal lautstarke Befürworter des Windkraftprojektes, die es in Bönningstedt in großer Zahl gebe, ist Graßmann überzeugt. Auch er sagt: „Das Thema ist nicht vom Tisch, nur vertagt. Auch wenn wir von der SPD die Verschiebung der Entscheidung für sinnlos halten.“
Die SPD spricht sich wegen des Klimawandels für das Projekt aus
Die SPD spreche sich für diese Art der erneuerbaren Energie aus, an der sich auch kleinere Orte wie Bönningstedt beteiligen müssten, findet Graßmann. „Windkraft ist die wirtschaftlich effizienteste und am wenigsten umweltbelastende Energieform.“
Die Gegner argumentierten, die Windräder seien zu hoch oder würden angeblich den Wert ihrer Immobilien mindern. „Dagegen steht aber der Klimawandel und die notwendige Energiewende, die für uns in der SPD ein größeres Gewicht hat.“ Zudem würden schon heute in Bönningstedt viele Hochspannungsleitungen und Mobilfunkmasten das natürliche Landschaftsbild im Ort stören.
Weitere Windkraftanlagen sind in Tangstedt und Ellerbek geplant
Außer in Bönningstedt sind – wie berichtet – jeweils sechs weitere Windkraftanlagen mit einer Nabenhöhe von 160 Metern und einer Flügelspannweite von 166 Metern in den Nachbarorten Tangstedt und Ellerbek geplant. Hinzu kämen noch mal drei bis vier Anlagen, die derselbe Investor aus Hamburg im Süden von Quickborn errichten möchte, sodass hier insgesamt ein Windpark mit rund 20 Anlagen entstehen könnte, der die Stromversorgung von mehr als 100.000 Haushalten sicherstellen könnte.
Eine öffentliche Diskussion darüber gibt es bislang nur in Bönningstedt. Die Ellerbeker CDU hat sich bereits dagegen ausgesprochen.