Kreis Pinneberg. Antje Hardekopf ist die erste hauptamtliche Behindertenbeauftragte des Kreises Pinneberg. Was sich die 32-Jährige vorgenommen hat.
15 Monate lang war dieser Arbeitsplatz nicht besetzt. Jetzt ist Antje Hardekopf die neue Beauftragte für Behinderte im Kreis Pinneberg. Die 32 Jahre junge Frau aus Itzehoe ist die Erste, die für diese Stelle mit 30 Stunden in der Woche hauptamtlich bezahlt wird. Die Mitglieder des Kreistages haben sie einmütig berufen.
Das Aufgabengebiet von Antje Hardekopf ist groß: Im Kreis Pinneberg leben 46.500 Menschen mit Behinderungen, von denen 24.236 Personen sogar schwerstbehindert sind, weil ihre geistige oder körperliche Beeinträchtigung mehr als 50 Prozent ausmacht. Was die 32-Jährige plant und wie sie die Interessen dieser Leute mit Handicaps wahren und verbessern möchte, verriet sie jetzt dem Abendblatt.
Es fehlt an Arbeit, Wohnraum, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
„Diese Menschen gehören in die Mitte unserer Gesellschaft“, lautet ihr Credo. „Ich möchte mich dafür starkmachen, dass ein Miteinander zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen entsteht. Das ist wahre Inklusion“, sagt Antje Hardekopf über ihre „sehr sinnstiftende“ Aufgabe, die herausfordernd und nur hauptamtlich zu bewältigen sei, wie ihr seinerzeit noch ehrenamtlicher Amtsvorgänger Axel Vogt dem Kreistag bei seinem Abschied Ende 2022 ins politische Stammbuch geschrieben hatte.
Denn es gehe darum, den fast überall benachteiligten Menschen, Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, sie über ihre Rechte aufzuklären und zu beraten, ihnen Wohnraum und Arbeit zu vermitteln, ihre Bildungschancen zu verbessern und sie mobiler zu machen, damit sie selbstständig leben könnten, erklärt Antje Hardekopf. „Sie haben ein Recht darauf, am öffentlichen und kulturellen Leben teilzuhaben wie alle anderen Menschen auch.“
Die Landdrostei wird weiterhin nicht barrierefrei zugänglich sein
Wie schwer dieses Ziel umzusetzen ist und welche Hürden dabei zu bewältigen sind, zeigt die schon jahrelang andauernde Diskussion um die Barrierefreiheit der Landdrostei in Pinneberg, die bis heute nicht gegeben ist. Der deutsche Denkmalschutz verhindert den Einbau eines Aufzuges, sodass weiterhin alle gehbehinderten Menschen von dieser nur über hohe Treppenstufen zu erreichende Kreiskulturstätte ausgeschlossen bleiben.
Das wird wohl auch noch lange so bleiben, wie die Kreisverwaltung auf Nachfrage dazu mitteilt. Das Gebäudemanagement verfolge nach wie vor die Idee eines „barrierearmen“ Zugangs zum Gebäude der Landdrostei, heißt es darin. „Der Fokus liegt hier auf Geheinschränkungen. Voraussetzung für die Umsetzung ist jedoch die Neuorganisation des Erdgeschosses, welche wiederum die Fertigstellung der Räumlichkeiten im ehemaligen Zollamt voraussetzt, da die erforderlichen Flächen aktuell noch durch die Verwaltung belegt sein müssen. Die Maßnahme ist daher weder kurz- noch mittelfristig umsetzbar.“
Beauftragte für Behinderte hat Tourismusmanagement studiert
Antje Hardekopf ist eine berufliche Quereinsteigerin. Sie hat Tourismusmanagement und Betriebswirtschaft studiert und einige Jahre in verschiedenen Hotels im In- und Ausland gearbeitet, berichtet sie. Dann wurde sie aufmerksam auf die Stiftung Mensch, die in Meldorf in Dithmarschen eine Werkstatt mit 660 Arbeitsplätzen für behinderte Menschen betreibt.
Für diese Organisation, die sich bundesweit für Inklusionsprojekte einsetzt, hat sie fünf Jahre lang bis Ende vorigen Jahres Fundraising betrieben und Spenden eingesammelt. „Ich arbeite gern mit Menschen zusammen. Das galt für die Hotelgäste ebenso wie jetzt für Menschen mit Handicaps“, sagt sie offenherzig.
Mehr als die Hälfte der behinderten Menschen ist älter als 65 Jahre
Die Interessenslagen dieser Menschen seien recht unterschiedlich. Was sich allein schon aus den verschiedenen Altersstufen und Behinderungen ergebe. „Mehr als die Hälfte der Behinderten im Kreis Pinneberg sind älter als 65 Jahre und nur drei Prozent jünger als 18 Jahre“, erklärt Antje Hardekopf. Das liegt daran, dass 80 Prozent der Menschen mit Behinderungen erst im Laufe ihres Lebens eine Behinderung bekommen. Knapp 60 Prozent sind körperlich eingeschränkt, die anderen 40 Prozent geistig, seelisch oder lernbehindert, können nicht sehen, sprechen oder hören.
Eine bezahlte Arbeit zu finden, sei für diese Menschen schwer, weiß die Pinneberger Behindertenbeauftragte. Lediglich 8000 Behinderte im erwerbsfähigen Alter hätten im Kreis Pinneberg einen Job. Das ist weit weniger als die Hälfte der Betroffenen in dieser Altersgruppe. Weitere 2700 mögliche Arbeitsplätze seien unbesetzt, weil die Unternehmen lieber eine Ausgleichsabgabe zahlten, als einen behinderten Menschen einzustellen. Eine Einstellung, die sich unsere Gesellschaft angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels nicht mehr leisten könnte, warnt Antje Hardekopf.
Die Zahl der erwerbslosen Menschen mit Behinderung nimmt zu
Sie möchte in der Region mit den Firmen und der Arbeitsagentur ins Gespräch kommen, wie diese Menschen leichter in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden könnten. Aktuell (Stand Ende Juli 2024) sind 480 schwerbehinderte Menschen im Kreis Pinneberg arbeitslos gemeldet. Das sind 40 mehr als vor einem Jahr, und es betrifft jeden 20. der 9900 Erwerbslosen im Kreis Pinneberg. Niedrigschwellige Ausbildungsplätze für Helferinnen und Helfer könnten ein Baustein dafür sein.
Fast noch schwerer als eine bezahlte Arbeit zu finden, dürfte es vielen Behinderten fallen, eine Wohnung zu bekommen. „Es ist ohnehin zu wenig Wohnraum da“, klagt Antje Hardekopf. Da habe sich die Situation für diese benachteiligte Gruppe seit der „Pinneberger Erklärung“ durch die erheblich gestiegenen Baukosten und Zinsen und die aktuelle Bauflaute noch verschärft. Diese Erklärung hatte der Behindertenbeauftragte Axel Vogt 2016 mit mehreren regionalen Wohnungsunternehmen und den sie betreuenden Organisationen initiiert, um bezahlbaren, passgenauen Wohnraum für Menschen mit Behinderungen im Kreis Pinneberg zu schaffen.
Es gibt noch zu wenige Wohnprojekte für Menschen mit Handicaps
„Da muss noch mehr passieren“, sagt Ante Hardekopf. „Jeder Mensch sollte die Wahl haben, seinen Lebensraum selbst zu bestimmen.“ Erste vorbildliche Initiativen wie die der Flora-Höfe in Elmshorn gebe es. Dort wurden voriges Jahr 36 Wohnplätze in drei Wohngruppen für Menschen mit Behinderung geschaffen. Weitere solche Projekte müssten folgen, fordert Hardekopf.
Zusammen mit der Kreispolitik, den sieben kommunalen Kollegen der Behindertenbeauftragten im Kreis sowie der Wirtschaft, den Verbänden und den Interessensgruppen möchte sie die Lebens- und Teilhabesituation für diese Menschen verbessern helfen, sagt sie. Auch mit Vereinen und Ehrenamtlichen will sie dabei ins Gespräch kommen, wie sie die Eingliederungshilfe unterstützen könnten.
Antje Hardekopf: Jeder Mensch hat ein Recht auf Teilhabe
„Jeder Mensch hat ein Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Alle Menschen müssen die gleichen Chancen haben, sich auszuleben“, sagt Antje Hardekopf. „Aber bis dahin ist noch ein langer Weg.“ Und auch in der Gesellschaft müssten sich das Verständnis und ein größeres Problembewusstsein für die Menschen mit Handicaps entwickeln.
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Aktuell nehmen im Kreis Pinneberg 3383 Erwachsene sowie 1938 Kinder und Jugendliche Teilhabeleistungen im Kreis Pinneberg in Anspruch. Der Bedarf steigt. Im Jahr 2023 hat sich die Zahl der Neuanträge im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel auf 344 Anträge erhöht.
Kontakt: Telefon: 04121/4502-5800, E-Mail: behindertenbeauftragte@kreis-pinneberg.de