Kreis Pinneberg. Kreis Pinneberg benötigt dringend neue Pflegefamilien. Drei erwachsene Betroffene berichten über ihre Erfahrungen in ihrer Kindheit.
230 Kinder und junge Erwachsene im Kreis Pinneberg leben nicht bei ihren leiblichen Eltern. Sie sind zum Teil seit vielen Jahren aus unterschiedlichen Gründen bei 190 Pflegefamilien untergebracht.
Welche engen und liebevollen Beziehungen die Betroffenen dabei zu ihren Pflegeltern entwickeln können, erzählten jetzt zwei junge Frauen und ein junger Mann, die von klein auf an in dieser für sie zunächst fremden Umgebung aufgewachsen sind.
Celine musste im Alter von vier Jahren ihr Elternhaus verlassen
„Meine Pflegefamilie ist wie eine richtige Familie für mich geworden“, fasst Celine Schmuck (26) ihre Erfahrung zusammen. Sie musste im Alter von vier Jahren ihr leibliches Elternhaus verlassen, mit sechs Jahren wurde sie Vollwaise, und bis zu ihrer Volljährigkeit lebte sie mit ihrer älteren Schwester bei einer Pflegefamilie im Kreis Pinneberg. Die 26-Jährige studiert jetzt auf Lehramt in Kiel.
Auch Sissly Comtesse ist in einer Pflegefamilie aufgewachsen. Die 24-Jährige sagt: „Meine Pflegemutter ist das Beste, was mir passiert ist.“
Die leiblichen Eltern sind oft überfordert, krank oder süchtig
Die leiblichen Eltern dieser Kinder sind meist überfordert von der Situation und aus persönlichen Gründen oft nicht in der Lage, sich um ihre Kinder richtig zu kümmern. Drogenmissbrauch, Alkoholsucht, Gewalt und psychische Erkrankungen spielen dabei eine Rolle.
„Wir brauchen dringend neue Pflegefamilien“, sagt Svenja Neumann, die das Team Pflegestation in der Kreisverwaltung leitet. „Unser Pool an Bewerbern für Pflegestellen ist erschöpft.“
100 Kinder und Jugendliche wurden ihren leiblichen Eltern entzogen
Der Bedarf ist groß und wächst. Allein 100 Kinder und Jugendliche sind ihren Elternhäusern entzogen worden und leben in stationären Einrichtungen im Kreis Pinneberg. Für fünf von ihnen im Alter von eins bis neun Jahren würden erste Gespräche mit potenziellen Pflegeeltern geführt, erklärt Svenja Neumann.
Sechs weitere Kinder und Jugendliche sollen innerhalb der Familie bei ihren Großeltern verbleiben. „Geschwister sind besonders schwer zu vermitteln“, erklärt die Teamleiterin. „Weil die meisten Pflegeeltern sich zu Anfang nicht zutrauen, gleich zwei Kinder aufzunehmen oder nicht den Platz dafür haben.“
Manche Pflegekinder halten den Kontakt zu den leiblichen Eltern aufrecht
Dabei muss der Kontakt zu den leiblichen Eltern nicht automatisch abbrechen, wenn diese in einer Pflegefamilie unterkommen. Das berichtet Niklas Janacek aus eigener Erfahrung. „Zu Weinachten feiern und essen wir alle zusammen“, erzählt der 20-Jährige, der mit fünf Jahren mit seinem jüngeren Bruder bis zu seinem 18. Geburtstag in der Pflegefamilie lebte.
„Wir wohnten sogar alle im selben Ort“, sagt er. „Das ist alles recht entspannt. Ich habe noch eine enge emotionale Beziehung zu meiner leiblichen Mutter.“ Diese treffe er regelmäßig einmal im Monat. Zu seinem Vater habe er kaum noch Kontakt. „Vom ersten Tag an habe ich Mama und Papa zu meinen Pflegeltern gesagt.“
Mit den Kindern der Pflegeeltern gibt es keine Eifersüchteleien
Etwas komplizierter stellt sich die Situation für Sissly Comtesse dar. Ihre leinbliche Mutter sei krank, und sie fühle sich oft unwohl und unsicher in ihrer Gegenwart. Den Vater nennt sie nur ihren „Erzeuger“. Mit dem möchte sie am liebsten nichts mehr zu tun haben. „Die Pflegefamilie war eine große Hilfe für mich“, sagt die junge Frau, die mit drei Jahren vom Jugendamt aus ihrem Elternhaus geholt wurde. „Auch das Verhältnis zu den leiblichen Kindern meiner Pflegefamilie ist super.“
Das sagt auch Celine Schmuck, die mit mehreren anderen Pflegekindern und deren leiblichen Kindern bei der Pflegefamilie aufgewachsen ist. „Da gab es nie Eifersucht unter uns. Keiner wurde bevorzugt.“
Ohne Aufnahme bei einer Pflegefamilie müssten diese Kinder dauerhaft in stationären Einrichtungen verbleiben, sagt Christoph Helms, der das Jugendamt in der Kreisverwaltung leitet. Damit sind die verschiedenen Kinderschutzhäuser und auch Bereitschaftspflegeplätze gemeint.
Doch am besten sei es für die Entwicklung der Kinder, wenn sie in einem familienähnlichen Verhältnis aufwachsen würden. Neben den bereits 100 deutschen Kindern in diesen Einrichtungen sind zurzeit im Kreis Pinneberg auch noch 57 Minderjährige und 27 Erwachsene aus Flüchtlingsländern stationär untergebracht. Zwölf Geflüchtete werden ambulant betreut.
Um den Namen der Pflegeeltern anzunehmen, bedarf es der Zustimmung der leiblichen Eltern
Die Bindung zu den Pflegeeltern kann dann sogar dazu führen, dass die Pflegekinder deren Namen annehmen oder sich sogar von ihnen adoptieren lassen möchten. Denn dass diese Kinder und ihre Pflegeeltern unterschiedliche Namen haben, sei schon manchmal ein Problem, in der Schule oder beim Arzt, berichtet Niklas Janacek. Auch wenn seine Freunde und Schulkameraden das schnell akzeptiert hätten. „Ich bin nie gemobbt worden.“
Für Sissly Comtesse erfüllte sich dagegen der Wunsch, sich auch namentlich ihren Pflegeeltern anzupassen, erst nach „großem Theater“, erzählt sie. Denn dabei hätten die leiblichen Eltern durchaus noch ein Mitspracherecht, sofern ihnen das Sorgerecht über ihre Kinder noch nicht vollständig entzogen worden sei, erklärt Teamleiterin Neumann die Gesetzeslage, die offenbar bis heute nicht die Interessen der betroffenen Pflegekinder berücksichtigt.
Pflegeeltern bekommen je nach Alter der Kinder bis zu 1400 Euro Unterhalt
Wer ein Pflegekind bei sich aufnimmt, erhält je nach Alter der Pflegekinder zwischen 1100 und 1400 Euro Unterhalt im Monat. Die Pflegestelle des Kreises prüfe die Bewerbungen und bahne den Kontakt zu den Kindern an, erklärt Svenja Neumann das Auswahlverfahren.
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Ob die angehenden Pflegeeltern alleinerziehend, verheiratet oder geschieden seien, spiele keine Rolle. Es würden Info-Abende und mehrere Gesprächstermine zu durchlaufen sein. Der Altersunterschied sollte nicht größer als etwa 45 Jahre sein. „Am Ende muss die Familie zu dem Kind passen, nicht das Kind zur Familie“, betont die Expertin.
Nähere Informationen dazu in der Pflegestelle der Kreisverwaltung Pinneberg unter der E-Mailadresse: b.bessert@kreis-pinneberg.de oder telefonisch unter 04121/4502–3417.