Kreis Pinneberg. In London läuft die Darts-WM und hat ein riesiges Publikum im TV. Derweil wird im Kreis Pinneberg die Bundesliga angepeilt.
„Wissen Sie, beim Darts ist es wie im richtigen Leben“, philosophiert Igor Petrov, „an manchen Tagen gelingt alles, an anderen trifft man nicht mal die Scheibe.“ Um jedoch das Ziel nicht allzu krass und nicht allzu häufig zu verfehlen, helfe, so Petrov, bei Licht betrachtet nur eines: „üben, üben, üben“.
Er selbst, der sich den furchteinflößenden Spitznamen „Straßenkobra“ auf sein Shirt hat drucken lassen, kommt durch Wettkämpfe und fleißiges Training auf geschätzte 70.000 Würfe per anno, eher mehr.
Trendsport Darts: Ein Wurfpfeil setzt sich aus vier Teilen zusammen
In seinem Heimatverein, der Uetersener Sportgemeinschaft-Darts, muss Petrov kaum einen Gegner mehr fürchten. Deshalb tendiert er dazu, sich immer häufiger auf nationalen und internationalen Turnieren mit stärkeren Kalibern zu messen.
Der 40 Jahre alte Logistiker dartet seit rund sechs Jahren. Zwischenzeitlich hatte sich ein gewaltiges „Equipment“ angesammelt. Schließlich setzt sich ein Pfeil aus vier Teilen zusammen: aus Flight, Schaft, Barrel und Spitze. Jedes dieser Elemente ist in diversen Ausführungen erhältlich, die sich in Farbe, Form, Gewicht und Material unterscheiden. Vielfalt bis hin zur Unübersichtlichkeit. Eine Briefmarkensammlung sei nichts dagegen, sagt Petrov.
In der Anfangsphase investiert Igor Petrov tausende Euros in den Dartsport
Er selbst hatte vom ersten Versuch an Feuer gefangen, und so konnte es geschehen, dass er schon in seiner Frühphase „tausende von Euros“ für eben diese Pfeilspezialitäten ausgab. Irgendwann wusste er nicht mehr, wohin mit dem Sammelsurium – „man kann ja nicht mit 700 Darts werfen“ – und hat einen Großteil davon bei Ebay vertickt.
Noch heute kauft er punktuell Teile nach, von denen er als „Gefühlsdarter“ glaubt, dass sie ihm zu gesteigerter Treffsicherheit verhelfen. Tatsächlich startete die „Straßenkobra“ in diesem Jahr erstmals bei den German Masters im unterfränkischen Geiselwind. Platz 56 sei nicht übel, meint Petrov, aber ausbaufähig.
Der Anteil an Frauen beträgt im Dartsport um die zehn Prozent – Tendenz steigend
Seine Sportart ist eindeutig männerdominiert. Doch die Zahl der Frauen, die sich in diesen Löwenkäfig trauen, nimmt allmählich zu. Sonja Warns (48), Kampfname „Die Elfe“, ist nach mehrjähriger Pause an die Scheibe zurückgekehrt und hat beobachtet: „Früher ernteten Mädchen nur mitleidige Blicke, heute trainieren sie häufiger, werden besser und deshalb auch von den Männern ernst genommen.“ Der aktuelle Anteil von etwa zehn Prozent sollte allerdings noch nicht das Ende der Fahnenstange markieren.
Angefangen hat Sonja Warns einst als Automaten-Darterin in Husum, jetzt in Uetersen genießt sie den Zusammenhalt, das familiäre Miteinander unter den Steeldartern. Zur Erläuterung: Während in Gaststätten überwiegend an elektronischen Maschinen gespielt wird, die nach jedem Wurf den Spielstand anzeigen, läuft das geregelte Pfeilewerfen in Vereinen unter der Bezeichnung „Steeldart“ ab. Die Punktzahlen werden noch mit Kreide an Tafeln gemalt.
Die Uetersener Dartsportler können sich auf 400 Quadratmetern „austoben“
Die organisierte Szene in Uetersen trifft sich mehrmals pro Woche hinter einer unscheinbaren Plattenbaufassade unweit des Ortskerns. Auf 400 Quadratmetern, verteilt über zwei Ebenen, wird auf die bunten Scheiben aus Sisal- oder Naturfasern geworfen. Die Uetersener Sportgemeinschaft-Darts (USG) verdankt nicht zuletzt dieser vergleichsweise verschwenderischen Anlage ihre führende Stellung in der Dartszene des Kreises Pinneberg.
Die sportlichen Ziele sind entsprechend hochgesteckt. „Wir peilen mittelfristig einen Aufstieg in die Bundesliga an“, erklärt Abteilungsleiter Mike Warns (52), Ehemann von Sonja, der Elfe, die wiederum als Kassenwartin im USG fungiert. Seit der Saison 2003/2004 unterteilt sich die Bundesliga in Nord- und Südgruppe, denen jeweils neun Vereine angehören. Die vier besten der Abschlusstabelle spielen in einem Finalturnier Mannschaftsmeister und Vizemeister aus.
In die Karten spielt den Uetersenern bei ihren Aufstiegsplänen, dass die Mitgliederzahl seit der Pandemie-Delle kontinuierlich steigt und bereits über der 70er-Marke liegt. Die ausführliche Fernseh- und Internet-Berichterstattung von der WM im brodelnden Londoner Ally Pally, dem Wimbledon des Dartspiels, hat das Interesse besonders bei jungen Leuten spürbar gesteigert – und wird es wohl weiterhin tun.
In Halstenbek ist die Darts-Sparte noch im Aufbau, ein Tag der offenen Tür soll helfen
Bei der Halstenbeker Turnerschaft dürften sie ein wenig neidisch gen Uetersen schielen. In der HTS darten sie momentan nur zu zehnt, einmal pro Woche und ohne Beteiligung am Ligabetrieb. Bei ihnen befindet sich der „Präzisionssport“ noch im Entwicklungsstadium. Spartenchef Carsten Göring: „Der Dartboom hält unvermindert an. Wir hoffen, dass auch wir davon profitieren, wenn es sich erstmal herumspricht, dass man auch in Halstenbek im Verein darten kann.“
Ein „Tag der offenen Tür“ am 23. Januar 2024 soll dabei helfen, diese Botschaft zu verbreiten. Noch leitet Göring praktisch eine Seniorenriege. Das reicht ihm nicht: „Um wenigstens ein Team für die Landesliga melden zu können, brauchen wir acht echt gute Spieler.“ Eine Chance für Newcomer, die sich auch an den Dartscheiben beim SC Pinneberg, beim Elmshorner MTV oder beim FTSV Fortuna ausprobieren könnten.
Die Anerkennung als Sport fällt wegen der Statur so manches Athleten nicht leicht
Immer wieder muss sich die Szene mit Kritikern von außen befassen, die den Pfeilewerfern das Label „Sportler“ am liebsten aberkennen möchten. Dafür ist in erster Linie das Erscheinungsbild zahlreicher Akteure verantwortlich. Denn selbst Weltklassespieler kommen nicht selten arg korpulent daher. Das wiederum weckt Zweifel, ob nicht zu wenig körperliche Ertüchtigung im Spiel ist.
- Darts WM: Ein Hauch von „Ally Pally“ weht nun durch die Quickborner City
- Darts Pinneberg: Wie der Kneipensport in Vereinen immer beliebter wird
- Dart: Die kleinen Pfeile sollen auch beim SC Pinneberg fliegen
Abgesehen davon, dass beispielsweise der Schachsport ähnliche Schmähungen längst erfolgreich abgewehrt und hinter sich gelassen hat, ist die Argumentationslage vielschichtig. Kaum abzustreiten ist, dass Darts zumindest dort, wo es ernsthaft als stundenlanger Wettbewerb betrieben wird, mit einer beachtlichen physischen Beanspruchung einhergeht.
Mentaler Druck und ständiges Kopfrechnen machen ein Darts-Match zur echten Belastung
Zudem müssen die Akteure nicht nur Präzision und Konzentration beweisen, den unablässigen, mentalen Druck aushalten, sondern all diese die Faktoren auch noch miteinander in Einklang bringen.
Und das ist nicht alles, wie der frühere Handballer Carsten Göring (62) betont. Er knüpft daran an, dass beim Darts von 501 an abwärts bis zum Resultat „Null“ gespielt wird: „Dafür benötigt der Spieler eine Strategie, die auf den eigenen Stärken und Schwächen aufbaut. Da sind mathematische Kenntnisse unverzichtbar.“ Soll heißen: Mit dem Attest „Kopfrechnen schwach“ kommt man an der Dartscheibe nicht weit.