Kreis Pinneberg. Sportclubs im Kreis Pinneberg müssen Eltern bei Anmeldungen immer häufiger vertrösten. Welche Sportarten besonders gefragt sind
Eine Szene, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten und auch jetzt immer wieder abspielt: Frank Böhrens, Geschäftsführer des Breitensportvereins Blau-Weiß 96 Schenefeld, oder ein Mitglied des Geschäftsstellenteams müssen im Gespräch mit einem Elternteil bedauernd ablehnen.
Sie können auch dieses Kind nicht in eine der Turngruppen von Blau-Weiß 96 aufnehmen. Dabei würden sie gerne helfen. Aber es gibt für den bewegungshungrigen Spross nur einen Platz auf der Warteliste. Kein Einzelfall im Kreis Pinneberg. Momentan ist es schwer, sein Kind in einemSportverein anzumelden.
Trainerknappheit: Vereine übernehmen die Ausbildungskosten für künftige Übungsleiter
„Es ist leider nicht nur die Turnsparte, für die wir Wartelisten führen müssen“, sagt Böhrens und holt nochmal tief Luft: „Es betrifft auch das Schwimmen, Judo, Eltern-Kind-Turnen oder auch das Jugendtraining im Badminton. Entweder haben wir nicht genug Übungsflächen oder aber Trainermangel.“ Letzteres soll gewiss nicht an Blau-Weiß 96 liegen: „Wenn jemand lizenzierte Trainerin oder Übungsleiter werden will, übernehmen wir als Verein die Qualifikationskosten.“
Blau-Weiß 96 ist bei weitem nicht allein mit diesem Problem, es ist eher die Regel bei den Multispartenvereinen im Kreis Pinneberg. Die Anfänge dieses Zustandes gehen dabei zwar zeitlich betrachtet mit der Corona-Pandemie und den Lockdown-Phasen einher, doch die daraus resultierenden Ursachen sind noch ein wenig vielschichtiger.
Während des Höhepunkts der Corona-Krise sanken die Mitgliederzahlen um 10 bis 20 Prozent
Rückblick: Rund zweieinhalb Jahre ist es her, dass die Mitgliederzahlen der Sportvereine im Kreis Pinneberg im Zuge der ersten Corona-Welle bis zu Beginn des Jahres 2022 in den Keller gerauscht sind. Rückgänge zwischen zehn und 20 Prozent – im Einzelfall sogar noch höher – waren kreisweit die Regel. Insbesondere im Kinder- und Jugendbereich machten sich Abmeldungen beziehungsweise gar nicht erst angemeldete Kinder für Vereine schmerzlich bemerkbar; die Mitgliedsbeiträge fehlten.
Von ein, zwei verlorenen Kinder-Jahrgängen war in dieser Phase im Kreissportverband Pinneberg (KSV) und bei den Vereinsführungen die Rede. Doch das ist nun alles Schnee von gestern, das Problem hat sich im Jahr 2023 auf drastische Weise umgekehrt. Die Vereine können wie beim geschilderten Beispiel mit Blau-Weiß 96 nicht mehr jedes Kind in seine Wunschabteilung aufnehmen; es gibt Wartelisten für den sportwilligen Nachwuchs.
Der KSV Pinneberg hat sich bei den Vereinen umgehört: Wartelisten sind die Regel
„Wir haben in diesem Jahr im Mai und nochmal aktuell eine Umfrage bei einem knappen Dutzend Vereine gestartet. Das Bild, das sich für uns abzeichnet, ist recht einheitlich und anscheinend übertragbar“, sagt Karten Tiedemann, Geschäftsführer des KSV. „Nahezu jeder Multispartenverein hat für mindestens eine Abteilung eine Warteliste für Neuaufnahmen.“ Und die bedrohlichste Erkenntnis daraus: „Die Tendenz von Mai zu jetzt ist steigend“, mahnt Karsten Tiedemann.
Aber nicht allein das gestiegene Interesse oder höhere Geburtenzahlen führen dazu, dass einige Kinder und Jugendliche (vorerst) bildlich gesprochen auf der Straße bleiben müssen. „Wir sind zwar, was die reinen Mitgliederzahlen angeht, aus dem Coronatal wieder heraus, liegen sogar etwas besser als zu Beginn der Epidemie“, sagte zum Beispiel Uwe Hönke, Geschäftsführer und stellvertretender Vorsitzender beim VfL Pinneberg, „aber auch uns fehlen ausreichend geschulte Übungsleiter, um den gesamten Bedarf abzudecken.“
Warteliste: Besonders das Eltern-Kind-Turnen ist mangels Übungsleiterinnen betroffen
Es ist also ein roter Faden, der sich anscheinend durch sämtliche Vereine zieht und für den Blau-Weiß 96 und VfL Pinneberg als Beispiele fürs Ganze stehen. „Unsere Erhebung hat bei nahezu jedem befragten Verein eine oder mehrere Wartelisten ergeben“, fasst Tiedemann zusammen. So sei besonders das bereits erwähnte Eltern-Kind-Turnen betroffen, für das zum Beispiel auch VfL Pinneberg, Rellinger TV, SV Rugenbergen, Halstenbeker TS, SuS Waldenau oder TuS Holstein Quickborn lediglich Wartelistenplätze anbieten können. Andere Turngruppen sind gleichfalls betroffen.
Weitere Sportarten als kleine Auswahl, die je nach Verein nicht vollumfänglich sofort angeboten werden können, sind zum Beispiel Schwimmen und Aquasport (VfL Pinneberg, SuS Waldenau, TSV Ellerbek, FTSV Fortuna, Blau-Weiß 96), Judo für Kinder (Rellinger TV, Blau-Weiß 96), Bambini-Handball (Barmstedter MTV), Bambini-Fußball (Elmshorner MTV) oder Ball- und Bewegungsschulen für die Jüngsten, wie sie zum Beispiel von TuS Holstein und EMTV angeboten werden.
Die Mitgliederzahlen steigen wieder, doch das Interesse am Ehrenamt sinkt
Aber wie ist die Knappheit an Übungsleitern begründet? Denn diese bis Corona verfügbaren und qualifizierten Trainer sind ja nicht mit einem Mal nun alle verschwunden. Klar, das Corona-Tal bei den Mitgliederzahlen ist überwunden; die beiden größten Vereine VfL Pinneberg und Elmshorner MTV, aber auch Blau-Weiß 96 wissen schon jetzt vor der offiziellen Jahresend-Erhebung: „Wir sind bei unseren Mitgliederzahlen wieder auf Vor-Corona-Niveau“, sagt Frank Böhrens und weiß, dass seine Kollegen ähnliche Zahlen vorliegen haben.
Diese Aussage trifft zu Böhrens‘ Bedauern aber nicht auf den Trainer- und Übungsleiterstand zu. „Hier wäre es sehr wichtig, dass wir wieder Menschen dazu motivieren können, sich als ehrenamtliche Trainer zu engagieren; denn dieses Engagement hat durch die Gesellschaft hindurch in den letzten Jahren stark abgenommen“, sagt Frank Böhrens und spricht damit seinem Vereinskollegen aus dem Kreis aus der Seele. „Es hat sich gesellschaftlich zu viel geändert.“
Ein gesellschaftlicher Wandel verschärft die Probleme bei der Suche nach Anleitern
Als Beispiel führt der Blau-Weiß-Geschäftsführer das schon erwähnte Eltern-Kind-Turnen auf. „Hier waren bislang viele Frauen aktiv gewesen, die sozusagen über das eigenen Eltern-Kind-Turnen in den Hallen hängen geblieben sind und das selbst anleiten wollten“, führt Böhrens die Entwicklung in diese Sparte auf.
„Diese Frauen sind nun älter geworden, wollen aufhören, aber da kommt keine junge Generation nach. Die Frauen von heute fangen, nachdem sie Kinder bekommen haben, wieder mit Arbeiten an. Ein Prinzip, das sich so auf die meisten Sportarten und die dortige Trainerproblematik übertragen lässt.“
Aber da wäre ja noch das liebe Geld. Und hier bedeutet eine eigentlich begrüßenswerte Neuerung des vergangenen Jahrzehnts für die Sportvereine eine enorme Erschwernis: Der Mindestlohn. „Es gibt einen Übungsleiterfreibetrag für Sportvereine von 3600 Euro im Jahr; in der Größenordnung kann ein Verein einen Übungsleiter abgabenfrei beschäftigen“, erläutert KSV-Geschäftsführer Karsten Tiedemann.
Steigende Mindestlöhne senken die mögliche Stundenzahl pro Anleiterin
Aber dann geht’s los. Tiedemann: „Bis zu diesem Level ist es Ehrenamt. Wenn du als Verein aber die 3600-Euro-Marke überschreitest und mit Mindestlohn arbeitest, sollst du für die geringfügige Beschäftigung eine Grenze von 520 Euro im Monat nicht überschreiten. Die Konsequenz ist also: Diese Übungsleiter können nun bei gestiegenem Mindestlohn weniger Stunden im Monat absolvieren, wenn vom Gesetzgeber nicht auch diese 520-Euro-Grenze angehoben wird.“
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Ein nicht unerhebliches Problem für die Vereine bei der Suche nach neuen Übungsleitern. Aber andere Gründe scheinen doch schwerer zu wiegen. „Gerade bei Erwachsenen heißt es gern mal, dass sie Corona doch auf dem Sofa überlebt hätten. Die sind sehr schwer zu motivieren, den Sport wieder aufzunehmen. Die kommen nicht wieder“, sagt Karin Leutner, sporttechnische Leiterin im TuS Holstein Quickborn. Wartelisten für Ballett, Kinderturnen oder Ballschule seien indes eher durch fehlende Hallenkapazitäten bedingt.
Gestiegene Bedürfnisse treiben die Menschen in den Beruf statt ins Ehrenamt
Und eben der gesellschaftliche Wandel, den Frank Böhrens als Ursache für fehlende Bewerbungen für Positionen als Übungsleiter und Übungsleiterinnen ausgemacht hat. „Diejenigen, die sich heute noch im Verein engagieren, sind in einem Umfeld groß geworden, in dem sich ihre Familienmitglieder gleichfalls noch engagiert haben“, sagt der Blau-Weiß-Geschäftsführer. „Heute arbeiten die Leute voll- oder halbtags. Früher hatten Familien ein Auto, sind einmal in Urlaub gefahren; heute sollen ein zweites Auto und ein zweiter Urlaub her. Da bleibt wenig Raum fürs Ehrenamt.“
Ausgewählte Vereine mit Wartelisten
Stichproben-Umfrage des KSV Pinneberg bei Multispartenvereinen, ob und welche Wartelisten Anfang Dezember 2023 geführt werden bzw. welche Veränderungen es seit Mai 2023 gibt (Stand KW 49, kein Anspruch auf Vollständigkeit):
VfL Pinneberg: Schwimmen, Wassergymnastik, Aquajogging, Kindergeräteturnen, Eltern-Kind-Turnen (nur noch ganz wenige Plätze), Kleinkinderturnen (nur noch ganz wenige Plätze).
TuS Esingen: Gruppen „platzen“ zwar, aber es werden trotzdem (noch) keine Kinder abgewiesen.
Rellinger TV: Eltern-Kind-Turnen, Kinderturnen, Kindertanzen, Judo für Kinder.
Wedeler TSV: weiterhin Kinderturnen; es werden jetzt zusätzlich Wartelisten beim Klettern, Schwimmen (SG Elbe) und für die Leichtathletik geführt.
FTSV Fortuna Elmshorn: Schwimmen, Kinderturnen.
TSV Ellerbek: Schwimmen, Mädchenturnen (ab 6 Jahren), Leistungsturnen, zusätzlich jetzt auch bei Wassergewöhnung und beim Kinderturnen.
TuS Appen: Psychomotorik. Da der Übungsleiter wegbricht und bis heute kein Ersatz gefunden wurde, wird Psychomotorik ab Januar 2024 wohl ganz gestrichen.
SV Rugenbergen: Rhönrad (ab 6 Jahren), Eltern-Kind-Turnen, zusätzlich Warteliste beim Geräteturnen.
Halstenbeker Turnerschaft: Eltern-Kind-Turnen, Geräteturnen, Olympisches Turnen / Leistungsturnen, Leichtathletik.
SuS Waldenau: Schwimmen.
Barmstedter MTV: Geräteturnen für Kids (6-10 Jahre), Bambino Handball (3,5 – 5 Jahre) kurz vor Warteliste, da es max. 30 Kinder sein dürfen Auch hier werden dringend Übungsleiter gesucht.
Blau-Weiß 96 Schenefeld: Turnen, Eltern-Kind-Turnen, Schwimmen, Judo, Badminton (Jugend).
TuS Holstein Quickborn: Kinderturnen, Eltern-Kind-Turnen, Ballett, Ballschule.
Elmshorner MTV: Bambino-Fußball, Kindersportschule, Schwimmen, Cheerleading.