Norderstedt. Asylbewerber sollen die Karte statt Bargeld erhalten. An der Einführung gibt es Kritik aus Kiel und auch aus Norderstedt.
In diesen Tagen bekommen Bewohner der Erstaufnahme-Einrichtungen in Boostedt und Bad Segeberg sie ausgehändigt: die neue Bezahlkarte für Geflüchtete. Sie ersetzt künftig die Auszahlung von Bargeld an diese Personengruppe. Geflüchtete, die in Norderstedt und anderen Kommunen des Kreises Segeberg leben, sollen die Karte im ersten Quartal 2025 bekommen. Sie schränkt den Umgang mit Geld stark ein, unter anderem ist es nicht möglich, Beträge ins Ausland zu überweisen. Daran gibt es massive Kritik.
Dass die Bezahlkarte in ganz Deutschland eingeführt werden soll, hatten die Länderchefs und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf einer gemeinsamen Sitzung im November 2023 beschlossen. Die entsprechende Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes trat am 16. Mai 2024 in Kraft. Einige Bundesländer haben die Karte bereits eingeführt, darunter Bayern und auch Hamburg im Februar 2024 als Modellversuch unter dem Namen „SocialCard“. Nun zieht Schleswig-Holstein nach.
Schikane? Der Norden führt die Bezahlkarte für Geflüchtete ein
Der wesentliche Sinn der Karte: Sie soll Anreize für Menschen zu reduzieren, nach Deutschland zu kommen. So heißt es auf einer offiziellen Webseite der Bundesregierung: „Der Vorteil von Bezahlkarten ist, dass die dort zur Verfügung gestellte Summe nur im Inland ausgegeben werden kann. Dafür also, wozu die Leistungen gedacht sind: für das Leben der Geflüchteten hier. Gelder für Schlepper oder Überweisungen in das Herkunftsland zu nutzen, ist so nicht möglich.“
In Schleswig-Holstein werde die Karte „an derzeit rund 16.000 Leistungsberechtigte mit Aufenthalt in den Kreisen und kreisfreien Städten sowie an rund 5000 Menschen in den Erstaufnahmeeinrichtungen“ ausgegeben, heißt es in einer Mitteilung des Kieler Sozialministeriums unter Führung von Aminata Touré (Grüne). Auf die Karte werden künftig die Beträge geladen, die einem Asylbewerber laut Gesetz zustehen – bei einer alleinstehenden, erwachsenen Person sind das 460 Euro monatlich. Menschen, die in einer Partnerschaft leben, bekommen weniger.
50 Euro können die Besitzer monatlich mit der Karte als Bargeld abheben
50 Euro des Guthabens können die Besitzer monatlich mit den Karten abheben, an ganz normalen Bankautomaten. Alle anderen Bezahlvorgänge müssen mit der Karte selbst getätigt werden, wobei bestimmte technische Sperren verhindern, dass Geld ins Ausland überwiesen wird oder dass Online-Käufe außerhalb der EU getätigt werden. Laut Sozialministerium habe die Karte ein „neutrales, diskriminierungsfreies Design“.
Die Kritik von Geflüchteten-Initiativen ist dennoch massiv. Martin Link, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein, spricht von „Gängelung per Bargeldentzug“, die Einführung der Karte sei eine „systematische Prekarisierung von nicht selten traumatisierten Schutzsuchenden.“ Und sie sei sehr wohl diskriminierend, ganz anders als vom Sozialministerium dargestellt. Sie stelle die Geflüchteten „an den Pranger“, wenn sie in den Geschäften mit ihr zahlen müssen.
Flüchtlingsrat: Wie sollen Geflüchtete auf Märkten oder in kleinen Läden einkaufen?
Martin Link sieht auch ganz praktische Probleme, wie er im Gespräch mit dem Abendblatt ausführt. „Geflüchtete haben einen größeren Bargeldverfügungsbedarf als andere, weil sie oft auf Einkäufe auf Flohmärkten oder in kleinen Second-Hand-Läden angewiesen sind. Dort kann man normalerweise nicht mit Karten zahlen.“ Bargeld fehle dann auch „für ein Eis in der Stadt oder die Nutzung einer öffentlichen Toilette“, oder dann, wenn Geld für Schulveranstaltungen „in Umschlägen eingesammelt“ werde.
Ilka Bandelow: „Immer schwierig, wenn nur begrenzt Zugriff auf Geld“
Ähnlich sieht es Ilka Bandelow, Vorsitzende des Vereins „Willkommen-Team Norderstedt“, das sich um Flüchtlinge nach ihrer Ankunft kümmert. „Ich bin von der Einführung dieser Karte nicht begeistert“, sagt sie. Es sei „immer schwierig, wenn man nur begrenzt Zugriff auf sein Geld hat.“ Zwar sagt auch sie: „Es ist grenzwertig, wenn zu viel Geld ins Ausland fließt.“ Aber die Einführung der Bezahlkarte sieht sie als Symbolpolitik, mit der die Politik zeigen wolle: „Wir machen was, um Menschen abzuhalten, nach Deutschland zu kommen.“ Bandelow glaubt, dass es Wege geben wird, die technischen Restriktionen der Karte zu umgehen.
Martin Link hält den Ansatz, mit der Karte Geldtransfers ins Ausland zu unterbinden, sogar für komplett kontraproduktiv. Erst einmal sei es „kompletter Tinnef“, dass viele Geflüchtete Geld in die Heimat schicken, sagt er und bezieht sich auf eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW). Demnach transferieren – laut Daten aus dem Jahr 2021 – nur rund 7 Prozent der Geflüchteten in Deutschland Geld ins Ausland.
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Es nun aber komplett zu verhindern, sorge de facto sogar dafür, dass sich mehr Menschen auf den Weg nach Deutschland machen, so Link. „Wenn Angehörige, die zu Hause dringend Unterstützung brauchen, diese nicht mehr bekommen, werden sie sich selbst in die Boote begeben.“ Das System der Bezahlkarte sei eine „mittelbare Förderung der illegalen Einreise“ und „nicht zu Ende gedacht“.
Bei Problemen mit der Karte soll Hotline helfen – in vielen Sprachen
Für manche Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Karte wird indes offenbar vorgesorgt. Für den Fall, dass es an der Supermarktkasse technische Probleme gibt, soll es schnelle Abhilfe geben. So teilt Sabrina Müller, Sprecherin des Kreises Segeberg, auf Anfrage mit: „Der Anbieter der Bezahlkarte ist vertraglich verpflichtet, einen mehrsprachigen 24/7-Support für die Nutzer*innen, mehrsprachige Kund*inneninformationen bzw. Kartennutzungsinformationen und eine Kund*innenbetreuung in den Sprachen der Hauptherkunftsländer Asylsuchender (Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Dari, Farsi, Paschtu, Türkisch, Kurdisch-Kurmanji, Kurdisch-Sorani, Albanisch, Somali, Mazedonisch) zur Verfügung zu stellen.“