Nahe. Christina Thurm leitet das Familienunternehmen in dritter Generation. Was den Laden so besonders macht und warum er jeder Krise trotzt.
- Die Familie Braasch hat 1932 ein Kaufhaus an der Segeberger Straße in Nahe gegründet.
- Heute leitet Christina Thurm das Familienunternehmen in dritter Generation.
- Sie verkauft seit 25 Jahren nur noch Mode in ihrem Laden.
Wer durch Deutschlands Einkaufszentren bummelt, sieht kaum noch inhabergeführte, individuelle Geschäfte. Die meisten wurden von großen Ketten vertrieben, die sich die teils horrenden Mieten noch leisten können. Egal, durch welche Innenstadt man läuft: Das Bild ist oft gleich, in Hamburg gibt es die gleiche Massenware wie in München. Wer manchmal das Persönliche vermisst, wird sich bei Christina Thurm wohlfühlen: Sie führt in dritter Generation das Geschäft „Mode in Nahe“ an der Segeberger Straße.
Zwar liegt moderne Kleidung in den Regalen, wie Schals mit Leopardenmuster oder bunte Beanie-Mützen, trotzdem scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein. Als könnte die allgemeine Entwicklung zum anonymen Online-Shopping dem Modegeschäft in der 2600-Einwohner-Gemeinde nichts anhaben. Thurm und ihre Mitarbeiterinnen vermitteln einem das Gefühl, als würde man sich schon ewig kennen. An der Wand neben der Kasse hängen Fotos von dem Backsteingebäude, wie es 1932 bei der Gründung der Firma aussah.
Mode in Nahe: Familienunternehmen wurde 1932 von Waldemar Braasch gegründet
Ihr Großvater Waldemar Braasch hat das Familienunternehmen aufgebaut, damals wurde es noch als Kaufhaus mit Gemischtwaren betrieben. Als der Zweite Weltkrieg 1939 ausbrach, musste der Laden schließen. Die Schaufenster waren zugeklebt, die Regale leer geräumt. Erst mit Kriegsende 1945 konnte das Geschäft wieder aufgenommen werden.
Einige Zeit später, im Jahr 1958, stieg Peter Braasch, der Vater von Christina Thurm, als Teilhaber in die Firma ein und führte sie bis 1971 gemeinsam mit seiner Mutter Elly. Dann kam Ehefrau Sigrid dazu. „Ich bin in dem Haus hier aufgewachsen, mein Vater ist hier sogar geboren“, erzählt Christina Thurm. Schon als junges Mädchen ist sie jeden Tag durch das Geschäft geturnt. Ihr war schon früh klar, dass sie auch den Beruf als Einzelhandelskauffrau erlernen möchte – dass sie den Familienbetrieb übernimmt, hat sich aber erst 1999 ergeben.
Bei Christina Thurm gibt es nur noch Kleidung
„Ich hatte kein Faible für Gardinen und Kurzwaren wie meine Eltern“, sagt die 51-Jährige. Sie baute und gestaltete den Laden komplett um, von nun an gab es hier ausschließlich Kleidung, Taschen und Schmuck zu kaufen. Ihre Eltern wohnen noch immer in demselben Gebäude. Thurm schiebt eine Tür im Büro auf. Dahinter verbirgt sich die Küche der Familie. Mit wenigen Schritten steht sie mitten im Flur ihres Elternhauses. Eine Treppe führt hoch zu den privaten Schlafräumen, wo sich Mutter Sigrid gerade aufhält. „Sie kocht jeden Tag frisch für uns“, erzählt Christina Thurm. Heute Mittag gab es Gulasch mit Nudeln. „So lange ich noch kann, mache ich das gerne“, sagt Sigrid Braasch. Die 83-Jährige hat bereits den Essensplan bis Mitte Dezember aufgestellt.
Wenig später taucht Peter Braasch im Laden seiner Tochter auf. Er ist gerade von einem Geburtstag zurückgekommen. „Meine Eltern sind jeden Tag hier“, sagt Christina Thurm. Schließlich sind sie nur eine Schiebetür entfernt. Einmischen wollen sie sich aber nicht. Ihre Tochter leitet das Modegeschäft seit 25 Jahren erfolgreich. Ihre Mitarbeiterinnen begleiten sie zum Teil fast genauso lang. „Um das zu schaffen, brauchst du Menschen um dich herum, die mitziehen. Das Geschäft lebt davon, dass wir alle Bock aufeinander haben und versuchen, verbindlich für unsere Kundinnen zu sein“, sagt Thurm.
„Wir haben uns eine tolle Kundschaft erarbeitet“
Wenn sie neue Ware im Modezentrum in Schnelsen einkauft, hat sie im Hinterkopf, was ihre Stammkundinnen gerne tragen. Wenn sie weiß, eine Kundin ist auf der Suche nach einem bestimmten Schal, hält sie die Augen nach einem solchen offen. So hat das Klamottengeschäft auch schwierige Zeiten überlebt, wie etwa die Corona-Pandemie. Während der Laden geschlossen bleiben musste, erstmals nach der Kriegszeit, packte sie Kartons mit ausgewählten Kleidungsstücken für ihre Stammkundschaft. Zu Hause probierten die Frauen die Sachen an, behielten sie oder gaben sie fein säuberlich zusammengelegt an Christina Thurm zurück.
„Wir haben uns eine tolle Kundschaft erarbeitet. Ich bin so dankbar, dass es funktioniert. Es steckt so viel Herzblut hier drin“, sagt die Mutter zweier Kinder. Sie liebt ihren Job. Sie mag das Persönliche. Und das Gefühl, Menschen helfen zu können. „Das Wichtigste ist, dass man sich in seiner Kleidung wohlfühlt. Wir helfen Frauen, sich zu verändern, sich gut zu fühlen.“ Das ist ihr Antrieb. Schon seit so vielen Jahren.
„Mode in Nahe“ bietet exklusive Veranstaltungen an
Thurm führt den Laden nicht nur in dritter Generation, sie verkauft auch Kleidung für drei Altersklassen, wie sie sagt. „Bei uns findet die Oma was Legeres und die Enkeltochter das Ripp-Top.“ Der Inhaberin ist es wichtig, stets mit der Zeit zu gehen. Deswegen ist „Mode in Nahe“ nicht nur bei Instagram sehr aktiv, sondern bietet auch besondere Veranstaltungen bei sich an.
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Wie zum Beispiel die „Freundinnen-Abende“. Nach Ladenschluss ab 18 Uhr können Freundinnen, Kolleginnen oder Familien das Geschäft exklusiv für sich buchen, ganz in Ruhe alle Klamotten anprobieren und sich gegenseitig vorführen. Dazu wird Prosecco serviert. Das Angebot gilt ab fünf Personen nach vorheriger Terminabsprache (Nachricht bei WhatsApp an 0160/600 43 77). Auch nimmt das Team von Christina Thurm Kleidung für die Reinigung an und bringt kaputte Schuhe zum Schuster.
Was ihr Geheimrezept nach all den Jahren ist? Thurm überlegt. „Dranbleiben“, sagt sie, „und auf die Kunden eingehen.“ Denn die mögen es persönlich und individuell. In dem kleinen Geschäft auf dem Dorf bekommen sie das, was sie in großen Einkaufszentren oft vermissen.