Norderstedt. Stadt will Gebäude für bis zu 300 Personen anmieten. Doch das durchkreuzt Vorhaben der Firma Magnus und der Norderstedter Werkstätten.

Das Vorhaben war bislang öffentlich nicht bekannt, und es sorgt mittlerweile für einiges an Unmut in Norderstedt: Die Stadt will im Gewerbegebiet Nettelkrögen, und zwar in der Straße Bornbarch, ein leerstehendes Geschäftsgebäude anmieten, um dort Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Es geht um bis zu 300 Personen, die hier leben könnten. Doch das Vorhaben gefährdet ausgerechnet die Standortsuche einer renommierten sozialen Einrichtung, nämlich der Norderstedter Werkstätten, und zugleich die Expansionspläne eines der bekanntesten hiesigen Unternehmen – dem Getränkehersteller Magnus Mineralbrunnen.

Diese beiden Akteure sind unmittelbare Nachbarn an der Stormarnstraße, und haben ähnliche Platzprobleme. Mathias Schneeloch ist Einrichtungsleiter der Werkstätten, die zur Norddeutschen Gesellschaft für Diakonie gehören und seit Jahrzehnten ein wichtiger Träger sind für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben und an der Gesellschaft. „Wir befinden uns seit 1978 an der Stormarnstraße. Die Gebäudesubstanz ist weitestgehend alt, die Barrierefreiheit ist ein großes Thema. Das Hauptgebäude ist nicht mehr sanierbar. Auf dem Gelände könnte ein Neubau eigentlich nicht umgesetzt werden. Die Thematik ist auch der Stadt seit Jahren bekannt.“

Flüchtlinge: Pläne der Stadt durchkreuzen Vorhaben von Magnus und Norderstedter Werkstätten

Nebenan führt Gaby Gaßmann, Geschäftsführerin von Magnus, eine erfolgreiche Firma mit mittlerweile 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „Ich bin schon seit Jahren im Gespräch mit den Norderstedter Werkstätten, weil das unsere einzige Erweiterungsmöglichkeit ist.“ Denn: Man brauche sowohl mehr Produktions- als auch mehr Logistikkapazitäten. „Der Handlungsdruck ist da.“

Gaby Gaßmann, Geschäftsführerin von Magnus Mineralbrunnen: Das Unternehmen will seinen Standort an der Stormarnstraße erweitern, benötigt dafür die Fläche der Norderstedter Werkstätten.
Gaby Gaßmann, Geschäftsführerin von Magnus Mineralbrunnen: Das Unternehmen will seinen Standort an der Stormarnstraße erweitern, benötigt dafür die Fläche der Norderstedter Werkstätten. © Andreas Burgmayer | Andreas Burgmayer

Und zwar vor Ort. „Wir sind aufgrund der Quelle an unseren Standort gebunden. Im Norden und Süden verlaufen Straßen, rechts von uns befinden sich die Werkstätten, links gibt es keine Möglichkeit, da die Gewerbebetriebe nicht zu verkaufen sind.“ Norderstedt zu verlassen, ist für Magnus keine Option. Zumal eine Verlagerung von Lagerhallen die Logistik teurer werden lassen würde. „Wir sind mit Norderstedt verwurzelt, sind hier zu Hause, stehen für die Region ein und würden die Stadt ungern verlassen, können es auch gar nicht aufgrund der Quellennutzung.“

Getränkeproduzent will Standort an der Stormarnstraße erweitern, die Werkstätten umziehen

In den letzten Monaten schien sich eine gute Lösung abzuzeichnen. Denn die Werkstätten verhandeln laut Schneeloch seit dem ersten Quartal dieses Jahres mit dem Eigentümer der besagten knapp 8000 Quadratmeter großen Gewerbeimmobilie im Bornbarch. Es geht um einen Kauf. Dort könnten die Werkstätten mit vergleichsweise geringem baulichen Aufwand einen neuen Standort schaffen, der den Bedürfnissen, unter anderem für die Betreuung von Schwerst- und Mehrfachbehinderten, auch für die Zukunft gerecht würde.

Mathias Schneeloch, Einrichtungsleiter der Norderstedter Werkstätten: Seit Monaten laufen Verhandlungen über einen Kauf der Bornbarch-Immobilie.
Mathias Schneeloch, Einrichtungsleiter der Norderstedter Werkstätten: Seit Monaten laufen Verhandlungen über einen Kauf der Bornbarch-Immobilie. © Annabell Behrmann | Annabell Behrmann

Zudem wäre es möglich, bislang über das Stadtgebiet aufgeteilte Bereiche zusammenzuführen. Ein Teil könnte weiter vermietet werden, das würde Synergien schaffen. Auch der Kreis Segeberg würde diese Option unterstützen. Und, sollten die Werkstätten umziehen, stünde Magnus bereit, um das freigewordene Grundstück zu kaufen. Man sei sich längst handelseinig, heißt es.

Stadt bestätigt: Schon seit September 2023 laufen Gespräche mit Bornbarch-Eigentümer

Dass ausgerechnet die Stadt ebenso ein Interesse an dem Bornbarch-Objekt hat, wussten über Monate weder die Werkstätten noch Magnus. Und offenbar scheint die Verwaltung favorisiert zu sein, nach Abendblatt-Informationen geht es um einen Mietvertrag, der mehr als zehn Jahre laufen würde.

Auf Abendblatt-Nachfrage bestätigt Rathaus-Sprecher Bernd-Olaf Struppek: „Seit September 2023 ist die Stadt Norderstedt hierzu in Gesprächen mit dem Eigentümer/Makler.“ Über die Pläne der Norderstedter Werkstätten sei man nicht informiert worden. „Die Werkstätten haben Mitte August 2024 das Gespräch gesucht und über die konkreten Planungsschritte berichtet. Die Letztentscheidung über die Verwendung obliegt dem Eigentümer, hier hat die Stadt Norderstedt keine Sonderrechte geltend gemacht.“

Gewerbeobjekt könnte vergleichsweise schnell ein Wohnheim werden

Dass Norderstedt dringend, und so schnell wie möglich, mehr Kapazitäten für Flüchtlinge benötigt, sorgt dafür, dass das Gebäude hohe Priorität hat. „Aufgrund weiterer Zuweisungen und einer noch nie da gewesenen hohen Anzahl an schutzsuchenden Menschen heute vor Ort besteht dringender Bedarf nach zusätzlichen Unterbringungsmöglichkeiten. Zudem werden nicht alle bisher genutzten Räume dauerhaft zur Verfügung stehen“, so Struppek.

„Dabei werden neue Unterkünfte – zum Beispiel am Henstedter Weg – gebaut, Umbauten und Anmietungen vorgenommen und Gewerbeimmobilien umgebaut.“ Dazu gehöre auch das Gebäude am Bornbarch, diese könnte der Eigentümer „kurzfristig umbauen“ und „damit Raum für bis zu 300 Menschen“ schaffen. „Die Menge an Unterbringungsplätzen und die Geschwindigkeit könnte aktuell an keinem anderen Standort realisiert werden.“

Norderstedt: In einer leerstehenden, über 8000 Quadratmeter großen Gewerbeimmobilie in der Straße Bornbach sollen bis zu 300 Flüchtlinge untergebracht werden. Allerdings sorgen die Pläne für Unruhe, denn auch die Norderstedter Werkstätten haben an dem Gebäude großes Interesse.
Mit vergleichsweise wenig Aufwand soll es möglich sein, das Gewerbeobjekt so umzubauen, dass hier Hunderte Menschen leben könnten oder die Werkstätten einen neuen Standort bekommen. © Christopher Mey | Christopher Mey

Ohne politische Zustimmung wird das jedoch nicht möglich sein. Und genau hierum wird vor der Sitzung des Sozialausschusses am Donnerstag, 19. September (18.30 Uhr, Rathaus), gerungen. Denn Gaby Gaßmann hat sich mit einem Schreiben an die Fraktionen und an die Stadt sowie die städtische Entwicklungsgesellschaft gewandt. Hierin plädiert sie, auch im Namen der Werkstätten, dafür, es zu überdenken, ob am Bornbarch ein Wohnheim für Geflüchtete entstehen sollte. Vielmehr, so hofft sie, sollten die Bedürfnisse der anderen Beteiligten berücksichtigt werden.

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Norderstedt: „Es geht nicht darum, Bedarfsgruppen gegeneinander auszuspielen“

Mathias Schneeloch betont in diesem Zusammenhang: „Wir sind eine soziale Einrichtung. Es geht nicht darum, Bedarfsgruppen gegeneinander auszuspielen, sondern darum, Lösungen zu finden.“ Und aus Sicht der Norderstedter Werkstätten und von Magnus wäre die beste Lösung jene, die nun gefährdet ist.

Nicht ausgeschlossen ist, dass es in den nächsten Tagen Gespräche geben wird. Auch generell sichert die Stadt Unterstützung zu. „Sofern der Eigentümer sich für die Stadt Norderstedt entscheidet, wird diese selbstverständlich gemeinsam mit der EGNO sowohl die Werkstätten in Standortfragen beraten als auch die Firma Magnus, hier insbesondere bei der auf Seiten von Magnus noch offenen Bauplanung am bestehenden Standort den Prozess stärken“, so Struppek. „Dazu hat es allerdings in den vergangenen Jahren keine konkreteren Schritte mehr gegeben.“