Norderstedt. Kurz vor der Schließung am 30. August demonstrierten Beschäftigte am Dienstag mit Kollegen von Stollwerck für mehr Lohn.
Im Morgengrauen haben sie sich vor dem Werktor versammelt. Der Warnstreik bei Barry Callebaut und Stollwerck, den beiden Schokoladenproduzenten in Norderstedt, die sich wie ein Großteil der Süßwarenbranche derzeit im Tarifkampf befindet, sorgt für kämpferische Stimmung bei den Belegschaften, die dem Aufruf der Gewerkschaft NGG (Nahrung-Genuss-Gaststätten) folgen und später gemeinsam zur Demonstration und Kundgebung nach Hamburg fahren. Und doch sind es gemischte Gefühle. Denn hier im Gewerbegebiet Oststraße, in der Straße Am Stammgleis, wird in wenigen Tagen ein Stück Industriegeschichte enden. Am Freitag, 30. August, schließt der Standort von Barry Callebaut endgültig.
Die Entscheidung hierüber hatte der Mutterkonzern mit Hauptsitz in Zürich im Februar getroffen. Seitdem hörte man so gut wie nichts mehr. Intern wurden ein Sozialplan und ein Interessenausgleich verhandelt. „Es ist nicht das Gelbe vom Ei für die Alteingesessenen, aber mehr war nicht möglich, hat uns die Geschäftsführung signalisiert“, sagt Betriebsrat Frank Neumann. Das Gremium stimmte letztlich zu, man verzichtete auf den Gang vor ein Arbeitsgericht. „Mit einem weinenden Auge. Ich hätte mir mehr Wertschätzung für die Älteren gewünscht.“
Barry Callebaut in Norderstedt: Das traurige Ende der Schoko-Produktion
Der Frust ist groß. Immer wieder wurde den Beschäftigten gesagt, dass sie einen guten Job machen würden. Und Norderstedt soll auch nicht defizitär sein. Doch strategisch will Barry Callebaut eben in anderen Ländern investieren, etwa in Belgien. Neumann: „Es wurden jedes Mal andere Gründe genannt, warum der Standort geschlossen wird. Einmal waren wir zu klein, dann waren die Transportkosten zu hoch, das war alles nur vorgeschoben.“ Die Hoffnung, dass der Betrieb übernommen werden könnte, etwa von Stollwerck, war vergebens. „Barry Callebaut will sich keine eigene Konkurrenz züchten. Das war für uns noch einmal ein Schlag ins Gesicht.“
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43 Personen sind derzeit noch hier tätig. Ab September trennen sich die Wege. Manche fangen nebenan bei Stollwerck an, es gibt welche, die nach Kaltenkirchen zum Bonbon-Hersteller Cavendish & Harvey gehen, andere wissen es noch nicht, werden also erst einmal weiterbezahlt – und eventuell dabei mithelfen, die Maschinen abzubauen. „Wir sollen unser eigenes Grab schaufeln“, sagt Neumann mit bitterer Ironie. „Der Großteil soll verschrottet werden.“
Viele in der Stadt kennen das Werk noch als „Van Houten“
Der gelernte Bäcker ist seit 33 Jahren im Unternehmen. „Es ist ein kompletter Neuanfang, und das ist vielleicht dem einen oder anderen noch nicht so bewusst. Wir müssen uns alle umorientieren. Ich bin jetzt 57, muss mir jetzt etwas Neues suchen, wahrscheinlich in einer ganz anderen Branche.“
Es ist eine bewegte Geschichte, die nun ein trauriges Ende nimmt. Viele in der Stadt kennen den Betrieb als „Van Houten“, hier konnte man sich einst mit Schokolade im Werksverkauf eindecken. Diese Marke ist eine Marke von Barry Callebaut, das wiederum 2002 Stollwerck übernahm, 2011 dann wieder verkaufte, und zwar an die belgische Baronie-Gruppe. Die verlegte schließlich 2016 die Zentrale von Köln nach Norderstedt. Und so kam es, dass sich beide Unternehmen das Grundstück teilen.
Bei Stollwerck sind in Norderstedt 272 Beschäftigte tätig
Nun verbleibt Stollwerck, wo aktuell 272 Beschäftigte tätig sind, dazu kommen Saisonkräfte und Leiharbeiter. Marken wie Alpia, Sarotti und Eszet sind jedem ein Begriff. Benjamin Wiese ist Betriebsrat und zudem Mitglied der Tarifkommission. „Ich arbeite seit 23 Jahren bei Stollwerck. Früher waren wir zusammen mit Barry Callebaut ein Betrieb, haben zusammen gearbeitet und gefeiert. Es ist komisch, zu wissen, die Leute sind jetzt das letzte Mal dabei. Aber Stollwerck profitiert auch ein bisschen davon, da wir einige übernehmen.“
Und deswegen beteiligen sich auch die Callebaut-Kollegen am Warnstreik, wie Frank Neumann erklärt. „Wir wissen, dass der Standort geschlossen wird. Aber der eine oder andere will ja auch in der Süßwarenbranche bleiben. Daher sind wir darauf bedacht, dass unsere Löhne weiterhin steigen. Deswegen sind wir heute hier draußen. Wir sind mit dem Gehalt, das wir jetzt bekommen, definitiv unzufrieden.“
Angebot der Arbeitgeberseite ist „eine Frechheit“
Denn: „Die Süßwaren machen nach wie vor sehr gute Umsätze. Es ist nicht so, dass es der Branche besonders schlecht geht. Ja, die Energiekosten sind höher geworden, aber die müssen wir ja als Arbeitnehmer auch zahlen.“ Ein Hauptargument ist zudem der Kakaopreis. Aber da sehen die Streikenden einen Widerspruch, denn durch kleinere Packungen oder auch höhere Preise für die Verbraucher sei das bereits „eingepreist“, heißt es.
Wiese nennt das Arbeitgeber-Angebot „eine Frechheit“. Eine Laufzeit von 28 statt zwölf Monaten, ein Gehaltsplus von 3,1 sowie 2,6 Prozent für 2024 und 2025, das lehnt die Gewerkschaft strikt ab. „Sie sagen, die Zeiten sind schlecht, fordern von uns aber, das auf unsere Schultern zu nehmen. Es hat sich die letzten Monate einiges angestaut.“
Schokoladenproduktion bei Barry Callebaut in Norderstedt: „Man ist hier gerne zur Arbeit gegangen“
Schon im letzten Jahr habe es erstmals seit 1996 einen Warnstreik in Norderstedt gegeben. „Dazwischen liefen die Jahre eigentlich recht gut für uns.“ Doch die Inflation hat vieles verändert.
Am 28. August werden die Tarifverhandlungen für Hamburg und Schleswig-Holstein fortgeführt. Zwei Tage später ist Schluss bei Barry Callebaut. „Dennoch ist die Mentalität so, dass wir zur Arbeit kommen und 100 Prozent Leistung bringen. Bis zum Schluss. Durch den Warnstreik werden wir wahrscheinlich bis Donnerstag voll produzieren“, sagt Edgar Gevorgjan, auch er ist Betriebsrat. Dann soll es ein Abschlussfest geben, wahrscheinlich voller Wehmut. Frank Neumann: „Man ist hier gerne zur Arbeit gegangen, konnte sich auf seine Kollegen verlassen.“