Negernbötel. Die Gespannfahrerin aus Negernbötel hat in einer Männerdomäne die Zügel in die Hand genommen. Warum sie so erfolgreich ist.
Mareike Harm (37) aus Negernbötel hat sich eine Männerdomäne erobert, gehört in der Vierspänner-Szene zur Weltklasse. Gerade erst belegte sie bei der Royal Windsor Horse Show im englischen Windsor den zweiten Platz im Nationenpreis und Rang drei in der Einzelwertung. Im französischen Saumur gewann sie den Nationenpreis. Das Hamburger Abendblatt hat ihr auf Hof Rützenhagen, wo ihre Karriere vor mehr als 20 Jahren begann, einen Besuch abgestattet.
Luxus Boy steht auf dem Hof und flirtet mit der Kamera. Rücken gerade. Kopf hoch. Ohren vorne. Das braune Fell glänzt im Licht der Abendsonne. Die Augen des 17-jährigen Westfalen-Wallachs sind groß und wach. „Er ist mein Leistungsträger“, sagt Mareike Harm und streicht ihm sanft über die Nüstern.
Mareike Harm: Im Stall in Negernbötel stehen 15 Pferde
Luxus Boy ist eines von 15 Pferden in Mareikes Stall. Gemeinsam mit ihrer Mutter lebt Harm auf Hof Rützenhagen in Negernbötel im Kreis Segeberg. Ein Ort wie aus dem Pony-Roman. Der Ort ihrer Kindheit. Und der Ort, an dem sie bereits als Kind die Begeisterung für das Gespannfahren entdeckt hat.
„Ich bin mit Pferden aufgewachsen und habe immer zugesehen, wie meine Mutter geritten ist. Dann allerdings bekam sie einen Bandscheibenvorfall und durfte nicht mehr reiten. Als Ersatz spannte sie dann mein altes Pony Baron vor die Einspänner-Kutsche. Und ich fuhr als Kind mit.“
Mit 13 Jahren nimmt sie immer häufiger die Zügel in die Hand
Mit 13 Jahren nimmt Mareike Harm dann häufiger selbst die Zügel in die Hand. Lange Zeit startet sie auch noch bei Dressur- und Springturnieren. „Wenn man aber in einer Sache richtig gut werden will, muss man sich für eine Disziplin entscheiden.“ Also: Gespannfahren.
Als Team gewinnen Mutter und Tochter zuerst regionale Turniere, kaufen dann mit Morning Star ein großes Pferd für die Kutsche, schaffen den Sprung in den Bundeskader, werden 2010 Deutscher und auch Mannschafts-Weltmeister. Ein Jahr später fällt die Entscheidung, mit dem Vierspänner zu fahren. Damals sitzt bereits Mareike in der Kutsche vorne – und steuert konstant in Richtung Weltspitze.
Mareike Harm hat sich eine Männerdomäne erobert
„Dabei hieß es immer, Vierspänner seien eher etwas für Männer“, erinnert sie sich, „aber unsere Pferde sind sehr gut ausgebildete Dressurpferde, die auch kontinuierlich unter dem Sattel ausgebildet werden und sehr fein in den Hilfen sind, sehr gut reagieren. Da ist die Frage der Kraft gar nicht mehr so wichtig.“
Viel wichtiger ist das richtige Training. Von den 15 Pferden im Stall sind zehn in der Lage, in den höchsten Klassen des Gespannfahrens mitzulaufen. Unter ihnen sind Holsteiner und Oldenburger ebenso wie Hannoveraner und Westfalen.
„Es kommt nicht so sehr auf die Rasse, sondern auf das Pferd an“
„Es kommt aber nicht so sehr auf die Rasse, sondern auf das Pferd an“, sagt Mareike Harm, die Agrarwissenschaft studiert hat und Pferdewirtschaftsmeisterin ist. Um wirklich ein Gefühl für die Tiere zu haben, ist sie tagtäglich von 7 Uhr an für sie da. Um 7.30 Uhr fährt sie mit dem ersten Gespann los, während die anderen Pferde noch in Ruhe frühstücken.
Ihre beiden Beifahrerinnen, die bei den Turnieren unter anderem für den Gewichtsausgleich zuständig sind, arbeiten ebenfalls auf Hof Rützenhagen, was Menschen und Pferde zu einem eingespielten Team macht.
„Jedes Pferd hat seine Schokoladenseite“
Neben Geländefahrten und Dressurtraining gehören auch Erholungspausen auf der Weide dazu. Und natürlich die Frage, wer wo vor der Kutsche läuft: „Da hat jedes Pferd seine Schokoladenseite. Die mutigeren sind gerne vorne, manche laufen besonders gerne auf einer bestimmten Seite.“ Wichtig sei aber vor allem, dass die Tiere Teamplayer sind, denn Rumgezicke beim Fahren ist absolut tabu.
Kaum Privatleben, Training von früh bis spät und ein Leben für die Pferde – mit großer Leidenschaft ist Mareike Harm in den vergangenen Jahren von Erfolg zu Erfolg gefahren.
Warum die Gespannfahrerin 2018 mit ihren Pferden in die USA flog
Ein antiker Schrank im Flur ihres Hauses quillt über mit bunten Schleifen, glitzernden Abzeichen und Pokalen, darunter Silber bei der Europameisterschaft 2013 in Ungarn und 2017 in Göteborg sowie die erfolgreiche Teilnahme bei den Weltreiterspielen 2018 in Tryon in den USA, die auch logistisch zum Abenteuer wurde.
„Wir mussten schon drei Monate vorher unser Equipment in Containern auf dem Seeweg verschicken und sind dann zusammen mit den Pferden in die Staaten geflogen. Die Tiere fanden es gemütlicher als im Lkw.“ In dem geht’s sonst europaweit zu Turnieren.
Internationale Wettbewerbe werden schon mal zum logistischen Abenteuer
Ein 19 Meter langer 28-Tonner mit großem Wohnabteil, Platz für fünf Pferde – vier plus Ersatzpferd – und zwei Anhänger, einem eleganten für die Dressur und einem schnellen, wendigen für das Kegelfahren und das Fahren im Gelände. Und auch im Lkw sitzt Mareike Harm am Steuer.
Dass auch Kind und Beruf, Familie und sportlicher Erfolg mit viel Disziplin und Leidenschaft zu vereinbaren sind, beweist sie seit Februar diesen Jahres. Da kam Töchterchen Lina Marie auf die Welt – und schon im Mai sorgte Mama Mareike wieder für Furore. Ihr nächstes sportliches Ziel ist im August die Europameisterschaft im niederländischen Exloo.
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So funktioniert Gespannfahren
Auf Turnieren wird ein-, zwei- oder vierspännig gefahren. Dabei ist Vielseitigkeit gefragt: Auf dem Programm stehen die drei Disziplinen Dressur, Geländefahren und Kegelfahren, also einem Fahren um spezielle Hindernisse.
Während es bei der Dressur um Hufschlagfiguren und Gangarten wie bei der Reitdressur geht, konzentrieren sich die Fahrerinnen und Fahrer beim Kegelfahren um die Präzision und beim Geländefahren auf das Tempo. Gewertet werden alle drei Disziplinen in Kombination.
Wer im Kreis Segeberg das Gespannfahren lernen möchte, kann das unter anderem direkt bei Mareike Harm auf Hof Rützenhagen. Informationen unter www.hof-ruetzenhagen.de.