Kreis Segeberg. Pharmazeuten aus dem Hamburger Umland sehen Projekt der AOK skeptisch. Auch die Hausärzte sind wenig begeistert.

Nur jeder dritte der Über-60-Jährigen lässt sich hierzulande gegen die Grippe impfen. Viel zu wenige, um einen ausreichenden Schutz für diese ältere Risikogruppe zu erreichen. Darum startet die Krankenkasse AOK mit dem Pharma-Handelsunternehmen Gehe in Schleswig-Holstein einen gesetzlich abgesicherten Modellversuch, bei dem sich die Menschen von September an außer bei ihrem Hausarzt auch in Apotheken impfen lassen können.

150 Apotheken hätten ihre Bereitschaft erklärt, mitzumachen, und würden vom Sommer an eingehend geschult, sagt AOK-Sprecher Jens Kuschel. Und AOK-Vorstandschef Tom Ackermann betont: „Damit bieten wir als erste gesetzliche Krankenkasse in Schleswig-Holstein unseren Versicherten eine zusätzliche Möglichkeit, sich gegen die Virusgrippe Influenza impfen zu lassen.“

Kritik: „Schulung ersetzt kein Studium“

In der Region Norderstedt, die noch nicht zur Modellregion gehört, wird das Projekt überwiegend abgelehnt. Impfen sei Sache der Ärzte und Ärztinnen und solle es bleiben, lautet der fast einhellige Tenor bei einer Umfrage. Allerdings gibt es auch positive Stimmen von Apothekern, die glauben, nur so ließe sich künftig in Post-Corona-Zeiten überhaupt die Volksgesundheit aufrechterhalten. In anderen Ländern wie der Schweiz oder Großbritannien sei die Apotheken-Impfung schon längst gang und gäbe, wie Frank Jaschkowski von der Apothekenkammer sagt.

„Schuster, bleib bei deinem Leisten“, sagt dagegen Birgit Zimmermann, die in Henstedt-Ulzburg die drei Pharmazeutix-Apotheken führt. „Wir Apotheken haben die Aufgabe, die Bevölkerung flächendeckend mit Arzneimitteln zu versorgen und sie darüber zu beraten, ob und wie verträglich bestimmte Medikamente zueinander reagieren“, sagt die Apothekerin. „Die Ärzte dagegen arbeiten mit und am Patienten.“

Eine Schulung könne nicht einfach das jahrelange Studium der Ärzte ersetzen. „Wenn ich hätte impfen wollen, hätte ich Medizin und nicht Pharmazie studiert“, sagt Birgit Zimmermann. Zudem stelle sich für sie die Frage, was passiere, wenn der Patient oder die Patientin die Impfung nicht vertrage und womöglich medizinisch behandelt werden müsse.

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Auch Volker Skibbe von der Immenhof-Apotheke in Norderstedt ist skeptisch: „Ich müsste ja dafür einen Extra-Raum haben, in dem ich die Leute in Ruhe impfen kann.“ Zudem müssten seine Mitarbeiter geschult werden. Auch andere befragte Apotheker, die namentlich nicht genannt werden möchten, lehnen es ab zu impfen, weil ihnen „die nötige Ausstattung und die Kapazitäten dafür fehlten“ und sie „versicherungstechnische Probleme und Haftungsfragen“ fürchten.

Ein Apotheker will mehr Verantwortung

Diese Probleme sieht ein Apotheker-Kollege nicht, der drei Apotheken in Norderstedt und Hamburg führt. Auch er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. „Es wird Zeit, dass wir Apotheken mehr Verantwortung übernehmen“, sagt er. Grundsätzlich sei es „nur zu begrüßen, wenn sich mehr Menschen impfen lassen würden. Aber die Ärzte sind bestimmt dagegen.“

Eine Vermutung, mit der der Apotheker recht behalten könnte: „Die rote Linie ist überschritten“, kritisiert Hausarzt Dr. Svante Gehring von der Ärztegenossenschaft Nord den Modellversuch. Und auch Arztkollege Christopher Schäfer hält nichts von „sinnfreien Parallelstrukturen“. Ärzte impften ihre Patienten im Wissen um ihre Vorerkrankungen, Laborwerte, Medikamentenverträglichkeit und ihre aktuellen Lebenssituation. „Unser Personal ist speziell ausgebildet und hat jahrelange Erfahrungen. Wir können jederzeit Notfälle als Impfreaktionen professionell beherrschen.“

Auch Kassenärztliche Vereinigung äußert sich skeptisch

Auch Delf Kröger, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung in Bad Segeberg, ist skeptisch. „Wir sind der Meinung, dass das Impfen eine so komplexe Aufgabe ist, dass sie in der Kompetenz der Ärzte bleiben sollte.“ Auch wenn in der hausärztlichen Praxis nicht immer der Mediziner selbst die Impfspritze setze, sondern dies oft die Arzthelferin mache – die Beratung, Anamnese, Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen und die Entscheidung, ob die Impfung für den Patienten medizinisch sinnvoll sei, müsse ein Arzt treffen.

Frank Jaschkowski von der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, die 620 Apotheken im ganzen Land vertritt, will es den Pharmazeuten überlassen, ob sie am Modellversuch teilnehmen. „Es könnte ein niedrigschwelliges Angebot sein, sodass sich mehr Menschen gegen die Grippe impfen lassen“, glaubt er. Ähnlich wie ein Autofahrer lieber schnell zur Tankstelle fahre, um kleine Wartungsarbeiten an seinem Fahrzeug erledigen zu lassen statt in die Werkstatt zu gehen, „wo dann sofort weitere Reparaturen fällig werden und er gleich 500 Euro los ist“.